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VTsIOM-Umfrage ermittelte zunehmende Popularität des Domostroi1)


Das staatliche Meinungsforschungszentrum VTsIOM veröffentlichte am 1. August neue Ergebnisse eines langjährigen Monitorings zur Frage nach dem Platz und der Rolle der Frauen in der Politik. Die Schlussfolgerung ist eine eindeutige: Die Summe der positiven Antworten nimmt zu. Wie gut auch die Umfragezahlen in einer sozialen und demografischen Aufschlüsselung sein mögen, doch die Dynamik der Meinungen diesbezüglich verderben das Bild. Bei der Beantwortung der Frage danach, ob es mehr oder weniger Frauen sein sollten oder genauso viele wie es bereits der Fall ist, ist die Wirkung des Propagierens von Konservatismus nicht zu übersehen. Gewonnen hat die Vorstellung, dass es auch so genug sei. Dies ist eine Vorgehensweise gemäß dem Domostroi. Denn wenn man gerade die politische Klasse nimmt, so ist dort das wunderbare Geschlecht entsprechend dem Minimum vertreten. Im Unterschied zum Beamtentum. Wobei scheinbar die Staatsduma (das russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) wie eine Ausnahme aussieht, genauer gesagt die Fraktion der Kremlpartei „Einiges Russland“, obgleich sowohl da als auch dort nur wenig wahre Politiker sind.

VTsIOM, das traditionsgemäß das Hauptergebnis seiner Umfrage zusammenfasst, behauptet, dass „ein großer Teil eine positive Haltung dazu deklariert, dass sich einige Vertreterinnen des wunderbaren Geschlechts mit Politik befassen“. Die Zahl für das laufende Jahr liegt bei 78 Prozent. Jedoch waren es im Jahr 2019 genauso viele. Und im Jahr 2016 waren es sogar 79 Prozent. Das heißt, dass es keine wesentlichen Veränderungen gibt. Obgleich man sie auf der Ebene solcher Werte sicherlich schon schwerlich erwarten kann. Freilich, wenn man sich die Dynamik der negativen Haltung anschaut, so ist auch sie keine beeindruckende – 13, 14 bzw. 16 Prozent. Folglich erfolgte einer Umverteilung durch diejenigen, die sich schwertaten, ihre Meinung zu formulieren. Sie machten schon neun Prozent aus im Vergleich zu den fünf Prozent von vor acht Jahren.

Dabei erklärt das Allrussische Meinungsforschungszentrum natürlich nicht, wie man sich mit einer Antwort auf eine derartige elementare Frage schwertun kann, zumal die Antwort auf diese in Vielem durch die Genderzugehörigkeit und die Familientraditionen diktiert wird. Allem Anschein nach hat alles seine Ursache in der aktiven Propagierung einer konservativen Herangehensweise an die Geschlechterrollen, die sowohl im Fernsehen als auch in den sozialen Netzwerken erfolgt. Nicht ohne Grund wurden in der Aufschlüsselung nach sozialen und demografischen Aspekten die Männer (13 Prozent) sowie die Vertreter des zweiten (25 bis 34 Jahre) und des dritten (35 bis 44 Jahre) zu denjenigen, denen es am schwersten fiel, eine Antwort zu geben. Unter ihnen machte dieser Wert 15 bzw. zehn Prozent aus. Im Übrigen kann man unter den sozialen und demografischen Aspekten auch noch eine Reihe interessanter Bewegungen ausmachen, die aber nicht bestimmend sind.

