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Weißrussland will sich vor einer Wiederholung der kasachischen Ereignisse absichern


Bis zum Jahresende soll in Weißrussland eine neue Einheit der Polizei-Spezialkräfte entstehen. Wie der Befehlshaber der Truppen des Innern, Nikolaj Karpenkow, erklärte, werde sie unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der Bekämpfung der Unruhen in Kasachstan (Anfang Januar dieses Jahres – Anmerkung der Redaktion) geschaffen. Das Untersuchungskomitee teilte seinerseits mit, dass es neue „Sonderverfahren“ gegen aktive Oppositionelle eingeleitet habe. Vor diesem Hintergrund hat sich Swetlana Tichanowskaja an ihre Mitstreiter mit dem Aufruf gewandt, „sich nicht zu zerstreiten“. Und ein ins Ausland emigrierter Wissenschaftler hat unter Verwendung statistischer Angaben ein „kollektives Porträt eines Extremisten“ entwickelt.

In Minsk wird bis zum Beginn des neuen Jahres ein neues Sonderbataillon aufgestellt. Dies erklärte der stellvertretende Innenminister und Befehlshaber der Truppen des Innern, Nikolaj Karpenkow, auf der Internetseite des weißrussischen Magazins „Speznaz“.

„Wir schaffen eine große Einheit, ein Sonderbataillon, das in Minsk stationiert sein wird, aber Aufgaben zur Bekämpfung von Diversions- und Aufklärungsgruppen, ungesetzlichen bewaffneten Formationen, wenn erforderlich – für die Durchführung einer Truppen- und Funkaufklärung erfüllen wird. Wenn notwendig – auch zur Gewährleistung eines Kriegszustands und eines Ausnahmezustands sowie der Rechtsordnung bei der Durchführung einer konterterroristischen Operation“, teilte der bekannte General mit.

Und er erläuterte, durch was diese Neuerung ausgelöst wurde: „Unter Berücksichtigung jener Erfahrungen, die die Organe des Innern haben, die es in Kasachstan gibt und die wir beobachteten, aber auch der Erfahrungen aus der Durchführung der Sonderoperation in der Ukraine verstehen wir, dass man unsere Kampfmöglichkeiten durch die Aufstellung zusätzlicher Sondereinheiten erhöhen muss“.

Die Geheimdienste arbeiten unermüdlich nicht nur in der Richtung einer Unterbindung oppositioneller Aktivität im Land, sondern vergessen auch nicht jene, die es verlassen haben. So erklärte der Vorsitzende des Untersuchungskomitees, Dmitrij Gora, auf der II. Internationalen wissenschaftlich-praktischen Konferenz „Hauptrichtungen für die Vervollkommnung des Systems der nationalen Sicherheit“: „Der Mechanismus der Sonderverfahren erlaubt, die Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, die schwere Verbrechen gegen den Staat und das Volk von Belarus begangen haben. Sie können strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie sich im Ausland befinden und vor einer strafrechtlichen Verfolgung verbergen. Zum heutigen Tag haben wir zwei Strafverfahren an die Staatsanwaltschaft zwecks Weiterleitung an ein Gericht übergeben. Das erste von ihnen betrifft das sogenannte „Schwarze Buch von Belarus“. Das zweite – die Stiftung für sportliche Solidarität“.

Es gibt aber auch Pläne für die Perspektive. Und Dmitrij Gora informierte über sie: „In der nächsten Zeit wird die Frage nach der Initiierung eines Sonderverfahrens gegen wahre Verbrecher behandelt werden, gegen Menschen, die unserem Land einen gewaltigen Schaden zugefügt haben. Dies ist Nexta (eine in Polen ansässige oppositionelle Internetressource, die in Weißrussland als eine terroristische Organisation eingestuft wurde – „NG“). Außerdem BYPOL (eine Organisation von emigrierten Vertretern der Rechtsschutzorgane, die ebenfalls in Weißrussland als eine terroristische Organisation gelabelt wurde – „NG“) und Personen, die sich dieser extremistischen Organisation angeschlossen haben. Darunter der Verräter Luponosow, der in den Rechtsschutzorgane gedient und letzten Endes Staatsverrat begangen hat. Er hat sowohl den Staat als auch das Volk verraten“.

