Europäische Politiker und Militärs haben in der letzten Zeit begonnen, sich hinsichtlich eines möglichen bewaffneten Konflikts mit Russland zu äußern. Deutschlands Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius erklärte beispielsweise, dass man in der NATO einen russischen Schlag gegen eines der osteuropäischen Länder der Allianz erwarte. „Wir sind immer davon ausgegangen, dass dies im Jahr 2029 passieren kann“, sagte Pistorius jüngst in einem Interview der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Jetzt gibt es Einschätzungen, dass dies schon im Jahr 2028 möglich ist. Und einzelne Militärexperten sind der Annahme, dass wir den letzten friedlichen Sommer hatten“.
Der polnische Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz erklärte in einer Sendung von Radio Zet, dass sich sein Land in einem Zustand „zwischen Krieg und Frieden“ befinde. Als er sich hinsichtlich des jüngsten Anschlags gegen eine Bahnstrecke im Land äußerte, sagte er, dass „alle Spuren in den Osten führen, nach Russland“. Zuvor hatte der Chef des polnischen Generalstabs, General Wiesław Kukuła, erklärt, dass sich der „Gegner“ (wer dies ist, präzisierte er nicht) auf einen Krieg gegen sein Land vorbereite, „hier eine bestimmte Situation schafft, deren Ziel es ist, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung, zu solchen hauptsächlichen Strukturen wie die Streitkräfte und die Polizei zu untergraben“.
In Russland reagiert man verständlicherweise auf diese Äußerungen. Der Pressesekretär des Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitrij Peskow, betonte beispielsweise in einem Gespräch mit Journalisten, dass solche Erklärungen „die Situation nicht besser machen“. In Russland gebe es nach seinen Worten „keine Verfechter irgendeiner Konfrontation mit der NATO“. Es könne jedoch gezwungenermaßen Maßnahmen zur Gewährleistung der eigenen Sicherheit ergreifen.
Die Zeitung „Politico“ konstatiert, dass die Ausgaben der westlichen Länder für die Verteidigung seit den Zeiten des Kalten Krieges nie so rasant wie im Jahr 2024 angestiegen seien, als sie um 9,4 Prozent zunahmen. Dies, so das Blatt, schaffe in den Ländern der dritten Welt Nischen, die Russland, China und die Türkei gern ausfüllen würden. Die europäischen Länder würde US-Präsident Donald Trump zusätzlich stimulieren, der möchte, dass es die NATO-Verbündeten verstehen, sich selbst zu verteidigen, und sich nicht ausschließlich auf die Hilfe der Amerikaner stützen.
Der Trump-Faktor erklärt Vieles. Die Idee für eine Verlagerung der Verantwortung in die anderen NATO-Länder hatte er bereits während seiner ersten Amtszeit als Präsident formuliert. Groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies in der Zukunft zu einer programmatischen Forderung aller Republikaner wird. Und vielleicht auch nicht nur dieser. Dabei ist Europa ohne amerikanische Hilfe zu keinerlei bewaffneten Konflikten bereit – weder hinsichtlich der Ressourcen noch logistisch und hinsichtlich der Infrastruktur. Die Anhebung der Militärausgaben kann man in den Augen der Bevölkerung rechtfertigen, indem auf eine reale Bedrohung verwiesen wird. Da der Ukraine-Konflikt nicht endet, ist es für die europäischen Politiker gegenwärtig nicht schwer, Russland in der Rolle solch einer Bedrohung darzustellen. Inwieweit dies effektiv ist und ob dies bei den Bürgern ein Echo findet, ist schwer zu sagen. Einfach anders das Umkrempeln der Etats zu rechtfertigen, ist schwierig.
Zu einem militärischen Konflikt ist Europa nicht bereit und hat sich auch mental nicht darauf vorbereitet. Bis zum Jahr 2022 wurden in den EU-Ländern keinerlei Appelle „zu kämpfen“ laut. Solche Forderungen hatte es gegenüber den Politikern nicht gegeben. Ungarns Premierminister Viktor Orbán sagt, dass Brüssel heute Europa auf einen Übergang zu einer Militärwirtschaft vorbereite. Aber es ist sehr schwer, die heutige Wirtschaft, die sich daran gewöhnt hatte, sich eigenständig und ohne eine Einmischung des Staates zu entwickeln, auf diesen Kurs umzustellen. Noch schwieriger ist es (doch dies ist notwendig), die jungen Europäer, die sich an ein normales und komfortables Leben gewöhnt haben, davon zu überzeugen, einen Militärdienst abzuleisten und zu einer Mobilmachung bereit zu sein. Wahrscheinlich hätte solch ein Wechsel der Paradigmas in Europa auch eine Reaktion Russlands ausgelöst. Und in Russland wäre es unter Berücksichtigung der Besonderheit dessen gesellschaftspolitischen und Wirtschaftssystems weitaus leichter, das gleiche wie auch in der EU zu tun.