Alexander Lukaschenko empfing in Minsk des ukrainischen Abgeordneten Jewgenij Schewtschenko. Die Gelegenheit nutzend, übermittelte er dem offiziellen Kiew, dass Weißrussland als Antwort auf die unfreundlichen Schritte auf die ukrainischen Erzeugnisse verzichten könne, und erzählte, wie der Konflikt im Donbass zu regeln sei. Experten konstatierten das Ende der weißrussischen Neutralität im Ukraine-Konflikt.
„Es ist angenehm, sich mit Ihnen zu treffen. Es stellt sich heraus, dass es in der Ukraine noch Menschen gibt, die Belarus achten“, begrüßte Alexander Lukaschenko den Abgeordneten der Werchowna Rada der Ukraine von der Partei „Diener des Volkes“ Jewgenij Schewtschenko, den er bei sich im Palast der Unabhängigkeit in Minsk am vergangenen Dienstag empfing. „Und nicht einfach achten, sondern lieben und schätzen. Für mich ist es eine sehr große Ehre, Sie kennenzulernen. Ich habe lange davon geträumt. Freilich, aufrichtig“, versicherte als Antwort der ukrainische Abgeordnete.
Alexander Lukaschenko bekundete die Hoffnung, dass die Begegnung mit Jewgenij Schewtschenko zu „einem guten Signal“ und „dem Beginn einer Zusammenarbeit wahrer Patrioten der Ukraine mit Belarus“ werde. Dies sei gleichfalls ein guter Anlass, um über die weißrussisch-ukrainischen Beziehungen zu sprechen, meinte das weißrussische Staatsoberhaupt.
Als das wichtigste in den bilateralen Beziehungen bezeichnete Alexander Lukaschenko die Handels- und Wirtschaftskontakte. „Im Handel mit der Ukraine liegt der Handelsumsatz um die fünf Milliarden Dollar… Daher hat es für uns keinen, die Beziehungen im Handel zu belasten…. Dies ist eine Basis, eine Grundlage. Wenn es keinen Handelsumsatz gibt – er ist bei uns ein mehr oder weniger ausgewogener -, nun was kann es da für Beziehungen in den anderen Bereichen geben?“, fragte Lukaschenko. Er äußerte Unmut darüber, dass das offizielle Kiew im vergangenen Jahr die Abhaltung des Forums der Regionen Weißrusslands und der Ukraine gecancelt hatte. Die Veranstaltung sollte im Oktober in Grodno stattfinden. Zu dieser Zeit hatten jedoch in Weißrussland noch überall die Protestaktionen gegen die Fälschungen der Wahlergebnisse und die Gewalt der Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane gegen friedliche Einwohner angedauert. „Man hat dieses Forum der Regionen platzen lassen? Wem gereicht dies zum Nutzen? Keinem“, sagte Alexander Lukaschenko.
Im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen beunruhigen das Oberhaupt Weißrusslands die Anti-Dumping-Sanktionen, die die Ukraine regelmäßig für einige Arten weißrussischer Erzeugnisse verhängt. „Irgendwer hat da etwas lobbyiert, irgendwem gefällt da etwas nicht. Irgendwer aus den ukrainischen Unternehmen hat da in der Regierung zugeraunt: „In Belarus verhält man sich nicht so. Lassen Sie uns es dichtmachen.“ So sieht Lukaschenko die Annahme von Entscheidungen in Kiew. „Faktisch hat man ein Verbot gegen Waren im Wert von 300 Millionen Dollar verhängt. Nun, wenn wir aber für die Ukraine einige Positionen und Sachen schließen“, deutete Lukaschenko an. „Sie verstehen doch, dass die Europäische Union nicht alles von Ihnen abnimmt. Und sie nimmt sogar nicht einmal das ab, was sie zugesagt hatte. Sie räumt Ihnen Quoten ein, die Sie buchstäblich innerhalb des ersten Quartals ausschöpfen, die Jahresquote! Dies hat mir Selenskij erzählt“, fügte der weißrussische Staatschef hinzu. „Wir werden uns nicht hinsichtlich irgendwelcher Fragen mit der Ukraine die Köpfe einrennen und sich unanständig aufführen. Aber irgendwo werden wir gezwungen sein zu reagieren, wenn es schon nicht mehr geht“, warnte Lukaschenko.