Derweil sagten auf die Frage nach der Zustimmung zu der Meinung, dass Männer und Frauen gleichberechtigt an der Politik teilnehmen sollten, in diesem Jahr 38 Prozent der Befragten eindeutig JA, obgleich es im Jahr 2016 49 Prozent gewesen waren. Zugenommen hat die Zahl derjenigen, die eher einverstanden mit der genannten Meinung sind – 40 Prozent (vor acht Jahren waren es noch 33 Prozent). Allerdings waren es im Jahr 2019 überhaupt 43 Prozent. Etwas angestiegen ist ebenfalls die Zahl derjenigen, die eher nicht mit der genannten Meinung einverstanden sind. Dies erfolgte aber gerade durch eine Verringerung der kategorischen Gegner und durch eine Zunehme der Schwankenden. Dies ähnelt sehr dem, dass die Respondenten hier auch versuchen, die sozial gebilligte Meinung zu erahnen. Dabei verstehen sie, dass es einfacher ist, ausweichender zu antworten. Hinsichtlich der sozialen und demografischen Aspekte stößt man bei dieser Frage auf eine unstrukturierte Masse, aus der nur eines klar wird: Die Männer ziehen es vor, sich an die Gebote des Domostroi zu halten.

Zum interessantesten Teil der Umfrage wurde jener, der herauszufinden suchte: Sollte es mehr Politikerinnen, genauso viele wie derzeit oder weniger oder gar überhaupt keine geben? Und da präsentieren die Soziologen eine Entwicklung ab — sage und schreibe — 1998, als ein Maximum der Stimmen dafür registriert wurde, dass es mehr sein sollten – 45 Prozent. Danach wurden es 37, dann 32 Prozent und letztlich 29 Prozent im laufenden Jahr. Die negative Haltung, dass es weniger sein sollten – hat beinahe nichts zugelegt. Es waren einst neun Prozent, nun sind es elf Prozent. Und die politischen Frauenhasser sind ganz und gar weniger geworden – von zehn bis auf sieben Prozent ist ihre Zahl gesunken, während die Zahl der Unbestimmten um das 1,5fache angestiegen ist.

Umwerfend sieht natürlich das Ergebnis aus, das diejenigen betrifft, die behaupten, dass es mit der Vertretung der Frauen in der Politik derzeit normal bestellt sei. 1998 machten sie 27 Prozent aus, danach überschreitet der Wert die 30-Prozent-Marke und nimmt weiter zu, um im Jahr 2019 die 40 Prozent zu erreichen und in den nachfolgenden fünf Jahren auf diesem Stand zu bleiben. Hier ist die Tatsache amüsanter oder – im Gegenteil – trauriger, dass gerade in jenen Jahren ein massives Verschwinden von Politikerinnen erfolgte, das im laufenden Jahr wohl einen Höhepunkt erreicht hat. Unter den Gouverneuren gibt es schon keine solchen mehr, in der Regierung sind es Einzelfälle. Die Anzahl der Senatorinnen ist auch nicht die Wucht, obgleich dort zumindest eine Frau die Vorsitzende des Föderationsrates ist (Valentina Matwijenko – Anmerkung der Redaktion). Freilich, gerade eine Frau wurde zur Leiterin des Obersten Gerichts (die einstige Studienkollegin von Wladimir Putin Irina Podnossowa – Anmerkung der Redaktion), während eine andere den Vorsitz im Moskauer Stadtgericht an den Nagel hängte (Olga Jegorowa, die im Jahr 2020 von Michail Ptizyn abgelöst wurde – Anmerkung der Redaktion).

Kurz gesagt: Wenn man einmal die Anzahl der Staatsbeamtinnen, Richterinnen, Pressesekretärinnen der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane und andere außer Acht lässt, so gibt es im Grunde genommen schlicht und einfach keine wahren Politikerinnen. Als eine Ausnahme sieht da verständlicherweise die Staatsduma aus. Und in der die Fraktion der Kremlpartei. Die übrigen Parlamentsparteien liegen da weit hinter ihr, selbst die liberale Partei „Neue Leute“.

1) Domostroi — ein russischer Gesetzeskodex aus dem 16. Jahrhundert, der bis ins 19. Jahrhundert im Gebrauch war, sorgfältig zusammengestellte Regeln des öffentlichen, religiösen und insbesondere familiär-alltäglichen Verhaltens beinhaltet und eine moralisierende und disziplinierende Funktion hatte.

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