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Weißrusslands KGB legte eigene Verschwörung offen


Das weißrussische Staatsfernsehen strahlt weiterhin dosiert Informationen über die Verschwörung gegen Alexander Lukaschenko aus. Die Autoren des neuen Films „Den Präsidenten umbringen“ verhehlen nicht, dass es keine reale Verschwörung gegeben hat. Die Angeklagten wurden durch Gespräche über Wege eines Machtwechsels in Weißrussland geködert, konstatieren Experten.

Den zweiteiligen Film „Den Präsidenten umbringen“ zeigte man in den Abendstunden des vergangenen Mittwochs auf dem staatlichen Fernsehkanal ONT. Er setzte das Sujet über die Verschwörung gegen Alexander Lukaschenko, um entweder ihn und die Kinder umzubringen oder sie einfach sich zu greifen und in den Keller einzusperren, fort. „Sie hatten sich die Kinder vorgenommen. Geplant war das Sich-greifen eines Kindes, eines, des zweiten, wie es halt klappt. Wir werden sie in den Keller einsperren. Übrigens, im Gebiet Gomel hatte man einen Keller vorbereitet“, erzählt Lukaschenko selbst. Da teilte er auch mit, dass die Vollstrecker dieses heimtückischen Plans der Doktor der Sprachwissenschaften, Puschkin-Experte und Publizist, der 1994 im Team von Alexander Lukaschenko gearbeitet hatte, Alexander Feduta, Jurij Senkowitsch, ein Jurist mit amerikanischem Pass, der in den USA lebt, Weißrusse von der Herkunft her ist, ein Mitglied der weißrussischen Oppositionspartei „Weißrussische Volksfront“, und der derzeitige Vorsitzende dieser Partei Grigorij Kostusjew gewesen seien. Nach Aussagen Lukaschenkos habe auch die oberste amerikanische Führung die Anweisung erteilt, ihn zu vernichten, und mit der Verschwörung hätten sich die amerikanischen Geheimdienste befasst.

Die „NG“ hatte in den Printausgaben vom 14. und 19. April über das Agenten-Sujet geschrieben (siehe auch https://ngdeutschland.de/lukaschenkos-ex-mitstreiter-wurde-zum-helden-eines-agenten-thrillers/). Feduta und Senkowitsch hatte man in Moskau festgenommen, als sie sich in einem Restaurant der „Taras-Bulba“-Kette mit gewissen weißrussischen Generälen – ebenfalls Beteiligten der Verschwörung – getroffen hatten. Im Grunde genommen sollten auch die Generäle dessen wichtigste agierende Kraft sein. Sie sollten angeblich das Oberhaupt Weißrusslands mit den Söhnen entführen und in den Keller bringen. An der Festnahme hatte Russlands Inlandsgeheimdienst FSB teilgenommen. Und der russische Präsident Wladimir Putin hatte sogar die heimtückische Verschwörung der USA gegen den Verbündeten in seiner Jahresbotschaft an das Parlament und das Volk erwähnt. Grigorij Kostusjew verhaftete man zu Hause, in der Stadt Schklow des Verwaltungsgebietes Mogiljow (wie ein Zufall – in der Heimat Lukaschenkos), wo er am Vorabend Verwandten nach dem Winter verbliebene Kartoffeln gebracht und Enkelkinder betreut hatte. Später nahm man die Sekretärin des Minsker Büros von Jurij Senkowitsch, Olga Golubowitsch, fest. Sie alle wurden entsprechend dem Teil 1 des Artikels 357 des Strafgesetzbuches der Republik Belarus (Verschwörung oder andere Handlungen, die zwecks Ergreifung oder Festhalten der Staatsmacht auf verfassungswidrigem Wege verübt wurden) angeklagt. Ihnen drohen acht bis zwölf Jahre Freiheitsentzug.

Experten und die Öffentlichkeit konnten, beginnend ab dem Zeitpunkt der Festnahme der Figuren des Verschwörungsfalls in keiner Weise begreifen, wie diese Personen absolut friedlicher Berufe, die keinerlei Beziehungen zu den bewaffneten Strukturen haben, vorhatten, einen Militärputsch zu organisieren, und was hier die USA zu tun hätten.

Der Film „Den Präsidenten umbringen“ brachte etwas Klarheit in das Geschehen. Seine Autoren berichten, dass es tatsächlich keine Generäle gegeben habe, die bereit gewesen seien, einen militärischen Umsturz zu verüben. Es hatte einen KGB-Mitarbeiter gegeben, der sich Iwan nannte, der bereits im August Kontakt mit Senkowitsch aufgenommen und ihn davon überzeugt hätte, dass es unter den Militärs sehr viele jener geben würde, die bereit seien, auf die Seite des Volkes zu gehen. Im Zuge der Kontakte hatte man Senkowitsch sogar irgendeine Liste gegeben, in der es von denen vier bis fünf Bataillons gegeben haben soll. Wahrscheinlich hatten die „Generäle“ mit irgendeiner Finanzierung ihrer Handlungen gerechnet, denn Olga Golubowitsch hatte zweimal von der Kreditkarte Senkowitschs Geld abgehoben und „Iwan“ übergeben. Einmal hatte sie dieses in einem Schließfach deponiert, das zweite Mal – auf einem Friedhof. Im Film ist gezeigt worden, wie sie dünne Couverts versteckt.

