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Warum man die Berliner Mauer als „Schandmauer“ bezeichnete


Vor 60 Jahren, am 13. August 1961, begann die Errichtung der Berliner Mauer, die Europa teilte und zu einem Symbol des Kalten Krieges wurde. Um die Gründe für die Errichtung der Mauer und ihres Abrisses zu begreifen, muss man sich der Geschichte der Herausbildung des Nachkriegseuropas zuwenden. In der Geschichtsliteratur wird in diesem Zusammenhang der Begriff „zweite Berliner Krise von 1958 bis 1962“ verwendet. Der Bau der Berliner Mauer war lediglich ein Kulminationspunkt dieser Krise.

Als traditionellen Grund für die Errichtung der Berliner Mauer nannte man zu Zeiten des Bestehens der DDR sowohl die Flucht ostdeutscher Spezialisten als auch die Wühltätigkeit der Westmächte vom Territorium Westberlins aus. Das Überschreiten der praktisch unbewachten Sektorengrenze in Berlin war beinahe die einzige legale Methode für hunderttausende Ostdeutsche, die mit der Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) nicht einverstanden oder mit ihrer wirtschaftlichen Lage unzufrieden gewesen waren, um in den Westen zu gelangen.

Im Jahr 1961 hatten die DDR 207.000 Menschen verlassen, und insgesamt ab 1949 (der Zeit der Gründung der beiden deutschen Staaten) bis einschließlich 1961 hatten 2,7 Millionen Menschen den „ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden“ verlassen. Daher hatte man in der DDR die Mauer als antifaschistischen Schutzwall bezeichnet, in der damaligen BRD aber wurde praktisch bis Ende der 60er Jahre ein Begriff verwendet, den Willy Brandt, der damals Regierende Bürgermeister von Westberlin war, in Umlauf gebracht hatte – „Schandmauer“. Aber alles war weitaus komplizierter. Berücksichtigen muss man vor allem die historischen Bedingungen, die dem Bau der Mauer vorangegangen waren.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war Deutschland in vier Besatzungszonen der vier Siegermächte – der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs – aufgeteilt worden. Dementsprechend war auch Berlin in Sektoren aufgeteilt worden. Die Macht in der Stadt wurde durch eine Alliierte Kommandantur wahrgenommen, der Vertreter aller Länder der Antihitlerkoalition angehörten.

Gerade das Jahr 1948 kann man als Jahr des Beginns der Teilung der Stadt ansehen. Die Sache ist die, dass es 1947/Anfang 1948 zu einer Vereinigung der drei westlichen Besatzungszonen gekommen war. Am 20. März 1948 verließ die UdSSR den Alliierten Kontrollrat, womit der gemeinsamen Verwaltung Deutschlands faktisch ein Ende gesetzt wurde. Formeller Anlass dafür war die Ablehnung, Moskau Informationen über die Beschlüsse der separaten Beratung der Westmächte zur deutschen Frage in London Anfang März des genannten Jahres zu übermitteln. Im Juni 1948 wurde in den westlichen alliierten Besatzungszonen einschließlich Westberlins eine Geldreform durchgeführt, und die westdeutsche Mark kam in den Umlauf. Die Durchführung der Geldreform wurde von der UdSSR als Vorwand für den Beginn einer ersten Blockade Westberlins ausgenutzt.

Am 24. Juni 1948 unterbricht die UdSSR die Landverbindungen Westberlins mit der Außenwelt. Ziel war es, die ehemaligen Verbündeten zu nötigen, die Stadt zu verlassen. Die Blockade dauerte elf Monate. Moskau erreichte aber nicht sein Ziel (unter anderem auch dank des Einsatzes der „Rosinen-Bomber“ im Rahmen der sogenannten Berliner Luftbrücke – Anmerkung der Redaktion). Übrigens, einige halten gerade dieses Datum für den Beginn des Kalten Krieges (generell gilt aber die Churchill-Rede vom 5. März 1946 in Fulton als Beginn des Kalten Krieges, als der konservative britische Oppositionsführer Winston Churchill erklärte, dass sich ein „eiserner Vorhang über den europäischen Kontinent gesenkt“ habe – ein Bild für die erkennbare Teilung Europas – Anmerkung der Redaktion).

