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Weißrusslands Offizielle verschärfen die Repressalien, die Opposition wartet mit mehr Drohungen auf


Weißrusslands Untersuchungskomitee leitet ein Strafverfahren aufgrund der Beleidigung von Offiziellen gegen eine Kindergartenerzieherin ein. Das Oberste Gericht bestätigt das Urteil im Zusammenhang mit einem sehr langen Freiheitsentzug für den Oppositionsführer Sergej Tichowskij. Die Opposition fordert ihrerseits auf internationalen Plattformen eine Verschärfung der Sanktionen. Und das Kastus-Kalinouski-Regiment droht einen Einmarsch nach Weißrussland an.

Am Donnerstag wurde die Einleitung eines Strafverfahrens hinsichtlich der Tatsache einer Beleidigung von Offiziellen durch die Helferin einer Kindergartenerzieherin bekanntgegeben. Die offizielle Sprecherin der Verwaltung des Untersuchungskomitees für das Verwaltungsgebiet Gomel, Maria Kriwonogowa, teilte der Nachrichtenagentur BelTA mit: „Die 29jährige Einwohnerin aus Mosyr hatte sich bei mehreren extremistischen Telegram-Kanälen angemeldet, die persönliche Daten von Mitarbeitern staatlicher Strukturen veröffentlichen. Die Angeklagte hatte sich Veröffentlichungen mit Fotografien von Beamten angesehen und mitunter unter ihnen beleidigende, anmaßende Kommentare gepostet. Vom Dezember vergangenen Jahres bis einschließlich Februar dieses Jahres hat die Frau mindestens zwölf Mitteilungen mit nichtnormativer Lexik verfasst. Mit einer Anonymität rechnend, hatte sie ihr unbekannte Mitarbeiter der Miliz, von Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft sowie von Richtern aus verschiedenen Regionen von Belarus angeschwärzt“.

Anonymität hatte jedoch die Rechtsverletzerin nicht gerettet. Die wachsamen Ordnungsschützer hatten sie — ohne Kräfte und Zeit zu scheuen – ermittelt. Und ungeachtet dessen, dass sie versuchte, sich damit zu rechtfertigen, dass sie geschrieben hätte, als sie sich in der Gewalt negativer Emotionen aufgrund von Problemen in den Beziehungen mit dem Gatten und den Kindern befunden hätte, gelang es ihr nicht, sich aus der Schlinge zu ziehen. Die Frau ist entsprechend Artikel 391 (Beleidigung eines Richters oder Schöffen) und Artikel 369 (Beleidigung eines Behördenvertreters) des Strafgesetzbuches von Belarus angeklagt worden, und sie wurde in Haft genommen. Und somit zweifellos der Familienprobleme entledigt worden.

Fortgesetzt wurde der Prozess gegen Maria Uspenskaja, die Witwe von Andrej Selzer, eines Einwohners von Minsk, der im vergangenen Jahr bei dem Versuch, eine Durchsuchung in seiner Wohnung vorzunehmen, einen Mitarbeiter des KGB erschossen hatte und durch Gegenfeuer getötet wurde. Maria hatte das Geschehen mit einem Mobiltelefon aufgenommen. Sie hatte in keiner anderen Weise an den tragischen Ereignissen teilgenommen. Dennoch macht man gegen die Frau als eine Person, die eine gesellschaftlich gefährliche Tat beging, den Prozess entsprechend Teil 2 des Artikels 139 des Strafgesetzbuches der Republik Belarus (Mord).

Während der Untersuchungen bestand Uspenskaja darauf, dass sie sich sicher gewesen wäre: Ihr Gatte hat auf Banditen geschossen, die ihre Tür aufzubrechen suchten. Zugunsten dieser Version spricht die Tatsache, dass sie im Verlauf der Ereignisse zweimal die Miliz angerufen hatte.

Am Mittwoch ist durch eine Entscheidung des Berufungsrichterkollegiums für Strafverfahren des Obersten Gerichts das Urteil gegen den Oppositionellen Sergej Tichanowskij in Kraft belassen worden. Es sei daran erinnert, dass gerade er – der Gatte von Swetlana Tichanowskaja – anfangs versucht hatte, sich im Jahr 2020 als Präsidentschaftskandidat registrieren zu lassen. Und als man dies ihm verwehrt hatte, übernahm er die Leitung der Initiativgruppe zur Nominierung seiner Frau Swetlana als Kandidatin für das Präsidentenamt.

Im Mai des Jahres 2020 wurde Tichanowskij nach einer Rangelei, die sich bei der Durchführung einer Mahnwache zur Sammlung von Wählerunterschriften ereignet hatte, festgenommen. Verurteilt wurde er entsprechend der Anklage, die auf Organisierung von Massenunruhen und Schüren sozialer Feindschaft und Zwietracht lautete, zu 18 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

All diese Gerichtsentscheidungen und die neuen Prozesse sind eine deutliche Demonstration dessen, dass sich die Herrschenden nicht anschicken, sich auf Kompromisse einzulassen. Aber auch die Opposition wird ihrerseits immer radikaler.