Die Aufgabe von Feduta und Senkowitsch hatte augenscheinlich darin bestanden, diese Operation zu koordinieren und die Macht nach dem Sturz von Lukaschenko zu übernehmen. „Gelöst werden drei Aufgaben. Die erste – eine Neutralisierung unmittelbar der Landesführung, die Verhaftung, beispielsweise eine Internierung, oder eine physische Vernichtung. Die zweite Aufgabe – dies ist eine Blockierung der Einheiten, die Widerstand leisten können. Und die dritte Aufgabe – die Besetzung symbolischer Objekte der Stadt“, sagt unter anderem Jurij Senkowitsch. Gleichfalls diskutieren sie, wer von ihnen was nach dem Sieg betreuen werde. Der Literat – die Ideologie, der Jurist – das Recht. Die Funktionen Kostusjews sind aus dem Film nicht klar geworden. Die übrigen Teilnehmer der Verschwörung, die bei einer im Fernsehen gezeigten Zoom-Konferenz zugegen gewesen waren, in deren Verlauf Varianten eines Machtwechsels in Weißrussland diskutiert wurden, nehmen ebenfalls fast nicht an dem Fall teil. Im Film erwähnte Jurij Senkowitsch allerdings Dmitrij Stschegelskij (einen Psychiater, der im Jahr 2001 Lukaschenko die Diagnose „Mosaik-Psychopathie“ gestellt hatte) und sagt, dass er ihn als einen „technischen Organisator“ genutzt hätte.

Alle drei Haupt-„Verschwörer“ haben ihre Schuld gestanden. „Ich bekenne mich als schuldig hinsichtlich der Teilnahme an der Verschwörung“, sagt Alexander Feduta. „Ich gestehe meine Schuld dahingehend ein, dass ich eben diesen Menschen die Möglichkeit gegeben habe, mich in solche Gespräche zu involvieren“, sagt Grigorij Kostusjew. „Ich bekenne mich als dahingehend schuldig, dass ich vom Wesen her der technische Organisator war, der Zoom-Konferenzen, Diskussionen und den Schriftverkehr organisierte“, gesteht Senkowitsch. Die USA sind in dem Film in Off-Kommentaren und einigen Erklärungen von Senkowitsch präsent, wonach er „Kontakte hat“ oder er sie finden werde.

Mit dem Aufdecken des Geheimnisses der Verschwörung haben die staatlichen Propagandisten eingestanden, dass es keine Verschwörung gegeben hat, resümieren Experten und die Öffentlichkeit.

„Die Herrschenden haben offensichtlich die Aufgabe einer Diskreditierung des friedlichen Protests gestellt. Sie wollten zeigen, dass er in keiner Weise ein friedlicher ist“, sagte der Politologe Valerij Karbalewitsch in einem Gespräch mit der „NG“. Der Film habe jedoch kaum die Gegner der Herrschenden von irgendetwas überzeugt, nimmt der Experte an. „Eine Verschwörung sind nach meinen Vorstellungen nicht bloß Überlegungen, kein Geschwätz, sondern ein konkreter Plan, in dem es gewisse bewaffnete Einheiten gibt, die bestimmte Objekte einnehmen sollen. An der Spitzen müssen gewisse Kommandeure stehen. Es gibt ein gewisses Datum X, an dem diese Verschwörung erfolgen soll. Es gibt nichts von solcher Art. Es gibt nur Gespräche“, konstatierte der Experte.

Das zweite Ziel der Schöpfer des Agenten-Sujets sei, zu zeigen, dass hinter dieser angeblichen Verschwörung die USA stehen würden, meint Valerij Karbalewitsch. „Aber dies ist alles an den Ohren herbeigezogen. Senkowitsch, der, um sich politisches Gewicht zu verleihen, blufft auf jegliche Art und Weise. Bei den Verhandlungen verweist er vielsagend darauf, dass er sowohl hier als auch dort irgendwelche ernsthafte Kontakte habe. Aber jedes Mal sind dies verschiedene Organisationen. Mal ist die eine gewisse jüdische Community, mal ist dies ein gewisses abstraktes Washington. Dann erklärt er, dass er einen Kontakt nach Langley, das heißt zum CIA suchen werde. Es ergibt sich, dass es gar keinen Kontakt gibt und man ihn noch suchen müsse. Dann sagt er noch solch einen frappierenden Satz, dass, wenn die US-amerikanischen Geheimdienste von unseren Unterredungen erfahren würden, sie im Gefängnis sitzen würden, allerdings in einem amerikanischen und nicht in einem weißrussischen. Das heißt, dies ist irgendeine merkwürdige Verschwörung des CIA, in deren Rahmen es die Möglichkeit gibt, in ein amerikanisches Gefängnis zu geraten“, kommentierte Valerij Karbalewitsch das Filmsujet für die „NG“. In dem Streifen sei keinerlei Verbindung mit den Geheimdiensten oder der Regierung der USA gezeigt worden, meint er.

Nach Auffassung von Karbalewitsch wollen die weißrussischen Geheimdienste mit dem flotten Sujet unter Ausnutzung der Ängste Lukaschenkos „ihr politisches Gewicht erhöhen“. Nach Meinung des politischen Kommentators Alexander Klaskowskij sei der Film noch eine Message an Moskau, das in einem Konflikt mit den USA steht: Hier tobe solch ein weltweiter Kampf gegen die verfluchten Imperialisten, „Sie aber zeigen sich geizig und geben kein Geld“.