Die Länder der von Moskau angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) können gemeinsam auf die Sanktionen des Westens gegen Russland und Weißrussland antworten. Die von der Eurasischen Wirtschaftskommission (EAWK) vorgeschlagenen Maßnahmen hat Minsk unterstützt, das unter dem Druck seitens der USA, der EU und Großbritanniens steht. Wie die anderen Mitgliedsländer der EAWU reagieren, wird nicht mitgeteilt. Wahrscheinlich wird sich die Situation im Verlauf der Tagung des Obersten Eurasischen Wirtschaftsrates klären, die am 14. Oktober in Minsk erfolgen wird.
Zwecks Verteidigung von Wirtschaftsinteressen stimme die EAWK Antwortmaßnahmen der Länder der EAWU auf die Sanktionen des Westens ab. Dies hatte am Vorabend die offizielle Sprecherin der EAWK Ija Malina mitgeteilt. Nach ihren Worten arbeite der Handelsblock der Kommission an der Abstimmung eines Entwurfs möglicher Maßnahmen durch die Seiten für ein Reagieren auf den Wirtschaftsdruck, der durch Drittländer auf die Staaten des Bündnisses ausgeübt werde.
Sie präzisierte, dass es um eine abgestimmte Anwendung von Antwortmaßnahmen ausschließlich zum Schutz der Wirtschaftsinteressen der EAWU gehe. Geplant sei, den Staatsoberhäuptern die Maßnahmen vorzulegen, die eine maximale Unterstützung der Mitgliedsländer erhalten.
Bemerkenswert ist, dass die Rolle von Minsk beim Initiieren der Sanktionen auf die Formulierung reduziert wurde: „Alle vorgeschlagenen Maßnahmen unterstützt die Republik Belarus, die gegenwärtig einen ernsthaften Druck seitens der USA, der Europäischen Union und Großbritanniens erlebt“.
Alexander Worobjow, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für das Studium Zentralasiens und des Kaukasus des Instituts für Orientalistik der Russischen Akademie der Wissenschaften, ist der Auffassung, dass man mit Vorsicht über eine breite Unterstützung für die antiwestlichen Sanktionen seitens aller Beteiligten der EAWU sprechen müsse. „Die Position von Weißrussland ist anormal und ist durch die nicht einfache innenpolitische und Wirtschaftssituation im Land verursacht worden. Die anderen Staaten der EAWU werden wohl kaum die gleiche Position beziehen. Je autarker ein Land ist, desto geringer hält es sich an eine Sanktionssolidarität. Und dies ist ganz und gar keine Sache des Unwillens der EAWU-Partner, Moskau und Minsk zu unterstützen, denn die Sache ist die, dass eine Unterstützung von Sanktionen negative Wirtschaftsfolgen haben wird, beispielsweise für Kasachstan“, sagte Alexander Worobjow der „NG“. Kirgisien und Armenien, die sich nach seiner Meinung in einer turbulenten Situation befinden würden, würden wohl kaum aktive Anhänger der Sanktionen sein. „Man kann annehmen, dass diese Initiative ein weiteres Mal auf ein Demonstrieren von Wünschen hinausläuft und mit nichts Konkretem enden wird“.
Dosym Satpajew, Direktor der Gruppe für die Bewertung von Risiken (Almaty), denkt, dass Kasachstan die antiwestlichen Sanktionen der EAWU nicht unterstützen werde, denn aus seiner Sicht würde, auch wenn es irgendeinen Konflikt mit dem Westen gebe, der nicht für die EAWU bestehen, sondern für einzelne Mitglieder von ihr, insbesondere für Russland und Weißrussland. „Gegensanktionen dürfen nicht zu einer Bürde für jene Mitglieder werden, die mit den westlichen Staaten partnerschaftliche Beziehungen bewahren. Unter diesem Blickwinkel erweist sich Kasachstan als anfälligstes Land, da es in größerem Maße mit dem Westen zusammenwirkt. Die EU ist der größte Handelspartner Kasachstans und der Hauptkäufer seines Erdöls. Beginnend seit den 90er Jahren sind die USA und die EU die bedeutendsten Investoren der Republik. Die Verhängung antiwestlicher Sanktionen ist für Kasachstan auch aus der Sicht der ökonomischen Sicherheit inakzeptabel“, sagte Dosym Satpajew der „NG“.
