Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Warum Russland den Informationskrieg verliert


Wenn begonnen wird, von nichtmilitärischen und hybriden Handlungen zu sprechen, ist meistens von einer sanften Gewalt die Rede, von unterschiedlichen Formen einer Volksdiplomatie sowie der Strategie und Taktik von Informationskriegen. Und nur wenige erinnern sich an die wissenschaftlichen Instrumentarien sowie an die Rolle wissenschaftlicher Arbeiten bei der Ausprägung des öffentlichen bzw. gesellschaftlichen Denkens und bei den Informations- und psychologischen Konfrontationen. Leider haben sich viele an ein Denken im Format von Clips gewöhnt und machen sich keine Gedanken darüber, was sich hinter der anderen Seite des Bildschirms verbirgt.

Doch gerade wissenschaftliche Arbeiten und nicht emotionale und zerstreute Kommentator-Bewertungen bei den Talk-Shows der Funk- und Fernsehkanäle kann man als schwere Waffen und weitreichende Artilleriesysteme ansehen. Eine wirkungsvolle Vernichtung von Zielen sowie eine massive Wirkung, die durch eine mächtige Kanonade und eine sozial-psychologische Beeinflussung ergänzt wird, sind imstande, die militärpolitische Lage auf den Schauplätzen der Kriegs- und Nichtkriegshandlungen zu verändern.

DAS GEPLANTE BUTSCHA

Nach Beginn der sogenannten militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine gelangten die Vorbereitung und Veröffentlichung von Texten zusammengefasster Berichte in Massenauflagen zu drei Schlüsselthemen auf die Tagesordnung:

  1. der von Moskau erklärte und der Ukraine angelastete Genozid der Russen im Donbass;
  2. die Militarisierung und Wege zu einer von Moskau angestrebten und erklärten Demilitarisierung der ukrainischen Gesellschaft und des ukrainischen Staates;
  3. die internationale und historische Bedeutung der Sonderoperation der Streitkräfte der Russischen Föderation zur Unterstützung der Streitkräfte der Donbass-Republiken LVR und DVR in der Ukraine.

Zu diesen drei Themen kam im April dieses Jahres noch eines hinzu, ein engeres, jedoch wichtigeres: Die aus Moskauer Sicht großangelegte Provokation des Selenskij-Regimes (eine Wortwahl gemäß dem offiziellen russischen Sprachgebrauch – Anmerkung der Redaktion) in der Stadt Butscha des Kiewer Verwaltungsgebietes. Was können wir ihr entgegensetzen?

Leider müssen wir in der Regel den Kopf einziehen und sozusagen als zweite Nummer agieren. Wir schaffen keine Informationsanlässe, sondern reagieren nur auf sie.

Urteilen Sie selbst! Eine der unklaren Episoden im März dieses Jahres, die einige Tage später durch die Kiewer Propaganda bis zu Dimensionen von Ereignissen internationalen Maßstabs aufgebauscht wurden, wurde zum Anlass für die Annahme von Entscheidungen durch die USA und eine Reihe europäischer Staaten über die Entsendung von Waffen in die Ukraine.

Aber unklar war sie, diese Episode, nur für uns. Doch vom Kiewer Regime war sie vorab geplant gewesen. Gemeint ist die zynische Provokation in Butscha, wo laut Moskauer Sichtweise Nationalisten Zivilisten mit weißen Bändern an den Ärmeln erschossen und dieses Verbrechen als eine Gräueltat der russischen Truppen dargestellt hätten.

Die Provokation in Butscha ist bereits Vergangenheit. Aufgetaucht ist ein Video, auf dem ukrainische Kämpfer den Leichnam eines Getöteten mit einem Strick an einen Straßenrand zerren. Die scheußliche Empfindung von all diesem liegt nach wie vor jedem anständigen Menschen auf der Seele.

Die Provokation diente als ein Anlass für eine Verstärkung der finanziellen Unterstützung für das Kiewer Regime und für eine Serie von Besuchen europäischer Politiker in Kiew und dessen Umgebung. Was den Übergang zu einer neuen Runde der Konfrontation des Westens mit der Russischen Föderation markierte.