Vor diesem besorgniserregenden Hintergrund hat sich Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die sich dieser Tage zum gewählten Präsidenten erklärt hatte, über ihrem Telegram-Kanal an die Mitstreiter, die durch unterschiedliche Skandale im Emigranten-Milieu demoralisiert worden sind, mit dem Appell gewandt, „in Freundschaft zu leben“. „Es langt, sich zu zerstreiten. Warum könnt ihr euch nicht vereinen und gemeinsam arbeiten? Wir haben im Jahr 2020 nicht dafür gekämpft. Oft schreibt man mir solche Mitteilungen. Ich verstehe sie ausgezeichnet. Im Jahr 2020 hatte sich das ganze Belarus um ein Ziel vereint – unser Land und unsere Verwandten von der Diktatur zu befreien. Nach zwei Jahren sehen wir aber, dass sich unser Weg als ein schwieriger erwiesen hat und sich für lange Zeit in die Länge gezogen hat. Viele wissen nicht, was man noch tun kann, damit dies alles ein Ende hat. Der eine oder andere versucht aus Verzweiflung, Schuldige zu finden“, schreibt Tichanowskaja.

Und schlägt als eine Alternative vor: „Wir alle haben ein Recht auf unsere Emotionen und auf Fragen. Aber ich möchte nur daran erinnern, wie wichtig es ist, einander zu bewahren. Man kann sich streiten, aber nicht zu Feinden werden. Man kann kritisieren, aber nicht innehalten. Man muss zusammen zum gemeinsamen Ziel gehen“.

Derweil wurden dieser Tage auf der Internetseite „Malanka. Media“ Daten einer Untersuchung veröffentlicht, die der emigrierte Wissenschaftler Sergej Besarab durchgeführt hatte. Er hat das Porträt eines „weißrussischen Extremisten“ geschaffen. Unter Verwendung von Informationen über die Menschen, die in Weißrussland als Extremisten eingestuft wurden, hat der Forscher deren typischsten Wesenszüge bestimmt.

Zum Zeitpunkt des Beginns der Untersuchung (Anfang November) waren in der Liste 1714 Menschen aufgeführt (darunter 1377 Männer und 337 Frauen). Zum heutigen Zeitpunkt sind bereits 1881 Menschen auf der Liste. Das Alter der meisten dort ausgewiesenen Personen liegt zwischen 31 und 37 Jahren.

„Die ist die wirtschaftlich aktivste und finanziell fähigste Bevölkerungskategorie. Die besze Alterskategorie für jedes beliebige Land aus der Sicht einer Zivilisationsbewertung. In Belarus aber werden sie entweder im Gefängnis festgehalten oder waren gezwungen, das Land zu verlassen“, betont der Forscher.

Dabei ist der jüngste Teilnehmer 17 Jahre alt. Auf der entgegengesetzten Seite ist eine 82jährige Frau. 41 Prozent der Verurteilten bezichtigte man der Organisierung und Vorbereitung von Handlungen, die grob die öffentliche Ordnung verletzen (Artikel 342 des StGB). 29 Prozent „beleidigten einen Vertreter der Staatsgewalt“ oder „diskreditierten den Staat“ (Artikel 369 und 396-1 des StGB). Und acht Prozent „beleidigten Alexander Lukaschenko“ (Artikel 368 des StGB). Nach Aussagen des Wissenschaftlers haben viele gleich mehrere Artikel anhängig.

Ermittelt wurden gleichfalls einige geografische Abhängigkeiten. Unbestrittener Spitzenreiter hinsichtlich der Namen auf der Liste ist die Stadt Schlobin des Verwaltungsgebietes Gomel. Insgesamt bestehe, wie der Forscher betont, die größte Dichte in Kleinstädten des Verwaltungsgebietes Grodno. Somit hat die Studie gezeigt, dass die Proteststimmungen bei weitem nicht nur für die Landeshauptstadt charakteristisch sind.