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Warum man die Rechtsschützer nicht voll zum Zuge kommen lässt


Der Chef des Untersuchungskomitees Russlands Alexander Bastrykin hat jüngst eine Beratung aufgrund der von Gerichten gefällten Freisprüche zu Strafverfahren, die sich im Zuständigkeitsbereich der Untersuchungsorgane befanden, durchgeführt. Obgleich die Freisprüche weniger als ein Prozent ausmachten, hielt Bastrykin dies für ein besorgniserregendes Signal und kritisierte die Unterstellten in den Regionen, wo dieser Wert zunimmt. Verständlicherweise hat es nicht ein einziger Untersuchungsbeamter gern, wenn seine Statistik verdorben wird. Doch für einen einfachen Menschen ist es einfach unmöglich zu erklären, warum ein Prozent an Freisprüchen zu viel sei. Für die Menschen, die nicht mit den Untersuchungsbehörden verbunden sind, erscheinen die Beanstandungen des Chefs des Untersuchungskomitees gegenüber den Unterstellten als merkwürdige. Schließlich erwartet man von den Gerichten, dass sie die Wahrheit herausfinden können.

Und Generalstaatsanwalt Igor Krasnow hat aufgefordert, seltener Haftstrafen für Schmiergeldempfänger durch Geldstrafen zu ersetzen. Der Vorschlag durchlaufe erst noch alle Abstimmungen. Der Staatsanwaltschaft sei es aber schon gelungen, die Anzahl der Urteilssprüche mit einer milderen Bestrafung um mehr als 50 Prozent zu verringern, teilte er mit. Die Bekämpfung von Schmiergeldgebern und -empfängern ist ein Thema, mit dem man punkten kann. Bezeichnend ist aber, dass es in Russlands Praxis der Rechtsanwendung viele andere Probleme gibt, die man mit immer neuen Bestrafungsmaßnahmen nicht löst. Gebraucht wird eine entgegengesetzte Vorgehensweise. Doch mit mildernden Initiativen beeilt sich das Rechtsschutzsystem nicht aufzutreten. Und es versucht sogar, zum Teil dies zu widerrufen, was schon angenommen wurde und funktionieren müsste. Der bereits erwähnte Krasnow ließ jüngst durchblicken, dass man Festnahmen aufgrund von Wirtschaftsverbrechen nicht oft anwenden würde. Innerhalb des Jahres seien nur ganze 143 Anträge gestellt worden. Solch eine Beurteilung macht die Norm der Strafprozessordnung zu einer sinnlosen, die darauf abzielt, dass diese Sicherungsmaßnahme in Bezug auf Unternehmer überhaupt nicht angewandt wird.

Es entsteht der Eindruck, dass die Vertreter der Rechtsschutzorgane gern völlig zum Zuge kommen würden, man ihnen dies aber vorerst nicht erlaubt. Ein charakterisierendes Beispiel der letzten Tage ist die Behandlung von Änderungen am Gesetz über die Polizei in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion), die die Vollmachten der Mitarbeiter der Organe des Innern erweitern. Die umstrittensten Bestimmungen haben in die verabschiedete Variante des Gesetzentwurfs keinen Eingang gefunden. Unter den von den Abgeordneten abgewiesenen Anträgen des Innenministeriums waren vage Begründungen für den Waffeneinsatz durch Polizisten und deren faktische Befreiung von einer Haftung für Handlungen, die bei Wahrnehmung der Dienstpflichten begangen worden sind.

Oder da ist der Skandal um den methodischen Einsatz von Folterungen in den Strafvollzugseinrichtungen und deren Vertuschung durch das gesamte Rechtsschutzsystem vor Ort. Präsident Wladimir Putin hat nun auch den Leiter des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug Alexander Kalaschnikow entlassen. Und beim Treffen mit den Mitgliedern des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen hat er zu verstehen gegeben, dass er die Situation unter seiner Kontrolle habe und dass er das Ergreifen von Maßnahmen zur Veränderung des Systems unterstütze. Und nicht nur hinsichtlich der Frage der Unzulässigkeit von Foltern, sondern auch in Bezug auf die Notwendigkeit, die Anwendung von Einschränkungen und Bestrafungen, die mit keinem Freiheitsentzug verbunden sind, auszudehnen.

Es gibt Bereiche, in denen die Herrschenden ohne Fragen das überaus weite Mandat der Vertreter der Rechtsschutzorgane unterstützen. Dies ist alles, was die Einschränkung der politisierten Protesttätigkeit und den Schutz der nationalen Sicherheit betrifft. Die Überarbeitung der Gesetzgebung und der Rechtsanwendungspraxis erfolgt ständig zu diesen Fragen. Die Zahl der Verfahren aufgrund von Aufrufen zu Extremismus und der Rechtfertigung von Terrorismus nimmt zu. Gegen die Teilnehmer von Oppositionsmeetings sind die Strafrechtsparagrafen über eine Blockierung von Transportwegen und die Einhaltung sanitärhygienischer Normen ausgerichtet. Rehabilitiert wurde der Paragraf über mehrfache Verstöße bei Meetings usw. Das Gesetz, dass die Haftung für die Preisgabe von Personendaten von Vertretern der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane und deren Verwandten verschärft, ist offenkundig als Antwort auf die spektakulären politisierten Nachforschungen verabschiedet worden. Auf ihre Art und Weise symbolisch sieht die Entscheidung des Obersten Gerichts über die Ablehnung aus, die Namen derjenigen Tschekisten (Geheimdienstler) preiszugeben, die an den Repressalien (unter Stalin) teilgenommen hatten. Sie macht die Kaste der Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane selbst für Historiker zu einer unantastbaren.

Doch außerhalb dieser Bereiche haben die Vertreter der Rechtsschutzorgane ungeachtet ihrer Bestrebungen keine vollkommen freie Hand. Die Korporation dieser Vertreter ist eine der Hauptstützen des (derzeitigen) politischen Staatsaufbaus. Sich jedoch nur auf sie zu stützen, wäre nicht weitsichtig.