Vor dem Hintergrund des am 19. Juli in Jekaterinburg nach einem Schnellverfahren zu 16 Jahren Freiheitsentzug verurteilten US-Journalisten Evan Gershkovich gingen die Informationen der weißrussischen Menschenrechtsorganisation „Wjasna“ vom gleichen Tag fast unter. Die berichtete, dass in der 3. Juni-Dekade der 30jährige deutsche Staatsbürger Rico Krieger in Minsk im Rahmen eines Prozesses hinter verschlossenen Türen zum Tode durch Erschießen verurteilt wurde. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass er im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes Angaben über militärische Objekte Weißrusslands sammelte, einen Terrorakt verüben wollte und sich als Söldner auf der Seite der Ukraine verdingt hatte. Am 20. Juli bestätigte Anatolij Glas, Sprecher des weißrussischen Außenministeriums, die Informationen über den Schuldspruch und erklärte, dass Minsk mit dem Auswärtigen Amt in Berlin diesbezüglich in Kontakt stehe. Später wurde gar bekannt, dass die Führung in Minsk nicht näher bezeichnete „varianten für eine Lösung“ des Falls vorgeschlagen habe. Aus der deutschen Hauptstadt war lediglich zu erfahren, dass Krieger konsularisch betreut werde und man mit Minsk im Kontakt stehe.
Eine weitere Entwicklung erlebte der Fall Rico Krieger nun am Donnerstag, dem 25. Juli. Das weißrussische Staatsfernsehen strahlte in den Abendstunden ein Interview mit dem gebürtigen Berliner aus, das von der Stilistik her an ein Interview von Roman Protasewitsch erinnerte. Der frühere Chefredakteur des weißrussischen oppositionellen Internetkanals NEXTA hatte nach seiner Festnahme im Minsker Flughafen vor Kameras des weißrussischen Fernsehens im Juni 2021 seine Tätigkeit gegen das Lukaschenko-Regime bereut, entkam jedoch keiner Haftstrafe, die freilich später in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wurde. Als Gegenleistung stellte er sich in den Dienst der weißrussischen Propaganda.
Nun wurde Rico Krieger vorgeführt. Auf Belarus-1 bedauerte er seine Tat, bat Staatsoberhaupt Alexander Lukaschenko um Gnade und erklärte, dass die deutsche Regierung nichts für seine Rettung tue. Der Wortlaut des fast 17 Minuten langen Interviews wurde im Übrigen auch auf der deutschsprachigen Internetseite der staatlichen Nachrichtenagentur Belta (https://deu.belta.by/society/view/der-sbu-hat-mich-fur-aufgaben-in-minsk-benutzt-deutscher-soldner-uber-terrorismus-66421-2024/) in großen Teil veröffentlicht. Der staatliche Fernsehkanal bezeichnete es als eine „Beichte“.
„Ich wurde als Rettungssanitäter ausgebildet und habe über ein Jahr lang in diesem Beruf gearbeitet, bei Hilfeeinsätzen nach Verkehrsunfällen und bei Herzinfarkten. In Deutschland ist das ein guter Beruf, ich habe die Ausbildung selbst finanziert. In Berlin dauert ein Rettungskurs 9 Monate. Ich habe dort theoretisches und praktisches Wissen erworben“, erzählte er die Vorgeschichte. „Außerdem habe ich im Sicherheitsdienst der US-Botschaft in Berlin gearbeitet. Dort habe ich gelernt, wie man mit Waffen umgeht. Sowohl mit Pistolen als auch mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr. Das Training mit Kurz- und Langwaffen fand alle drei Monate statt. Darüber hinaus bin ich mit dem Scharfschützengewehr vertraut.“ Mit Blick auf die Kontakte zur Ukraine und zu Geheimdienstkräften Kiews berichtete er weiter, dass er sich über die Ereignisse in der Ukraine per TV informiert und gedacht habe, dass er sich dort nützlich machen könne. Als Sanitäter verdiente er in Deutschland 2.800 Euro. Das ist weniger als im Regiment, dem er sich schließlich anschloss. „Aber sie boten mir 2.000 Euro pro Monat an. Im Falle meines Todes hätte die Familie eine ziemlich hohe Summe erhalten — etwa 420 Tausend Euro“, so der zum Tode verurteilte Krieger.
