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Was erwartet Kiew vom NATO-Gipfel und was kann es erhalten?


Die Ukraine erwartet klare Signale beim NATO-Gipfeltreffen, das am 11. Juli in Vilnius eröffnet wird, in Bezug auf eine Mitgliedschaft in der Allianz. „Wir erwarten gerade positive Ergebnisse oder zumindest irgendwelche Schritte für ein Näherrücken dieses positiven Moments“, sagte der Präsident der Ukraine Wladimir Selenskij am Freitag in Bratislava. Dies sei nach seinen Worten sowohl für die globale Sicherheit als auch für eine Demonstration der Festigkeit und Einheit der Allianz vor Moskau äußerst wichtig.

Im Wissen darum, dass bis zur Beendigung des Konflikts mit Russland die Ukraine wohl kaum zu einem Mitglied der NATO wird, möchte man in Kiew, dass der Summit nicht nur die Tatsache eines Beitritts zur Allianz an sich fixiert, sondern sich auch mit den Zeiträumen für diese Prozedur festlegt, die eine beschleunigte sein sollte. Es ist klar, dass die Unbestimmtheit darum, wie die Ergebnisse des Summits für die Ukraine formuliert werden, bis zum Abschluss des Treffens in Vilnius anhalten kann.

Übrigens, ein anderes Gipfeltreffen in Vilnius – der vor zehn Jahren dort erfolgte Summit der Ostpartnerschaft – ist in die Geschichte der Ukraine damit eingegangen, dass das damalige Staatsoberhaupt Viktor Janukowitsch das Assoziationsabkommen mit der EU nicht unterzeichnete. Dies löste den Euromaidan aus, der zu einem Machtwechsel in Kiew und dessen Annäherung mit Brüssel führte. Die Ukraine ist jetzt Kandidat für einen Beitritt zur Europäischen Union und hofft in den Beziehungen mit der NATO auf einen Durchbruch auch in Vilnius.

Allerdings ist laut Aussagen des Generalsekretärs der Allianz, Jens Stoltenberg, bereits bekannt, was Kiew in Vilnius erhalten kann. Er berichtete über ein Paket aus drei Elementen, die die Ukraine der NATO näherbringen. Erstens wird das Paket ein langfristiges Unterstützungsprogramm umfassen, das eine vollkommene Kompatibilität der ukrainischen Streitkräfte und der NATO gewährleisten soll. Zweitens wird ein Ukraine-NATO-Rat gebildet, der erlauben wird, die Seiten politisch anzunähern. Seine erste Tagung ist für den 12. Juli geplant, wie das offizielle Programm des Summits ausweist. Und Stoltenberg erwartet schließlich von den Staats- und Regierungschefs die Bestätigung, dass die Ukraine Mitglied der Allianz wird. Nach seinen Worten feilen die Verbündeten an den Formulierungen des Kommuniqués des Summits darüber, „wie die Ukraine zu dem Ziel, Mitglied der Allianz zu werden, nähergebracht werden soll“. Es sei daran erinnert, dass eine derartige Perspektive bereits beim Summit des Jahres 2008 in Bukarest skizziert wurde. Aber die Zusage ist nach wie vor nicht realisiert worden.

Derweil sind vor dem Gipfeltreffen aus den USA Signale gekommen, die Kiew wohl kaum inspiriert haben. Präsident Joseph Biden bezeichnete die Frage nach einem NATO-Beitritt der Ukraine als eine verfrühte. In einem CNN-Interview sagte er, dass dieser Prozess „Zeit für eine Erfüllung aller Bedingungen erfordert“, und er bekundete die Bereitschaft, Kiew Sicherheitsgarantien entsprechend dem israelischen Modell zu gewähren. D. h. Verpflichtungen hinsichtlich einer Versorgung Kiews mit Waffen, Technologien und anderer Art von Hilfe, aber ohne eine Anwendung des Artikels 5 des Washingtoner Vertrages, wonach der Überfall auf ein NATO-Land als ein Überfall auf alle angesehen wird. Und Bidens Berater für Fragen der nationalen Sicherheit, Jake Sullivan, erinnerte daran, dass sich die USA nicht für eine Aufhebung der Forderungen für die Ukraine, die zum Aktionsplan für eine NATO-Mitgliedschaft gehören, ausgesprochen hätten, da Kiew noch Reformen durchführen müsse, um den Anforderungen der Allianz zu entsprechen.

Deutschland wird gleichfalls auf einen Aufschub eines NATO-Beitritts der Ukraine aufgrund der Befürchtungen bestehen, dass dieser Schritt die Allianz in eine direkte Konfrontation mit Russland hineinziehen könne. Wie der Londoner „Telegraph“ schreibt, würden Deutschland, Frankreich und die USA an bilateralen Vorschlägen arbeiten, um die Unterstützung für Kiew in rechtlich verbindlichen Abkommen zu konkretisieren. Dies würde die Militärhilfe der NATO-Länder, den Zeitplan der Manöver und solche Schritte wie eine Übergabe von F-16-Kampfjets untermauern, um eine Niederlage der Ukraine zu verhindern.

Die Allianz an sich aber will offensichtlich nicht gegen Russland kämpfen, wird aber Kiew der Bereitschaft versichern, an der Lösung der Frage über dessen NATO-Mitgliedschaft zu arbeiten.