Im Jahr 2022 werden die Lieferungen von Pipelinegas aus Russland nach Europa bis auf 60 Milliarden Kubikmeter im Vergleich zu den 140 Milliarden Kubikmeter im vergangenen Jahr einbrechen, erwartet die Internationale Energieagentur. „Gazprom“ bestätigte, dass es im Zeitraum Januar-November etwa 50 Milliarden Kubikmeter weniger in die EU und weitere sechs Milliarden Kubikmeter weniger nach Großbritannien geliefert habe.
Russland muss somit etwa 80 Milliarden Kubikmeter auf andere Märkte umleiten. Ca. 30 Milliarden Kubikmeter können über einen neuen Strang von „Turk Stream“ nach Europa zurückkehren. Jedoch muss man diesen erst einmal verlegen, wofür mehrere bis zu fünf Jahre ins Land gehen können. Obgleich auch so unklar ist, ob die Europäer einverstanden sein werden, dieses Gas abzunehmen – wenn auch nicht direkt „von Putin“, sondern „über Erdogan“. Die zweite Variante ist China.
Das Reich der Mitte bekräftigte dieser Tage die Aufgabe für das Wirtschaftswachstum des Landes im Jahr 2023 um fünf Prozent. Eine recht ambitionierte Aufgabe in den heutigen Zeiten, in denen laut einer Prognose des IWF die Weltwirtschaft um 2,7 Prozent wachsen werde, die der USA – um 0,5 Prozent. Das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung prognostiziert im kommenden Jahr einen Rückgang des BIP der Russischen Föderation um 0,8 Prozent.
Das Wirtschaftswachstum erfordert viel Strom, obgleich nach einer Schätzung der bereits erwähnten Internationalen Energieagentur die Zunahme des Imports von Energieträgern durch China in den letzten zehn Jahren nicht mehr als zwei Prozent im Jahr ausmache, während er im Jahr 2010 um zwölf Prozent zugelegt hatte. Das Reich der Mitte hat aber viele Lieferanten, und die Russische Föderation ist nicht die Nummer 1 unter ihnen. Obgleich im Rahmen des Themas „Wende nach Osten“ Russland im Juli hinsichtlich des Gesamtumfangs der Erdgaslieferungen in die Volksrepublik China (in der Gesamtheit der Lieferungen von Pipelinegas und LNG) auf den zweiten Platz kam, wobei Australien hinter sich gelassen wurde. An erster Stelle liegt Turkmenistan. Pipelinegas kauft China gleichfalls von Usbekistan, Kasachstan und Myanmar.
Im August kaufte China beispielsweise13,2 Milliarden Kubikmeter Gas (davon 5,5 Milliarden über Pipelines, dies war ein Maximum in der Geschichte der Lieferungen, und 7,7 Milliarden Kubikmeter in Form von LNG). Turkmenistan lieferte 2,9 Milliarden, Russland – 2,4 Milliarden Kubikmeter (darunter über eine Milliarden Kubikmeter in Form von LNG, was zu einem neuen Maximum in der Geschichte der Lieferungen wurde), Australien lieferte 2,3 Milliarden Kubikmeter. Und China selbst hatte noch in jenem Monat 17 Milliarden Kubikmeter gefördert.
Das heißt, die Situation ist eine absolut marktwirtschaftliche. Und um auf diesen Markt eigene zusätzliche Mengen zu bringen, muss sich Russland anstrengen. Und es geht nicht nur um eine physische Absicherung der Lieferungen von Gas, für dessen Umleitung „aus dem Westen“ noch die erforderliche Infrastruktur geschaffen werden muss.
Moskau hat dieser Tage das zweite Basisfeld – das Kovykta-Feld — für eine Versorgung von China mit Gas über die Pipeline „Power of Siberia“ in Betrieb genommen. Die Veranstaltung mit einer Online-Teilnahme von Präsident Wladimir Putin (https://ngdeutschland.de/wie-wladimir-putin-versuchte-beim-gazprom-chef-die-hohe-des-durchschnittsverdienstes-der-direkt-vor-ort-in-kovykta-tatigen-mitarbeiter-zu-erfahren/) fiel mit einem Peking-Besuch des stellvertretenden Vorsitzenden des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dmitrij Medwedjew, zusammen, der sich „über die Parteilinie“ (Medwedjew ist auch Vorsitzender der Kremlpartei „Einiges Russland“ – Anmerkung der Redaktion) mit dem Staatsoberhaupt der Volksrepublik China und Chef der KP Chinas, Xi Jinping, traf.
Details des Besuchs wurden nicht veröffentlicht, da aber Medwedjew früher nicht nur Präsident und Premier der Russischen Föderation, sondern auch Vorsitzender des Direktorenrates von „Gazprom“ gewesen war, begannen Experten, Vermutungen anzustellen, wonach zu einem der Hauptthemen der Gespräche zusätzliche Gaslieferungen aus der Russischen Föderation geworden seien. Und der geschlossene Charakter des Themas löste die Annahmen aus, dass China die neuen Mengen zu weitaus geringeren Preisen als gegenwärtig bekommen möchte. Und angesichts des Interesses der Russischen Föderation an dem Partner vor dem Hintergrund der geopolitischen Konfrontation „haben die Chinesen alle Karten in den Händen“. Das heißt, die Volksrepublik China erhielt Vorteile in Bezug auf die Verhandlungspositionen.
Im Oktober hatte sich der Durchschnittspreise für den Gasimport auf einem Stand von 545 Dollar für 1000 Kubikmeter eingependelt, meldete der Zolldienst das Reiches der Mitte. Laut Schätzungen von Experten werde entsprechend den Ergebnissen für das Jahr 2022 der Preis für den Verkauf von „Gazprom“-Gas in die Länder der EU 1000 US-Dollar für 1000 Kubikmeter Gas ausmachen. Aber dies ist keine Sache der Konjunktur. Die Frage besteht darin, dass Russland lange Jahre superbilliges Gas nach Europa geliefert hatte (noch im Jahr 2020 kostete es nicht mehr als 200 Dollar). Jetzt hat die EU von diesem Abstand genommen, wobei sie im zu Ende gehenden Jahr für Energieträger bis zu einer Billionen Dollar überbezahlt. Und der Wettbewerbsvorteil in Gestalt einer Unterstützung durch preiswerte russische Energieträger wechselt nach China, wenn auch nicht schnell.
Die Realisierung solcher Projekte wie „Power of Siberia“, die Fernost-Route, wird erlauben, schon zum Jahr 2025 die Gaslieferungen gen Osten bis auf 48 Milliarden Kubikmeter Gas zu erhöhen, und bis zum Jahr 2030 – bis auf 88 Milliarden Kubikmeter, teile der zuständige russische Vizepremier Alexander Nowak mit.
Post Scriptum:
In seiner Neujahrsbotschaft an die Belegschaft und Freunde teilte „Gazprom“-Chef Alexej Miller mit, dass China schon bald fast 100 Milliarden Kubikmeter Gas von dem Konzern erhalten werde. Dabei betonte er, dass der weltweite Verbrauch von nach Erdgas in den nächsten 20 Jahren um 20 Prozent zunehmen werde. Und 40 Prozent würden dabei allein auf China entfallen.