Ihre Kampfeinheit ist das Kastus-Kalinouski-Regiment (Kastus Kalinouski war ein Adeliger und eine der führenden Persönlichkeiten der belarussischen nationalen Befreiungsbewegung um die Mitte des 19. Jahrhunderts, Anführer des Januaraufstandes 1863–64 im Gebiet des früheren Großfürstentums Litauen, sowie Publizist und Dichter – Anmerkung der Redaktion), das Kampfhandlungen in der Ukraine führt und zahlenmäßig wächst. Und seine Vertreter geben Erklärungen ab, die immer mehr Drohungen enthalten. So war dieser Tage die eindeutige Androhung zu vernehmen: „Wir werden alle politischen Gefangenen befreien. Und diejenigen, die dies behindern werden, werden getötet. Dies ist eine Message an die weißrussischen OMON-Angehörigen (OMON ist eine Sondereinheit der Miliz, die vor allem durch ihre Brutalität in Weißrussland in unguter Erinnerung geblieben ist – Anmerkung der Redaktion). Schlaft damit und erinnert euch dessen!“.

Swetlana Tichanowskaja an sich, die Gattin und politische Erbin Sergejs, erhielt jüngst (am 26. Mai) zusammen mit Maria Kolesnikowa und Veronika Tsepkalo in Aachen den Internationalen Karlspreis – Für die Einheit Europas. Im Rahmen der Auszeichnungsveranstaltung erklärte sie: „Wenn Orwell heute über Belarus schreiben würde, würden wir seine Bücher nicht für Belletristik halten… Möglicherweise haben Sie es satt, von den Schrecken zu hören, die unser Volk durchmacht, haben Sie es über zu hören, wie zwei Nachbarländer Russlands leiden, und man Ihnen ständig sagt, dass Sie ungenügend tun würden. Ich rufe Sie nicht auf, zu kommen und für uns zu siegen. Ich appelliere, sich auch auf Belarus zu konzentrieren. Man darf nicht Sanktionen gegen Diktatoren aufheben, womit man sich von ihnen erpressen lässt“.

Bei der Kommentierung der Ablehnung der Berufung zum „Fall von Sergej Tichanowskij“ erklärte sie: „Möchte ich irgendwen dessen bezichtigen, dass derzeit alles eben so ist? Mitunter kommt solch ein Gefühl auf, ich verstehe aber, dass dies eher aufgrund von Müdigkeit und Enttäuschung darüber der Fall ist, dass sich unser Weg als ein längerer erwiesen hat, als wir es gerne hätten. Sicherlich war er ursprünglich solch einer, aber wir hatten dies nicht bemerken wollen. Innerhalb dieser zwei Jahre haben wir jedoch nicht angefangen, die Diktator, Lukaschenko und die verhöhnende Haltung gegenüber den Menschen zu lieben. Wir haben die Zukunft gewählt, und nicht die Vergangenheit. Bereits für immer. Folglich haben wir keine andere Variante als zu ihr zu gelangen“.

Die Offiziellen begreifen aber ausgezeichnet die Gefahren und geht neben den Aktivitäten der Rechtsschützer zu militärischen über. In Weißrussland könne man eine Bürgerwehr aufstellen. Dies erklärte Verteidigungsminister Viktor Chrenin. „Wir sehen, dass diese Frage gleichfalls sehr wichtig ist. Das Wichtigste ist, dass wir dafür Menschen und Waffen haben. Die Anzahl der Verteidiger unseres Landes kann sich wirklich um ein Mehrfaches erhöhen. Dies hat große Bedeutung in der sich herausgebildeten Situation. Die Antwort wird eine adäquate sein, wenn irgendwer auf unseren Boden kommt“, unterstrich der Minister.

Bisher signalisieren nur Vertreter des Kalinouski-Regiments die Absicht, auf den weißrussischen Boden zu kommen. Und die Herrschenden bereiten sich vor, sie in Empfang zu nehmen.

  1. S.

Bereits nach Redaktionsschluss für den vorliegenden Beitrag wurde bekannt, dass die weißrussischen Offiziellen auch andere Pläne schmieden bzw. nicht verwerfen, um die Opposition komplett plattzumachen. Präsident Alexander Lukaschenko erklärte am Freitag, dass er die Möglichkeit nicht ausschließe, wonach Sonderoperationen durchgeführt werden könnten, um flüchtige Oppositionelle, die auf die Liste von an Terrorismus beteiligten Personen gesetzt wurden, zwangsweise ins Land zurückzuholen. Präzedenzfälle dafür hatte es schon gegeben, auch mit Unterstützung russischer Sicherheitskräfte. Und der Vorfall mit dem Ryanair-Jet vom Mai vergangenen Jahres demonstrierte, dass Minsk auf unterschiedliche Art und Weise das entsprechende Instrumentarium einsetzen kann.