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Was belastet das geopolitische Bewusstsein der westlichen Hauptstädte?


 

Die Aufteilung der Welt in eine weltweite Mehrheit und die Länder des Westens hat ein prinzipiell neues (Kräfte-) Verhältnis in der Welt geschaffen. Darin besteht eines der Merkmale des Umbruchcharakters der von uns zu erlebenden Epoche.

Viele Jahre hatten die Angelsachsen und andere Länder des Westens die globale Tagesordnung formuliert. Unter den großen Initiativen kann man die Klima-Agenda hervorheben, hinter der konkrete wirtschaftliche Interessen stehen, vor allem der Länder des Westens. In der gleichen Reihe steht die „Grüne Agenda für Europa“, die letztlich zu Steuern und Gebühren führt, mit denen die Ressourcen produzierenden Länder belegt werden. Das Ziel ist das Erlangen eines technologischen Vorsprungs auf dem Gebiet der energiesparenden Technologien, der durch andere Länder finanziert werden und gleichfalls ein langfristiges Dominieren des Westens über der restlichen Welt, die der Chef der EU-Diplomatie Josep Borrell als Dschungel bezeichnet, fördern soll.

Sowohl die erste als auch die zweite Initiative haben scheinbar begonnen, unter den neuen politischen Bedingungen „zu floppen“. Man kann nur darüber staunen, mit welcher Rasanz die bundesdeutschen Grünen, die zur Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten gehören, ihre Agenda zugunsten illusorischer geopolitischer Imperative, die durch Washington aufgezwungen werden, aufgegeben haben.

Was kann und sollte Russland der Welt unter den Bedingungen der gegenwärtigen geopolitischen Revolution, die hinsichtlich ihrer Konsequenzen durchaus zu einem Weltkrieg neigt, vorschlagen?

Zu einem neuen Element unserer Außenpolitik müssen die für uns wichtigen und den Interessen der meisten Länder entsprechenden Lösungen für die aktuellen Probleme werden. Gerade sie müssen eine qualitativ neue globale Agenda gestalten, die eine Alternative zur westlichen ist.

Beginnen muss man mit einer radikalen Reformierung der UNO inklusive ihres Sicherheitsrates. Die Organisation muss die heutigen Realitäten und nicht die Situation gleich nach Ende des Zweiten Weltkrieges reflektieren. Der (Sicherheits-) Rat inklusiver seiner ständigen Mitglieder muss die kulturelle und zivilisatorische Mannigfaltigkeit der Welt, die der sich herausbildenden Multipolarität zugrunde liegt, zum Ausdruck bringen. Die Erfahrungen des Kalten Krieges und die nunmehrigen zeigen, dass andernfalls keinerlei wahrhaft kollektive Arbeit auf der Grundlage einer souveränen Gleichheit der Seiten und gegenseitigen Berücksichtigung der Interessen gelingen wird.

Entsprechend der neuen Konzeption für die Außenpolitik arbeitet Russland im Zusammenwirken mit Gleichgesinnten bereits aktiv an einer Verstärkung der völkerrechtlichen Grundsätze in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Die Vorgehensweise, die die internationale Mehrheit teilt, steht der vom Westen aufgezwungenen „Ordnung, die auf Regeln beruht“ und von einer kleinen Gruppe von Ländern formuliert wird, und dies verdeckt, hinter verschlossenen Türen, entgegen. Dies erlaubt, über ihren gelinde gesagt situativen Charakter und ihre Regeln für andere, aber in keiner Weise für sich zu urteilen.

Eine andere Richtung der Tätigkeit ist die Schaffung eines Raums von Frieden, Stabilität und gegenseitigem Vertrauen, eines gesamtkontinentalen, von Europa bis zum Pazifik und vom Nördlichen Eismeer bis zum Indischen Ozean. Dieser Raum ist ein Unterpfand für unsere Entwicklung und unser Prosperieren, aber auch unserer Sicherheit. Dies würde ein und für allemal das Problem des Heartlands (der massive nordöstliche Teil Eurasiens mit einer Gesamtfläche von über 15 Millionen Quadratkilometern) von Mackinder (entsprechend einer geopolitischen und -strategischen Theorie des britischen Geographen Halford Mackinder, die vor mehr als 100 Jahren entwickelt wurde und die Kernaussage formulierte: Wer das Herzland beherrscht, beherrscht die Welt. – Anmerkung der Redaktion) lösen, zumal das Bestreben, dieses zu kontrollieren, schon mehr als ein Jahrhundert das geopolitische Bewusstsein der westlichen Hauptstädte belastet.