Ein zweites wichtiges Moment, auf das der Politologe hinwies, ist, dass eine Unterstützung der Gegensanktionen die Mehr-Vektoren-Politik Kasachstans zunichtemache. „Sie löst seitens jener Länder eine negative Reaktion aus, die Kasachstan traditionell als einen Partner wahrgenommen hatten. Eine negative Reaktion muss auch innerhalb des Landes erwartet werden. Präsident Qassym-Schomart Tokajew muss die gesellschaftlichen Stimmungen berücksichtigen. Während sich Nursultan Nasarbajew zu emotional, wie ein Vater zur EAWU verhielt, wobei er sich als ihr Schöpfer ansah, ist Tokajew recht pragmatisch und trat bereits mit kritischen Anmerkungen an die Adresse der EAWU auf. Zumal gerade in Kasachstan die Haltung zur Bildung der EAWU anfangs die vorsichtigste war“, unterstrich Satpajew.
Nach Aussagen des Politologen könne Kasachstan dem antiwestlichen Sanktionsbündnis allein schon deshalb nicht beitreten, weil dies den zahlreichen Erklärungen von Nasarbajew widerspreche, wonach die EAWU für Kasachstan ausschließlich ein Wirtschaftsprojekt und kein politisches sei. Daher werde Nur-Sultan gegen Antisanktionen auftreten, bis zu dem Punkt, dass es sich auf ein Einfrieren der EAWU-Mitgliedschaft einlassen könne.
Jerewan ist wahrscheinlich auch nicht über den drohenden Sanktionskrieg erfreut. „Für Armenien, dessen Wirtschaft gerade erst begonnen hat, nach dem zerstörerischen Krieg (vom Herbst vergangenen Jahres in Bergkarabach gegen Aserbaidschan – Anmerkung der Redaktion) und der vierten Coronavirus-Welle wieder auf die Beine zu kommen, ist keinerlei Sanktionskonfrontation nötig. Im Gegenteil, unter den gegenwärtigen Bedingungen nur eine Aktivierung der Handelskooperation mit den Hauptpartnern. Und dies sind außer der Russischen Föderation die Länder Europas. Und diese Aktivierung ist imstande, in bestimmter Weise der Landeswirtschaft einen Zusammenbruch zu ersparen“, sagte der „NG“ der Politologe Armen Chanbabian. Nach seinen Worten komme gerade aus Europa der Hauptteil des Benzins und anderer Kraftstoffe – außer Gas – nach Armenien. Daher sei es nicht schwer, die Reaktion von Jerewan vorauszusagen. Ob es aber die armenische Seite wagen werde, gegen den Willen Russlands zu handeln, sei eine große Frage.
Der unabhängige Experte David Petrosian sagte der „NG“, dass die USA und Frankreich Co-Vorsitzende der Minsker OSZE-Gruppe für Bergkarabach mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen seien. Sie hätten mehrfach auf verschiedenen Ebenen erklärt, dass der Konflikt nicht geregelt sei und im Rahmen der Minsker OSZE-Gruppe gelöst werden müsse. Nach Aussagen Petrosians dürfe Jerewan auch nicht vergessen, dass viele europäische Staaten während des Krieges Armenien offen sympathisiert und vorgeschlagen hätten, Sanktionen gegen Aserbaidschan zu verhängen und gar Karabach anzuerkennen. Unter solchen Bedingungen müsse Jerewan sehr gut überlegen, bevor es dem Sanktionskrieg gegen den Westen beitrete.
„In Kirgisien gibt es keine besonderen wirtschaftlichen und sozialen Erwartungen von der Zusammenarbeit im Rahmen der Organisation. Dabei funktionieren selbst die internen Mechanismen für eine Lösung von Konflikten nicht, wie im Übrigen auch in der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit“, sagte der „NG“ der kirgisische Experte Adil Turdukulow.