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Weißrusslands Christen gehen in Opposition zu Lukaschenko


Minsker Christen veranstalteten am 13. August eine Prozession durch die Stadt. Die Gläubigen verschiedener Konfessionen reagierten so darunter auch auf die Aktionen der Behörden Weißrusslands, die angefangen hatten, den Geistlichen und Profanen, die einen Flashmob und die Protestaktionen für ehrliche Wahlen unterstützt hatten, zu drohen und sogar festzunehmen. Die Oberhäupter der orthodoxen und der katholischen Kirche der Republik riefen die Regierung zu einem Dialog auf. Metropolit Pawel (Ponomarjow) versprach, persönlich mit den Behörden die Möglichkeit einer friedlichen Lösung der im Land entstandenen Situation zu erörtern. Doch das Vertrauen gegenüber den orthodoxen Hierarchen sinkt unter den Gläubigen. 

Orthodoxe Christen mit Ikonen, Katholiken mit Bildern der Jungfrau Maria, Protestanten mit der Bibel und unbedingt weiße Blumen – die Prozession in Minsk vereinte anfangs hunderte Gläubige, doch bald schlossen sich ihm tausende an. Seit dem gleichen Tag erklingt tagsüber jede Stunde vom Glockenturm der Mariä-Schutz-und-Fürbitte-Kathedrale der Stadt Grodno ein warnendes Glockengeläut. „Mag die Kirchenglocke schwingen und nicht das Schwungrad der Gewalt“, schrieb der Kirchenvorsteher, Erzpriester Georgij Roj, auf seiner Facebook-Seite. 

Friedliche Wege für ein Herauskommen aus der Konfliktsituation zwischen dem Präsidenten und der Opposition zu suchen, hatte bereits am 11. August der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz von Weißrussland, Tadeusz Kondrusiewicz, aufgerufen. „In diesem entscheidenden Moment unserer Geschichte rufe ich im Namen der grenzenlosen Barmherzigkeit, Liebe und des Frieden Gottes alle Konfliktseiten auf, der Gewalt ein Ende zu bereiten. Ich schlage vor, unverzüglich einen speziellen runden Tisch einzuberufen, um über die Zukunft unserer Heimat an ihm und nicht auf Barrikaden zu entscheiden“, zitiert die offizielle Internetseite der Katholischen Kirche der Republik den Erzbischof. 

Dem Aufruf des Prälaten hat sich auch das Oberhaupt der Weißrussischen orthodoxen Kirche (WOK) angeschlossen. Metropolit Pawel (Ponomarjow) hatte am 12. August eine Pressekonferenz einberufen, in deren Verlauf er die Verteidiger des Vaterlandes, die zum Schutz des Volkes angetreten sind, aufrief, „dass sie ihre Macht und ihre Möglichkeiten hinsichtlich derjenigen in ein Verhältnis bringen, die heute denken, dass es auch einen anderen Weg gibt, aber nicht wissen, wie man ihn richtig einschlägt“. Dabei unterstrich das Oberhaupt der WOK, dass er in der entstandenen Situation „keinen verurteilen möchte“. Und er versprach gleichfalls, sich mit Vertretern der Behörden zu treffen, um „Fragen einer friedlichen Regulierung der Situation, die sich nach der Wahl des Landespräsidenten ergeben hat, zu erörtern“.   

Das Fehlen einer klaren politischen Haltung des Bischofs löst heute jedoch immer mehr eine Gereiztheit des oppositionell eingestellten Klerus und der Laien aus. Und nachdem am 10. August auf der offiziellen Internetseite der WOK die Glückwünsche an die Adresse von Alexander Lukaschenko, die durch Patriarch Kirill und Metropolit Pawel (Ponomarjow) unterzeichnet worden waren, veröffentlicht wurden, waren viele Geistliche von den Kirchenhierarchen enttäuscht. „Ich habe diesen Glückwunsch nicht unterschrieben und keine Zustimmung gegeben. Mein christliches Gewissen erlaubt mir nicht, dies zu tun“, schrieb Michail Simakow, ein Geistlicher aus Minsk, auf seiner Facebook-Seite. „Was für Gratulationen zu einem Wahlsieg kann es geben, wenn auf den Straßen der Städte Blut fließt??? Es ist unbeschreiblich beschämend“, fügte Erzpriester Georgij Roj hinzu. Und der Geistliche Andrej Jaworez aus Grodno merkte an: „Einfache Menschen, unsere Gemeindemitglieder werden mit diesen Fragen – warum verhalten sich unsere Vorsteher und Kirchenoberhäupter so – nicht zu ihnen, nach Moskau und zur Minsker Eparchialverwaltung, sondern zu uns kommen. Und sie werden uns fragen – wo ist das Gewissen der Kirche? Ich weiß nicht, was darauf antworten. Da muss ich schweigen und rot werden“.

Nachdem sich rund 30 orthodoxe Geistliche dem Flashmob gegen die Fälschungen während der Wahlen angeschlossen hatten, teilte die orthodoxe Theologin Natalia Wassiljewitsch mit, dass die staatlichen Behörden des Landes begonnen hätten, Druck auf den Klerus auszuüben. Für mehrere Stunden wurde am 12. August auch der Organisator der Aktion „Ein Katholik fälscht nicht“, Artjom Tkatschuk, festgenommen. „Ich war mit den Kindern und meiner Frau zu Hause. Es klingelte an der Pforte. Da waren drei mit Pistolen und kleinen Gasspraydosen. Sie stellten sich vor und sagten, dass ich mit ihnen mitkommen müsse. Sie sprachen mehrere Stunden mit mir. Sie hatten meine Kontakte und Schriftwechsel sehr interessiert, ob ich irgendwelchen Organisationen angehöre. Als ich mit zu weigern begann, ihnen meinen Telegram-Kanal lesen zu lassen, erklärten sie, dass man mich dann nicht nach Hause lassen werde. Geschlagen haben sie nicht, doch gedroht und in einem sehr unschönen Ton gesprochen. Ich habe aber dennoch nicht verstanden, weshalb man mich festnahm“, berichtete Artjom Tkatschuk der „NG“. Der Aktivist fügte hinzu, dass er gezwungen war, Papiere zu unterschreiben, denen zufolge er über die Verantwortung in Kenntnis gesetzt wurde, wenn er nichtsanktionierte Veranstaltungen organisieren oder an ihnen teilnehmen wird. 

Es sei übrigens gesagt, dass die stattgefundene Minsker Prozess eine unerlaubte Veranstaltung war. In der Weißrussischen Orthodoxen Kirche distanzierte man sich von ihr. „Die im Internet verbreiteten Aufrufe, an der Aktion einer sogenannten Prozession von Vertretern unterschiedlicher christlicher Konfessionen mit Bibeln und Ikonen an der Heilig-Geist-Kathedrale teilzunehmen, haben nichts mit dem Wirken der Weißrussischen orthodoxen Kirche zu tun. Die Position der Weißrussischen orthodoxen Kirche besteht darin, die sich gegenüberstehenden Seiten zu Frieden, Nachsicht und gegenseitigem Einvernehmen aufzurufen und nicht die Situation aufzuheizen und zu verschiedenen Aktionen anzustiften“, erklärte man im Pressedienst der WOK.