Die zweite Teilung der Stadt steht mit noch einem Versuch einer Isolierung Westberlins in Verbindung. Formell war die Entscheidung über die Errichtung der Mauer in Form von Empfehlungen bei einer Beratung der Generalsekretäre der kommunistischen und Arbeiterparteien der Länder des Warschauer Vertrages vom 3. bis 5. August 1961 gefällt worden. Bereits am 7. August wurde auf einer Tagung des Politbüros des ZK der SED der Beschluss über die Schließung der Grenze mit Westberlin gefasst worden. Die Entscheidung des ostdeutschen Parlaments – der Volkskammer der DDR – folgte am 11. August, und am darauffolgenden Tag wurde der entsprechende Beschluss des Ministerrates der DDR verabschiedet. Obgleich wenige Monate zuvor, noch im März 1961, auf einer in Moskau erfolgten Tagung des Politischen Konsultativrates der Mitgliedsländer des Warschauer Vertrags, die Idee, die Grenze mit Westberlin zu schließen, die der damalige Staatsratsvorsitzende der DDR Walter Ulbricht aktiv verfochten hatte, abgelehnt worden war.

Als Beginn der zweiten Berliner Krise, die zum Bau der Mauer führte, betrachtet man das Ultimatum des sowjetischen Staatschefs Nikita Chrustschow vom 27. November 1958. In dem war die Forderung enthalten, die Verwaltung Berlins durch die vier Alliierten zu beenden und Westberlin in eine demilitarisierte freie Stadt zu verwandeln. Am 7. April 1961 stellte Chrustschow ein neues, noch härteres Ultimatum, in dem er erklärte, dass er bis zum Jahresende einen Friedensvertrag mit der DDR abschließen und ihr die gesamte Machtfülle hinsichtlich des Ostteils der Stadt übergeben werde, wenn die amerikanische Seite seine Forderungen ignoriere… Obgleich mit dem damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower im Verlauf des USA-Besuchs von Chrustschow im September 1959 sogar eine prinzipielle Vereinbarung über die Einberufung einer Konferenz zur Überprüfung des Status von Berlin im Mai 1960 nach Paris erreicht worden war.

Übrigens, die Frage hinsichtlich eines Friedensvertrages mit Deutschland ist nach wie vor Gegenstand eines Historiker-Streits, da die UdSSR mit der BRD doch keinen solchen Vertrag abgeschlossen hatte. Ja, und auch die Konferenz zum Status von Berlin wurde nichts, nachdem am 1. Mai 1960 bei Swerdlowsk (dem heutigen Jekaterinburg) ein US-amerikanisches U-2-Spionageflugzeug mit Francis Gary Powers abgeschossen wurde.

Was ereignete sich aber zwischen dem März 1961, als die Idee vom Bau der Berliner Mauer abgewiesen wurde, und dem August des gleichen Jahres, als der Beschluss über ihre Errichtung gefasst und ihr Bau begonnen wurde?

Am 4. Juni 1961 fand in Wien ein sowjetisch-amerikanisches Gipfeltreffen zwischen Chrustschow und dem neuen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy statt. Gerade bei ihm waren die beiden Staatsoberhäupter in der Beurteilung der Situation in Berlin weit auseinander geraten. Kennedy war der Auffassung, dass geringste Zugeständnisse in der Berlin-Frage als ein Zeichen von Schwäche sowohl der USA als auch seiner persönlichen wahrgenommen werden und eine negative Reaktion der Presse und amerikanischen Verbündeten provozieren würden.

Danach gab Chrustschow auch grünes Licht für die Errichtung der Berliner Mauer. Im Grunde genommen drängen sich Parallelen zur heutigen Situation in den russisch-amerikanischen Beziehungen von selbst auf.

Die amerikanische Presse und die antirussisch eingestellten Politiker haben seinerzeit alle Versuche für die Anbahnung von Beziehungen zwischen Moskau und Präsident Donald Trump zum Scheitern gebracht. Eine analoge Situation ist auch hinsichtlich Joseph Bidens zu beobachten.

1961 wurde zu einem Opfer der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington Berlin. Heute steht auf der Tagesordnung ein größerer Kreis von Fragen, die die Interessen nicht nur Europas, sondern auch der ganzen Welt tangieren.