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Weißrusslands Herrschende setzen Unbeugsame Repressalien aus und verschonen diejenigen, die sich auf einen Kompromiss einlassen


Die Anführerin der weißrussischen Opposition, Swetlana Tichanowskaja, die sich am 8. und 9. Juni in Riga aufgehalten hatte, trat im Parlament von Lettland mit dem Appell auf, die Sanktionen gegen Minsk nicht aufzuheben, solange die politischen Gefangenen nicht freigelassen werden. Derweil erfolgt in der weißrussischen Hauptstadt ein Prozess gegen Mitarbeiter der Nachrichtenagentur BelaPAN. Die Journalisten bezichtigt man der Bildung einer „extremistischen Formation“. Alle Angeklagten haben Menschenrechtler zu politischen Häftlingen erklärt, von denen es im Land derzeit mehr als 1100 geben soll. Den BelaPAN-Mitarbeitern drohen harte Strafen. Und am Donnerstag hat ein Prozess gegen den bekannten Philosophen Wladimir Mazkjewitsch begonnen.

Swetlana Tichanowskaja sprach während einer Plenartagung von Lettlands Parlament und traf sich mit Landespräsident Egils Levits. Im Verlauf ihrer Begegnungen unterstrich sie besonders, dass es unzulässig sei, sich auf einen Kompromiss mit Alexander Lukaschenko einzulassen. Tichanowskaja erklärte: „Ohne eine Freilassung der politischen Häftlinge und Einstellung der Repressalien darf man die Sanktionen nicht aufheben. Dies führt zu einer noch größeren Straffreiheit des Regimes“.

Parallel begann am Donnerstag in Minsk ein Prozess gegen den bekannten Philosophen Wladimir Mazkjewitsch. Laut den Materialien des Falls wird ihm vorgeworfen, dass „er am 25. Oktober 2020 auf dem Territorium von Minsk an Gruppenhandlungen aktiv teilgenommen hatte, die grob die öffentliche Ordnung verletzten und mit einem offenkundigen Ungehorsam gegenüber den legitimen Forderungen von Machtvertretern verbunden waren, die eine Störung der Arbeit des Transportwesens und von Unternehmen nach sich gezogen hatten“. Aber dies ist noch wenig. Der 65jährige Denker wird angeklagt, dass „er vom August 2020 bis einschließlich 4. August 2021 eine extremistische Formation bildete und leitete“.

Etwas Ähnliches hatte man allerdings auch Sokrates einst vorgeworfen.

Derartige Anschuldigungen sind auch gegen Mitarbeiter der Nachrichtenagentur BelaPAN vorgebracht worden. Auf der Anklagebank befinden sich der einstige stellvertretende Direktor der Nachrichtenagentur Andrej Alexandrow, seine Gattin Irina Slobina, der einstige BelaPAN-Direktor Dmitrij Nowoshilow und Chefredakteurin Irina Lewschina.

Andrej Alexandrow vermochte eine Notiz in die Freiheit zu schmuggeln, die der Telegram-Kanal von Belsat veröffentlichte. Der Inhaftierte schreibt: „Ich weiß, dass sich viele Freunde und Kollegen angeschickt haben, mich im Gericht zu besuchen. Aber der Prozess gegen uns wird einer hinter verschlossenen Türen „zwecks Nichtpreisgabe eines vom Gesetz gehüteten Geheimnisses“ sein. Was dies für ein Geheimnis ist, weiß ich vorerst nicht. Es wird ja schon sehr gehütet. Und ich weilte gar weniger als anderthalb Jahre in der U-Haft im Rahmen der Nachforschungen. Woher soll ich es also wissen. Möglicherweise besteht das Geheimnis darin, dass die Menschen, die man verurteilen wird, sich durch nichts schuldig gemacht haben. Zumindest halte ich mich nicht für dessen schuldig, was man mir anlastet“.

