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Warum ein Gefangenenaustausch kein Merkmal für ein Tauwetter ist


Nach der Rückkehr von Viktor Bout nach Russland und von Brittney Griner in die USA seien neue Gefangenenaustausche möglich. Dies erklärte der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin, als er sich mit russischen Pressevertretern unterhielt, wobei er unterstrich, dass alle Verhandlungen solcher Art über den Inlandsgeheimdienst FSB verlaufen würden. Es ist bekannt, dass die Amerikaner gern den wegen Spionage verurteilten Paul Whelan in die Heimat zurückholen würden und – wie unterschiedliche Quellen melden – versucht hätten, ihn in den Bout-Deal einzuschließen.

Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des Präsidenten der Russischen Föderation, beeilte sich, Journalisten mitzuteilen, dass der Austausch von Bout gegen Griner kein Schritt für ein Herauskommen aus der Krise in den Beziehungen beider Länder, die in einem „traurigen Zustand“ bleiben würden, gewesen sei. Ungefähr das Gleiche sagte auch Russlands Botschafter in den USA, Anatolij Antonow, in einer Sendung des staatlichen Fernsehkanals „Rossia 24“. Nach seinen Worten seien die Verhandlungen zu Bout und Griner, aber auch das Ankara-Treffen des Chefs des russischen Dienstes für Auslandsaufklärung, Sergej Naryschkin, und des CIA-Direktors William Burns „Ausnahmen“ in den heutigen Kontakten Moskaus und Washingtons. Und Voraussetzungen für eine Verbesserung gebe es nicht.

Sowohl Peskow als auch Antonow beantworteten Fragen von Journalisten, unter denen sich wirklich eine „Tauwetter“-Interpretation für die letzten Kontakte der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten herausgebildet hatte. Dies wurde unter anderem dadurch ausgelöst, dass die aktuelle Situation als eine anormale wahrgenommen wird. Und viele, darunter auch Mitarbeiter von Massenmedien, möchten gern Anzeichen für deren Verbesserung zu sehen bekommen. Dies ist auch der Versuch zu erraten, was denn wirklich vor sich geht, wenn viele Kontakte weit weg vom Publikum erfolgen und viele Entscheidungen hinter den Kulissen getroffen werden.

Wie dem auch immer sein mag, ein Gefangenenaustausch, selbst wenn er zu einer regulären Praxis wird, bedeutet tatsächlich kein Tauwetter in den Krisenbeziehungen beider Länder. Dies ist eher ein deutliches Merkmal für eine Rückkehr der Realitäten des Kalten Krieges. Ähnliche Austausche zwischen der UdSSR und den USA (oder – schaut man weiter – „unfreundlichen Ländern“, es genügt sich des Austauschs von Luis Corvalan gegen Wladimir Bukowskij Ende 1976 zu erinnern) erfolgten, wenn auch nicht im Non-Stopp-Regime, ab es hat sie gegeben. Und nicht selten. Es hat im Übrigen so etwas auch in der modernen Geschichte gegeben. Und da figurierten bei einem Austausch unter anderem Anna Chapman und Sergej Skripal.

Wenn zwei Staaten Gefangene austauschen, bedeutet dies unter anderem, dass sie den Gerichtssystemen des anderen kein Vertrauen schenken. Sie sind nicht der Meinung, dass ein Gerichtsprozess gegen ihre Bürger ein gerechter sein kann, dass man dort, wohin sie es verschlagen hat, ihr Tun als richtiges verteidigt und sich für die Rechte einsetzt. Die Festnahme von Menschen und die gegen sie verhängten Urteile, selbst wenn sie absolut legitim sind, werden als Teil eines politischen Spiels aufgefasst, als eine Einladung des geopolitischen Opponenten zu einem gewissen Deal. Daher rufen die Offiziellen verschiedener Staaten in der Zeit von Konflikten ihre Bürger auf, das Territorium des Opponenten zu verlassen. Sie machen sich nicht nur um deren Sicherheit Sorgen, sondern auch darum, dass die Behörden nicht anfangen werden, sie unter Druck zu setzen, zu unbequemen Vereinbarungen zu neigen. Es genügt, die Reaktion der Kritiker der Administration von Joseph Biden auf den Austausch von Bout gegen Griner zu verfolgen. Diese Vereinbarungen bezeichnet man als eine „Schmach“ für Amerika, wobei die Bedeutsamkeit der beiden Figuren – des Waffenhändlers und der Basketballspielerin – verglichen wird.

Moskau und Washington sind zu den Praktiken der Sowjetzeiten zurückgekehrt. Bemerkenswert ist, dass man damals in einen Deal unbedingt Kundschafter und sehr oft Dissidenten – Wissenschaftler, Menschenrechtler, Schriftsteller – einbezogen hatte. Auf natürliche Art und Weise ergibt sich die Frage: Wenn Russland und die USA weiter Gefangene austauschen werden, können da auch die Oppositionsvertreter mit einer Freilassung und einer Ausreise rechnen, die entsprechend unterschiedlicher Artikel in der Russischen Föderation hinter Gitter geraten sind? Möchten sie dies? Möchten dies die Amerikaner? Würde es da irgendein Interesse der russischen Offiziellen geben?

Die Biden-Administration hält die Freilassung von B. Griner für einen Sieg, wobei die den Amerikanern verständliche Formel „Wir müssen alles für jeden beliebigen unserer Bürger tun.“ Aktualisiert wird. Aber russische Oppositionelle sind keine Amerikaner. Ihr Status von „ausländischen Agenten“ ist weder von ihnen noch von anderen Ländern anerkannt worden. Wenn die Praxis der (Gefangenen-) Austausche auch sie tangieren wird, wird dies nur die Vertiefung der Krise in den Beziehungen Russlands und des Westens unterstreichen.