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Warum sich Studenten gern dem Alkohol hingeben


Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation gehört Russland zur Top 20 der am meisten Alkohol konsumierenden Länder. Das Problem der Trunksucht unter Studenten existiert gleichfalls. Allgemein bekannt ist die Tatsache, dass der Bildungsgrad den Alkoholgenuss verringert. Eine jüngste Untersuchung der Nationalen Forschungsuniversität „Wirtschaftshochschule“ hat solch eine Verbindung bestätigt. Gleichzeitig aber hat sie auch einige neue Details ermittelt.

Was fördert das Trinken der Jugendlichen und insbesondere der studentischen Jugend? Es genügt, durch die Randbezirke großer Städte zu fahren, um sich davon zu überzeugen, dass die Anzahl der Biergeschäfte und Alkoholmärkte erfolgreich mit den Lebensmittelgeschäften konkurriert. Das heißt, es gibt viele Einrichtungen für einen Alkoholgenuss.

Ein weiterer Faktor, der die Zunahme des Alkoholkonsums unter den Studenten fördert, ist der große Umfang an freier Zeit. Die Studenten besuchen hauptsächlich drei bis vier Lehrveranstaltungen am Tag (sechs bis acht akademische Stunden). Dies nimmt die erste Tageshälfte ein. Ja, aber was in der zweiten Hälfte tun? Das Kommunizieren deckt sich oft mit einem Trinken alkoholischer Getränke. Dies ist auch eine Tatsache.

Gleichfalls wirkt die sogenannte Krise der Übergangsperiode auf die Studenten. Das Verlassen der Eltern und das Fehlen einer Kontrolle seitens der Eltern haben hier auch Bedeutung. Das Leben im Wohnheim oder in einer gemieteten Wohnung – dies ist eine Zeit des Ungebunden-seins und die Möglichkeit, das zu tun, was früher nicht erlaubt wurde. Dies führt bei einer Unfähigkeit, sich zu kontrollieren, zu einem Missbrauch von Alkohol. Das Nichtvorhandensein von Gesundheitsproblemen heizt das Interesse für eine zügellose Lebensweise an. Solang du jung bist und solang der Organismus wie ein Uhrwerk arbeitet – warum sollte man sich da nichts erlauben?

Natürlich, alles Aufgezählte macht bei weitem nicht die Hauptursachen für den Alkoholismus unter der studentischen Jugend aus. Hier gibt es auch noch viele Probleme globalerer Art. Und es gelingt in keiner Weise, das Problem mit belustigenden Clips gegen Alkoholgenuss zu lösen. Sie können sogar eine entgegengesetzte Reaktion der Jugendlichen auslösen. Gelöst werden diese Probleme durch grundlegende Reformen in verschiedenen Lebensbereichen – angefangen beim Bildungswesen bis hin zur Wirtschaft. Welche Rolle kann hier die Ausbildung spielen?

Die Mitarbeiter der Nationalen Forschungsuniversität „Wirtschaftshochschule“ Sergej Rostschin und Jana Rostschina haben eine Untersuchung durchgeführt. Die von ihnen gewonnenen Daten veranlassen, eine Neubewertung der Relevanz des Faktors Ausbildung vorzunehmen. Bisher gilt er als einer der wichtigsten bei der Verringerung des übermäßigen Alkoholgenusses.

Das Hauptziel ihrer Arbeit bestand in einer Überprüfung des Einflusses der nichtkognitiven Fertigkeiten, die zur sogenannten „Großen 5“ („Big Five“) der Persönlichkeitscharakteristika gehören. Dieser Begriff wurde 1981 durch den US-amerikanischen Psychologen Lewis Goldberg eingeführt. In der „Big Five“ vereinte er Gewissenhaftigkeit (Bewusstheit), Extraversion (die Orientierung der Interessen und Energie des Menschen auf die äußere Welt und nicht auf die subjektiven Erfahrungen), Neurotizismus (emotionale Stabilität oder Instabilität), Offenheit für Erfahrungen (Kreativität, Neugier, Aufgeschlossenheit, gute Vorstellungsfähigkeit) und Verträglichkeit (die Fähigkeit, sich auf Kompromisse einzulassen und freundlich zu sein, Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie).

Die Hauptschlussfolgerung der Soziologen aus der Wirtschaftshochschule ist: Die Besonderheiten der Persönlichkeit bestimmen die Haltung zum Alkohol und sagen die Wahrscheinlichkeit und den Umfang des Konsums voraus. Zum Beispiel: Je gewissenhafter ein Mensch ist, umso weniger trinkt er und umso größer sind die Chancen, dass er damit nicht anfängt. Zumal Gewissenhaftigkeit auch noch Weitsichtigkeit ist. Bei solchen Menschen sind die Selbstkontrolle, das Bedürfnis an Akkumulierung menschlichen Kapitals (Investitionen in die eigene Gesundheit und Ausbildung) sowie die Orientierung auf eine gesunde Lebensweise besser entwickelt.

Extravertierte trinken mehr, kreative und neu- bzw. wissbegierige junge Menschen – weniger. Im Unterschied zur Gewissenhaftigkeit ist der Effekt der Extraversion ein entgegengesetzter. Die Orientierung auf die äußere Welt, der Drang nach Kommunikation führen zu häufigen sozialen Kontakten und folglich zu einer größeren Möglichkeit zu trinken und zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit, auf ein Gläschen zu verzichten. Bei den für neue Erfahrungen offenen Menschen ist die Abhängigkeit eine entgegengesetzte. Je stärker dieser Wesenszug der Persönlichkeit, desto geringer ist der Alkoholgenuss.

Es gibt auch einen Unterschied beim Alkoholkonsum hinsichtlich der Geschlechter. In diesem Fall hängt alles von der Motivation ab. Bei Männern wird der Alkohol häufiger mit dem Streben assoziiert, angenehme Empfindungen zu erhalten, bei Frauen – mit einem Schutz vor negativen Emotionen.

All dies erlaubte den Wissenschaftlern, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Universitäten und Colleges ein neues soziales Umfeld eröffnen, doch die Persönlichkeitseigenschaften, die mit einer Einschränkung des Alkoholgenusses zusammenhängen (zum Beispiel Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Neurotizismus), sind zum Zeitpunkt des Beginns des studentischen Lebens bereits ausgeprägt.

Die Soziologen fragen: Berücksichtigt dies die staatliche Politik? Und die zweite Frage: Ist es nicht spät, sich auf eine prophylaktische Arbeit beginnend ab der Studentenzeit zu konzentrieren? Wenn sich die persönlichen Wesenseigenschaften, die den Hang zum Alkohol provozieren, zu diesem Zeitpunkt schon herausgebildet haben, so liegt es auf der Hand, dass man früher handeln muss. Und positive psychologische Besonderheiten, in erster Linie die Bewusstheit, muss man bereits in der Schule, wenn nicht gar schon im Kindergarten entwickeln.