Eine der Anklagepunkte lautet, dass die Journalisten und Media-Manager sich „ab dem 14. August 2020 bis einschließlich 12. Januar 2021 der Vorbereitung von mindestens 260 Personen für eine Teilnahme an Gruppenhandlungen“ schuldig gemacht hätten, „die grob die öffentliche Ordnung durch eine Bezahlung von Ordnungsstrafen, die Rechnungen für die Verpflegung an Orten einer Inhaftierung und Verbüßung von Ordnungsstrafhaften, der Rechnungen für Leistungen der Anwälte, die an Ordnungsrechts- und Strafverfahren teilnehmen, aber auch andere juristische Hilfe leisten, verletzen“. Somit ist die Hilfe für Inhaftierte die Grundlage dafür, um selbst eingesperrt zu werden.

Dieser Tage traten erneut internationale Organisationen wie beispielsweise Amnesty International für eine Unterstützung der weißrussischen politischen Gefangenen auf. Die Internationale Gewerkschaftskonföderation hatte den 8. Juni zum Tag der Solidarität mit den weißrussischen Gewerkschaftsvertretern erklärt, die sich in Haft befinden. „Die weißrussischen Offiziellen vernichten konsequent die Organisationen der Zivilgesellschaft im Land, die sich nicht unter ihrer Kontrolle befinden. Die Repressalien haben auch um die unabhängigen Gewerkschaften keinen Bogen gemacht, die eine wichtige Rolle bei den friedlichen Protesten des Jahres 2020 gespielt hatten und von den Herrschenden brutal niedergeschlagen wurden. Wir begrüßen die internationale Solidaritätskampagne mit den verfolgten Vertretern der weißrussischen Gewerkschaftsbewegung und fordern von den Offiziellen Weißrusslands, die Repressalien gegen das friedliche Andersdenken einzustellen“, erklärte Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien von Amnesty International.

Sowohl die Vertreter von BelaPAN als auch die Gewerkschaftsaktivisten können wohl kaum mit Nachsicht rechnen. Jedoch haben nicht alle Kämpfer gegen die derzeitigen weißrussischen Herrschenden ein solch unerfreuliche Perspektive. Unter komfortablen Bedingungen eines Hausarrests verbringt Roman Protassewitsch seine Zeit. Der einstige Chefredakteur des Telegram-Kanals NEXTA, der in Weißrussland als ein extremistischer eingestuft worden ist, hat sich öffentlich von der Opposition losgesagt.

Seine einstige Freundin Sophia Sapega, die Administratorin des Telegram-Kanals „Belarus-Schwarzbuch“ gewesen war, der gleichfalls als ein extremistischer eingestuft wurde, ist im Frühjahr der Verübung vorsätzlicher Handlungen für schuldig befunden worden, die „auf ein Schüren sozialer Feindschaft und Zwietracht hinsichtlich einer anderen sozialen Gruppe ausgerichtet sind und schwere Folgen nach sich zogen“, und sie wurde zu sechs Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Für sie ist aber nicht alles völlig hoffnungslos. Alexander Lukaschenko erklärte gegenüber Journalisten: „Es ist um das Mädel schade. Man muss diese Frage klären“. Die Eltern des Mädchens haben sich bereits an Weißrusslands Staatsoberhaupt mit der Bitte um ihre Begnadigung gewandt. Es gibt Grund zur Annahme, dass sie vernommen wird.

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Alexander Lukaschenko machte am Freitag erneut deutlich, dass er die Repressalien im Land nicht stoppen will. Bei einer Beratung in Minsk erklärte er: „Wenn wir keine Schlussfolgerungen daraus ziehen, was sich im Jahr 2020 und danach ereignete, werden wir einen großen Schritt in Richtung der ukrainischen Ergebnisse tun. Für uns wird es aber schwerer als für die Ukraine werden“. In diesem Zusammenhang forderte er unter anderem, die Gesellschaft von politisch engagierten Menschen in den nichtkommerziellen Organisationen „zu säubern“. Gerade sie hätten hinter den Unruhen gestanden. Und als Grund nannte er die Nachsicht der Herrschenden. „Da sind solche kleinen Inselchen in unserer Gesellschaft entstanden, die alles in sich aufsogen, wogegen wir hätten kämpfen müssen. Und wir haben dafür quittieren müssen. Gott sei Dank, dass der Prozess jetzt hart begonnen hat. Ich möchte gern, dass die Offiziellen begreifen, dass die Gesellschaft von diesen Schuften gesäubert werden muss“, erklärte der Präsident.