Die Tücke der Absichten der Organisatoren dieser Provokation darf nicht unterschätzt werden, allein schon aufgrund der Analogie zum jugoslawischen Srebrenica von 1995. Die Ereignisse von Srebrenica gelten als ein Genozid und größter Massenmord in Europa nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges.

Dass die ukrainische Seite den Geschehnissen in Butscha erhöhte Bedeutung beimisst, belegen die Auftritte von Präsident Wladimir Selenskij und Außenminister Dmitrij Kuleba mit Appellen an die internationale Gemeinschaft, die Besuche europäischer Politiker in der Hauptstadt der Ukraine sowie die Etablierung eine speziellen Wikipedia-Seite.

Während Anfang April die Verantwortung für die unbewiesenen Erschießungen konkreten Armee-Einheiten der Streitkräfte der Russischen Föderation angelastet wurde (darunter solchen, die im März 2022 in der Nähe von Kiew nicht gehandelt hatten), begann man etwas später, die Anschuldigungen in einer verallgemeinerten Form zu formulieren – persönlich an die Adresse von Russlands Präsident. „So wie die Befehle – so auch die Umsetzung“ versucht Wladimir Selenskij, alles auf einen Punkt zu bringen.

EINE ORGANISIERTE RESONANZ

Der Bundesnachrichtendienst Deutschlands, der angeblich Gespräche russischer Militärs abgehört haben will, besteht darauf, dass die Ermordung von Zivilisten Teil einer Strategie der russischen Armee zur „Einschüchterung der Zivilbevölkerung und Unterdrückung von Widerstand“ sein könne. Und Vertreter der internationalen humanitären Organisation Human Rights Watch sprechen vom Geschehen gar wie über „ein potenzielles Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Die Generalsekretärin der berüchtigten, in Großbritannien gegründeten und international agierenden Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Dr. Agnès Callamard, versichert, dass „die schrecklichen Meldungen aus Butscha keine Einzelfälle sind und wahrscheinlich Teil eines noch umfangreicheren Schemas von Kriegsverbrechen inklusiver außergerichtlicher Hinrichtungen, Folterungen und Vergewaltigungen in anderen besetzten Gebieten der Ukraine sind“. Ja, ebenso. Was heißt, sie sind angekommen.

Je weiter – umso mehr. UN-Generalsekretär António Guterres ruft auf, eine unabhängige Untersuchung vorzunehmen. Und der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba, der sich an Wissenschaftler der ganzen Welt wandte, akzentuiert die Wichtigkeit einer wissenschaftlichen Untersuchung der Ursachen für das Blutbad in Butschas, da seiner Meinung die russischen Offiziellen und die russische Propaganda im Verlauf vieler Jahre „Hass schürten, die Ukrainer dehumanisierten, eine russische Überlegenheit kultivierten und den Boden für diese Missetaten bereiteten“ (womit er teilweise sicher richtig liegt – Anmerkung der Redaktion).

Vor diesem Grund erscheint die Reaktion unseres Landes als eine äußerst unzureichende: vereinzelte Erklärung des russischen Außenministers, des Pressesekretärs des Präsidenten der Russischen Föderation, des Ständigen Vertreters Russlands bei den Vereinten Nationen, des Pressedienstes von Russlands Verteidigungsministerium (die von den staatlichen Medien jedoch im großen Umfang und mehrfach verbreitet werden, während eine entsprechende Reaktion der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und des Präsidiums der Russischen Akademie der Wissenschaften ausbleibt).

Erforderlich sind jedoch nicht nur Antworten und Dementis. Nicht nur eine Erörterung der plumpen Details der Provokation in Sendungen der TV- und Hörfunkkanäle zwecks Verurteilung der politischen Drehbuchautoren und Regisseure (zumal diese immer weniger das anvisierte Publikum aufgrund einer totalen Übersättigung erreichen – Anmerkung der Redaktion). Sondern auch Informationssalven – mächtige, argumentierte und überzeugende. Unter Berücksichtigung der sowjetischen Erfahrungen aus der Entlarvung der Nazi-Verbrecher, der recht wirkungsvollen Arbeit der sowjetischen Delegation beim Nürnberger Tribunal 1945-1946.