Die ausbalancierte russische Außenpolitik erhöht unser Gefragtsein bei der Gewährleistung eines globalen Gleichgewichts. Im weiteren Sinne stärken diese Möglichkeiten politisch und wirtschaftlich die BRICS-Länder sowie die Staaten der Shanghai-Gruppe und der Eurasischen Wirtschaftsunion.

Daneben haben sich globale Probleme ergeben, die die internationale Mehrheit ohne Russland nicht zu lösen vermag. Der Westen ist hier außen vor. Er ist ein Verbraucher von Ressourcen, wobei er sie raubtierartig konsumiert, wobei er die Zukunft nicht nur der nächsten Generationen, sondern auch unseres Planeten an sich gefährdet. Dies ist die globale Lebensmittelsicherheit, die zuverlässige Lieferungen von Lebensmittel und Düngemittel einschließt. Die antiwestlichen Sanktionen und ein Scheitern des Getreide-Deals demonstrierten, wie fragil das weltweite Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage ist. Dieses Thema muss einen wichtigen Platz auf der globalen Tagesordnung einnehmen. Wie auch das Thema der Energieeffizienz, aber auch das der digitalen Souveränität. Zumal die Versuche des UNO-Generalsekretärs, seinen Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten, erwartungsgemäß von keinem Erfolg gekrönt worden sind.

Akut steht das Problem der Garantien für die Gewährleistung einer Kontinuität der Produktionsketten. Die totalen, dem Völkerrecht widersprechenden und den UN-Sicherheitsrat umgehenden westlichen Sanktionen führen zu einem Zusammenbruch der effektiven Weltwirtschaft, einer Zunahme der Kosten und letzten Endes zu einem Verlust der Ressourcen durch die meisten Länder für eine eigene Entwicklung.

Und ein letztes: Die Verwendung des Dollars und anderer westlicher Reservewährungen als eine Sanktionswaffe hat die Frage nach der Schaffung alternativer Devisen- und Finanzsysteme aufgeworfen, in denen die Länder der weltweiten Mehrheit ihre Ressourcen aufbewahren könnten. Daran arbeiten bereits die BRICS-Länder. Es ist wichtig, Varianten zu unterbreiten, die für die Länder des Nicht-Westens verständlich und komfortabel sind, die einen Zusammenbruch des westlichen Koordinatensystems aufgrund der unermesslichen Schulden der zu ihm gehörenden Länder befürchten.

Die Lösung des Problems der westlichen Kontrolle des entstandenen Devisen- und Finanzsystems ist nicht nur notwendig, weil das Dominieren des Dollars der neokolonialen Ausplünderung der Entwicklungsländer dient. Diese Kontrolle sichert die Bezahlung eines erheblichen Teils des Konsums Amerikas durch die gesamte übrige Welt. Es geht dabei um das Gesamtdefizit der laufenden Zahlungsbilanz und des föderalen Etats der USA, das in den letzten Jahren chronisch mehr als zehn Prozent des BIP der Vereinigten Staaten ausmacht. Und dies sind rund drei Billionen Dollar, die faktisch der weltweiten Entwicklung entzogen werden, was unter anderem zu einem Migrationsdruck des globalen Südens auf ausschließlich alle westlichen Länder inklusive der USA führt.

Es wird keine große Übertreibung sein, wenn gesagt wird, dass sich die Gesundheit der globalen Wirtschaft – und mit ihr auch das gesamte globale Management – als eine von der sehr fragilen Grundlage der Schwierigkeiten der innenpolitischen Entwicklung der Vereinigten Staaten abhängige erwiesen hat. Es genügt sich dessen zu erinnern, dass seinerzeit John Maynard Keynes die Einführung einer kollektiven internationalen Reservewährung unter einem kollektiven Management vorgeschlagen hatte. Die Amerikaner wiesen diese Idee zurück und nehmen nach wie vor weiter eine negativistische Position ein, obgleich für alle offensichtlich ist, dass schon längst die Zeit gekommen ist – wenn nicht für den Vorschlag von Keynes, so für ein ausgewogenes und stabiles globales Multi-Devisen-System.

Einfache Lösungen zur Überwindung der gegenwärtigen Situation in der Welt, in die der Westen sich und die gesamte übrige Welt gebracht hat, gibt es nicht. Es bestehen aber Varianten. Und an denen muss man kollektiv arbeiten, ohne abzuwarten, bis die westlichen Eliten aufhören, die neue Realität zu verleugnen.