Er hatte nach eigenen Aussagen Bewerbungen an alle, die er finden konnte, geschickt, aber es stellte sich heraus, dass die Überprüfung der Dokumente ziemlich lange dauerte. Damit war er nicht zufrieden. Der erste Verband, der ihm auf sein Schreiben antwortete, konnte ihn nur nach einem Test, nach der Erfüllung bestimmter Aufgaben rekrutieren. „Ich kontaktierte ihre Betreuer aus dem SBU, dem Sicherheitsdienst der Ukraine. Sie überprüften meine Ausweise und riefen mich per Video auf meinem Handy an“, erzählte der 30jährige. Weiter sagte er, dass man ihm in einem der Gespräche angeboten habe, nach Minsk zu fliegen, um dort wichtige Aufgaben zu erfüllen. Bei Erfolg würde er nach Deutschland zurückkehren und von dort aus bereits in die Ukraine weiterreisen.
„Mir wurde erklärt, dass man mit mir einen Vertrag schließen würde, auf der Ebene des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Sie sagten, sie würden sich mit der deutschen Regierung in Verbindung setzen. Und dann kann ich mich einer ausländischen Militärformation anschließen. Heute denke ich, dass ich von dem SBU benutzt wurde, um Aufgaben in Minsk zu erfüllen. Ich habe kein Geld von ihnen bekommen, ich habe alles auf eigene Kosten gemacht. Damals kam mir das nicht seltsam vor. In den deutschen Medien heißt es doch immer: Man soll der ukrainischen Führung vertrauen, und ich habe ihr tatsächlich vertraut“, sagt Rico Krieger.
Die deutsche Botschaft in Minsk wusste um den Fall. „Ich hatte ein Treffen mit deutschen Diplomaten. Sie sagten, dass die Bundesregierung in meinem Fall nichts tun kann. Ich bat darum, dass sie mir wenigstens Kleidung geben. Denn ich hatte nichts. Geschweige denn Duschgel oder ein Handtuch. Und sie sagten mir: „Nur wenn dein Vater oder deine Verwandten das bezahlen. Aber sonst nicht“, berichtete Krieger, der keine Berufung gegen das Todesurteil einlegte. Du er gestand ein, dass er jeden Tag das Gefühl hat, völlig im Stich gelassen und betrogen worden zu sein. „Die Regierung sollte für mich kämpfen, aber das tut nur meine Familie. Die einzigen, die noch irgendwie für mich kämpfen, sind mein Vater, meine Mutter und meine Großmutter. Sie versuchen, die deutsche Regierung zu überreden, dass sie wenigstens etwas tut“, erklärte er.
Bisher ist unklar, wie das Auswärtige Amt in Berlin auf das Interview reagiert. Es bleiben aber auch andere Fragen, zum Beispiel: Was bezweckt Minsk mit der Ausstrahlung des Krieger-Interviews? Handelt Weißrussland möglicherweise im Schulterschluss mit Moskau, um einen Gefangenenaustausch auch im Interesse Russlands zu erzielen? Hinsichtlich der ersten Frage kommt einen in den Sinn, dass jüngst Minsk bis zum Jahresende ein visafreies Regime für mehrere westliche Länder inkl. Deutschland eingeführt wurde. Offensichtlich will Präsident Lukaschenko das Ansehen seines Landes angesichts des westlichen Sanktionsdrucks aufpolieren. Lockerungen der westlichen Restriktionen sind aber vorerst nicht zu erwarten. Und in Bezug auf die zweite Frage wird spekuliert, dass der Kreml gern den Tiergarten-Mörder freibekommen möchte. „NG Deutschland“ hatte bereits darüber geschrieben (https://ngdeutschland.de/16-jahre-strenge-lagerhaft-mehr-als-ein-signal-fur-westliche-journalisten-in-russland/).
Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben schon auf das Todesurteil gegen Rico Krieger reagiert, rufen auf, die Hinrichtung zu stoppen. Der 30jährige selbst ist sich darüber im Klaren, dass das Urteil jeden Moment vollstreckt werden könne. Er bedauere sehr, was er getan habe, jede Minute und jede Sekunde. Und er hoffe, dass Präsident Alexander Lukaschenko ihm verzeihen und ihn begnadigen würde. „Es ist sehr beängstigend, dass im Falle einer Hinrichtung meine Leiche nicht nach Deutschland übergeben wird und meine Angehörigen sich nicht einmal von mir Abschied nehmen können. Ich träume davon, wenigstens meine Freundin, meine Heimat, meine Eltern noch einmal zu sehen“.
In Russland gab es bisher kaum Informationen über das am Donnerstag ausgestrahlte Interview. Ob es ein Indiz dafür ist, dass jedoch hinter den Kulissen etwas abläuft, ist schwer zu sagen. Es entsteht aber andererseits der Eindruck, dass mit diesem Interview nicht nur moralischer Druck ausgeübt wird.