Solch eine Position von Minsk in Bezug auf das offizielle Kiew hängt in Vielem damit zusammen, dass sich Alexander Lukaschenko gegenwärtig auf jegliche Art und Weise bemüht, seinen prorussischen Charakter zu demonstrieren, betonen Experten. Unter anderem hat die Äußerungen Lukaschenkos im Verlauf der Begegnung zur Situation im Donbass der Politologe Valerij Karbalewitsch als einen Verlust der weißrussischen Neutralität in diesem Konflikt gewertet, worüber das offizielle Minsk früher so stolz gewesen war. „Die Normalisierung der Situation in den Problempunkten der Ukraine, vor allem im Donbass, hängt nur von der Ukraine ab. Nun gut, wenn man entsprechend den Minsker Abkommen vorgeht, wird dies bei irgendwem auf die Nerven gehen, irgendwelche ukrainischen Interessen berühren, aber glauben Sie mir, in der mittelfristigen Perspektive – ich spreche nicht von einer langfristigen – wird die Ukraine gewinnen“, erklärte Lukaschenko. „Russland ist ein riesiges Land. Und es kann der Ukraine hinsichtlich des Wiederaufbaus des Donbass sehr helfen“, suchte er das offizielle Kiew im Verlauf des Gesprächs mit Jewgenij Schewtschenko zu überreden.
Es sei daran erinnert, dass es um die Steinmeier-Formel geht, die vorsieht, dem Donbass einen Sonderstatus zu verleihen. Kiew ist bereit, diese Frage zu erörtern, nachdem es die Kontrolle über das gesamte Territorium erlangt hat, während man in Moskau vorschlägt, zuerst die Frage des Status und danach alles Übrige zu klären. Die Ablehnung des Vorschlags von Wladimir Putin durch die Ukraine, den – wie Lukaschenko behauptet – er persönlich Petro Poroschenko übergeben habe, betrachtet der weißrussische Staatschef als das Fehlen einer Eigenständigkeit der ukrainischen Führung. „Keiner schickt sich an, einander zu versklaven. Keiner hat vor, aufeinander Druck auszuüben. Aber in der Politik gewinnt der, der klüger ist“.
„Lukaschenko hat sich faktisch auf die Position Russlands in diesem Konflikt gestellt“, sagte Valerij Karbalewitsch der „NG“. „Für die Unterstützung des Kremls muss mit den nationalen Interessen gezahlt werden“, konstatiert der Experte.
Allein schon der Besuch des ukrainischen Abgeordneten bei Alexander Lukaschenko hatte Erstaunen unter hiesigen Beobachtern ausgelöst. Wie sich jedoch herausstellte, hatte Schewtschenko mehrfach den Handlungen des weißrussischen Staatsoberhauptes positive Wertungen erteilt und war sogar ein von der Ukraine eingeladener Delegierter bei der Gesamtweißrussischen Volksversammlung im Februar. Parteigenossen haben sich bereits beeilt, sich von Jewgenij Schewtschenko und dessen Erklärungen zu distanzieren. „Der Volksdeputierte Schewtschenko war nicht von der Fraktion, nicht von der Partei „Diener des Volkes“, durch das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten oder das Office des Präsidenten der Ukraine für jegliche Gespräche mit offiziellen Persönlichkeiten von Belarus delegiert worden“, zitiert das Internetportal GORDON Worte des Chefs der Partei „Diener des Volkes“, Alexander Kornijenko.
Für Lukaschenko aber kam der Besuch des ukrainischen Parlamentariers recht zupass. Im Vorfeld seines am 22. April erfolgten Treffens mit Wladimir Putin, hatte er eine ausgezeichnete Möglichkeit erhalten, Moskau seine vollkommene Loyalität zu demonstrieren.