Arbeitnehmer des Gorki-Automobilwerkes (GAZ) in Nishnij Nowgorod bitten die Behörden, den Weggang des deutschen Konzern Volkswagen aus Russland unter ihre Kontrolle zu stellen. Nach ihren Worten müsse das westliche Unternehmen GAZ die Verluste durch die Aufkündigung gemeinsamer Vorhaben, wodurch tausende Menschen ohne einen Job geblieben sind, kompensieren. In dem russischen Unternehmen hofft man, die Fertigung von Personenkraftwagen wiederaufzunehmen.
Es sei daran erinnert, dass der deutsche Autogigant im Jahr 2022 nach mehr als zehn Jahren gemeinsamer Arbeit der Produktionsstätte im GAZ, die unterschiedliche VW- und Skoda-Modelle fertigte, die Arbeit eingestellt und später das eigene Werk in Kaluga zum Verkauf ausgeschrieben hat. GAZ wandte sich mit der Forderung an ein Gericht, vom ehemaligen Partner 15,6 Milliarden Rubel zwecks Deckung der Verluste einzutreiben. Als Sicherungsmaßnahme waren Vermögenswerte von VW blockiert worden. Am vergangenen Montag hat jedoch das Gericht einen Teil des Eigentums des Konzerns in Russland wieder freigegeben, was die Tilgung der Verluste erschweren kann.
„Wir sind mit einer inakzeptablen Situation konfrontiert worden, in der das Unternehmen VW versucht, von seinen Pflichten gegenüber GAZ abzugehen“, unterstrich Jewgenij Morosow, Vorsitzender der Arbeiterräte von GAZ. „Gestern hat ein Gericht von Nishnij Nowgorod dem Einspruch von VW hinsichtlich der Festsetzung von Vermögenswerten in Kaluga stattgegeben. Leider ist die Entscheidung eine positive (für VW). Heute hören wir viele Fragen von unseren Arbeitskollektiven: Und was wird mit dem Verlust für GAZ, mit der weiteren Entwicklung der Produktion? Wird man etwa dem westlichen Unternehmen erlauben, so ruhig seine Aktiva zu verkaufen und das Land zu verlassen, wobei eine Belegschaft von mehreren Tausend Menschen mit ihren Problemen zurückgelassen wird?
GAZ hatte mit VW leistungsstarke Produktionsstätten auf einer Fläche von mehr als 400.000 Quadratmetern geschaffen. Organisiert wurde eine moderne Infrastruktur. Die Menschen wurden entsprechend den Produktionstechnologien geschult. Dafür wurden gewaltige Ressourcen eingesetzt, berichtete Jewgenij Morosow. Dieses Projekt war innerhalb kurzer Zeit an den GAZ-Standorten in Nishnij Nowgorod realisiert worden. Der VW-Konzern hatte große Pläne. Jetzt aber hat GAZ 3.000 Arbeitsplätze verloren, teilte der Vertreter der Arbeitnehmer mit.
„Die Entscheidung, Russland zu verlassen, wobei tausende Arbeitnehmer im Stich gelassen werden, ist inakzeptabel“, unterstrich er. „Unsere Belegschaft wird die Gerechtigkeit verteidigen. Es ist unser Ziel, die Fertigung von Personenkraftwagen wiederaufzunehmen, GAZ-Marken wiederaufleben zu lassen sowie Arbeitsplätze und die Beschäftigung der Menschen zu bewahren. Wir planen, uns an das Ministerium für Industrie und Handel der Russischen Föderation zu wenden, dessen Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass die Fertigung an beiden Standorten – sowohl in Nishnij Nowgorod als auch in Kaluga – wiederaufgenommen werden muss. In Spitzenzeiten der Montage von Autos haben bei uns 5.000 Menschen gearbeitet. Dies sind hochprofessionelle Spezialisten. Wir hoffen, dass die Regierung der Russischen Föderation dieses Situation unter ihre Kontrolle nimmt und VW nicht erlauben wird, Russland zu verlassen, ohne unserer mehre tausende Menschen umfassenden Belegschaft die Mittel für die Realisierung eines neuen Vorhabens an den Standorten von GAZ zurückzugeben“.