ZUM GEGENANGRIFF ÜBERGEHEN

Was für Schlussfolgerungen ergeben sich aus all diesem?

Eines der Ereignisse des Märzes und Aprils dieses Jahres (eine Folge der Provokation in Butscha, die bereits aufs internationale Trapez gebracht wurde, obgleich sie auch nicht aufgeklärt worden ist) ist der überaus mächtige Versuch, die Russische Föderation zu diskreditieren. Diese Aktion bedeutet:

erstens, den Übergang zu einer neuen Etappe der Ausübung von Druck auf Russland;

zweitens, eine personifizierte Attacke gegen die politische und Militärführung Russlands;

drittens, eine pauschale Bezichtigung von Militärs der russischen Armee (die Nationalisten haben gegen die Kämpfer und Kommandeure konkreter Truppenteile, die sich im März dieses Jahres in Butscha befunden hatten, ohne eine jegliche Untersuchung Urteile gefällt).

In der Kette der letzten Ereignisse zur Diskreditierung der Russischen Föderation durch den Westen besitzt die Provokation in Butscha eine größere internationale und symbolische Bedeutsamkeit. Man kann sie mit der abschließenden Etappe der Attacke gegen die politische und militärische Führung Serbiens in den 1990er Jahren vergleichen.

Unter diesen Bedingungen ist eine Erörterung der Provokation im Kiewer Vorort Butscha bei einer Sitzung des Sicherheitsrates von Russland erforderlich. Mit einer Festlegung entsprechender Maßnahmen – darunter einer informationsseitigen Antwortsalve auf der Grundlage umfassender und argumentierter wissenschaftlicher Arbeiten. Den Start zu dieser Tätigkeit könnte ein Präsidentenerlass über die Formierung einer Sonderkommission unter Leitung eines der angesehenen russischen Politologen oder Juristen befördern. Auf jeden Fall darf man dies alles nicht unbeantwortet lassen.

Diese Kommission kann auf der Grundlage des Instituts für Staat und Recht der Russischen Akademie unter Leitung des Generaloberst der Justiz und Korrespondieren Mitglieds der Russischen Akademie der Wissenschaften, Dr. sc. jur. Alexander Sawenkow, gebildet werden. Sie könnte zu einem koordinierenden Zentrum für die umfangreiche und langwierige Arbeit werden.

Die Informationssalven der russischen Wissenschaft im Zusammenhang mit der internationalen Provokation in Butscha und eine argumentierte Antwort russischer Wissenschaftler sind in der Lage, die Hitzköpfe im Westen abzukühlen sowie das Maß der Verantwortung der Drehbuchautoren und Regisseure für die Vorbereitung blutiger Provokationen und deren Durchführung zu bestimmen.

Die Bildung einer russischen Kommission zur Untersuchung der Provokation von Butscha kann einen Komplex militärpolitischer und praktischer Aufgaben lösen. Unter anderem:

— eine Übernahme der Nachrichten-Agenda durch die russische Seite;

— eine wissenschaftliche Untermauerung der Informations- und Faktenbasis, die im Ergebnis einer umfangreichen Arbeit des Untersuchungskomitees von Russland zur Aufklärung der „Kriegsverbrechen des Kiewer Regimes“ geschaffen wird;

— militärrechtliche Bewertungen für die Massenerschießung von friedlichen Einwohnern in Butscha (zu deren faktischen Organisator aus Moskauer Sicht das Regime von Wladimir Selenskij geworden sei) durch das Prisma der Kriterien des Nürnberger Prozesses (worüber ausführlich und markant der bereits erwähnte Direktor des Instituts für Staat und Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften Alexander Sawenkow in der Autoren-Monografie „Nürnberg. Ein Urteil im Namen des Friedens“ geschrieben hatte);

— die Herausgabe einer ernsthaften wissenschaftlichen Arbeit in einer hohen Auflage zwecks Übergabe an Spitzenvertreter staatlicher Machtorgane, Führungskräfte von Bildungseinrichtungen und diplomatischen Vertretungen Russlands im Ausland sowie an ausländische Journalisten.

Dies sind weitreichende Waffen. Mächtige Informationssalven sind heute als adäquate Antworten für den Westen extrem notwendig und zeitgemäß.