Für GAZ kostete es riesige Anstrengungen und Ressourcen, innerhalb kurzer Zeit mit VW das gemeinsame Projekt zu starten, betonte Alexander Podoplelow, der Leiter für die Fertigung von VW- und Skoda-Fahrzeugen des Gorki-Autowerkes. Beginnend ab 2012 wurden im Auftrag des Partners praktisch alljährlich neue Automodelle produziert, wobei jedes Modell komplizierter als das vorangegangene gewesen war. Daneben hatte GAZ an seinen Standorten die Herstellung von Achsen lokalisiert. Und im Jahr 2015 – die von Holmen. Um den hohen Anforderungen des VW-Konzern zu entsprechen, erfolgten eine ständige Ausbildung und Weiterbildung des Personals. „Dabei hatten wir die Fertigungen mit einer maximal möglichen Produktionseffektivität für VW organisiert. Die Rentabilität, die GAZ bei der Herstellung eines jeden Autos erhielt, war erheblich geringer als der Gewinn des Auftraggebers beim Absatz“, betonte Alexander Podoplelow.
„VW hat nicht nur die Fertigung von Fahrzeugen eingestellt, sondern auch alle Arbeiten, die mit dem Start neuer Projekte zusammenhingen, deren Finanzierung und Vorbereitung zur Realisierung viele Unternehmen der Gruppe GAZ aktiv vorgenommen hatten“, teilte er mit. „Dies ist sowohl die Lokalisierung einer LKW-Fertigung als auch die Verwendung von VW-Motoren in aktuellen LKW-Modellen sowie viele andere Vorhaben. Wir haben im Betrieb eine Belegschaft gebildet, die aus der Sicht der Kompetenzen auf dem Gebiet der Herstellung von Personenkraftwagen europäischen Niveaus einmalig ist (für Russland – Anmerkung der Redaktion). Zum Zeitpunkt der Einstellung der Fertigung im März 2022 (als Ergebnis der westlichen Sanktionen aufgrund der russischen Militäroperation in der Ukraine – Anmerkung der Redaktion) sind 3.000 Menschen ohne Arbeit geblieben. Ein Jahr später befinden sich viele von ihnen nach wie vor im Regime einer Warteschleife, wobei sie eine Wiederaufnahme der Produktion erwarten. Wir haben keinen anderen Ausweg, außer unsere Ausgaben zu kompensieren, die Produktion wiederaufzunehmen und die Leute in den Betrieb zurückzuholen. Wir arbeiten in dieser Richtung“.
„Bei diesem Projekt habe ich ab dem eigentlichen Produktionsstart gearbeitet, habe gesehen, wie sich alles entwickelte“, berichtete Jelena Morina, Kontrollmeisterin bei der Fertigung von VW- und Skoda-Fahrzeugen des Gorki-Autowerkes. „Hier hatte es sehr viele junge Leute gegeben. Man arbeitete in Familien. Man wurde groß, entwickelte sich. Aber mit einem Schlag ist alles zusammengebrochen. Im März vergangenen Jahres stellte VW die Fertigung seiner Fahrzeuge ein. Es ist für uns sehr schade, dass solche Produktionsstätten stillstehen. Wir wollen in die vertrauten Abteilungen zurückkehren und erneut Personenkraftwerke produzieren“.
„Alles, was gegenwärtig erfolgt, ist ungerecht hinsichtlich der Menschen, hinsichtlich unseres ganzen Teams“, unterstrich Jelena Sagustina, Mitglied des Gewerkschaftskomitees von GAZ. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wieviel Arbeit aufgewandt wurde, damit sich der Betrieb entwickelte, damit es eine Perspektive gibt. Heutzutage gibt es keinerlei Perspektive. Ich bin der Auffassung, dass dies gemein ist. Für alles muss man Verantwortung tragen. Wir wollen, Personenkraftwagen produzieren. Wir haben dafür alle Möglichkeiten – Technologien, eine Schule von Konstrukteuren, den Wunsch. Und wir werden dies tun“.