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Weißrusslands Opposition weiß nicht, womit den verurteilten Mitstreitern geholfen werden kann


In vielen Städten Europas und der USA haben am 21. Mai Veranstaltungen stattgefunden, die von weißrussischen Emigranten organisiert worden waren. Das zweite Jahr begingen sie so den auf Initiative des Menschenrechtszentrum „Wesna“ (deutsch: „Frühling“) initiierten Tag der Solidarität mit den politischen Häftlingen. Die geografische Reichweite der Aktionen war eine große. Vertreter der Opposition gestehen jedoch ein, dass sie bisher kein wirksames Instrument für eine Hilfe für die Gefangenen haben.

Am Sonntag haben in ganz Europa und in einer Reihe von Städten der USA Aktionen stattgefunden, die dazu bestimmt waren, die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der weißrussischen Oppositionellen zu lenken, die sich in Haft befinden. Organisiert wurden sie nicht nur in den Hauptzentren der weißrussischen Emigration – in Vilnius und in Warschau -, sondern auch in Paris, Brüssel, London, Kopenhagen und vielen anderen Städten Europas, aber auch in New York, Detroit und San Francisco.

Im vergangenen Jahr war auf Initiative des Menschenrechtszentrums „Wesna“ der 21. Mai zum Tag der Solidarität mit den politischen Häftlingen Weißrusslands erklärt worden. Das Datum war im Zusammenhang damit ausgewählt worden, dass an diesem Tag im Jahr 2021 der Häftling Vitold Aschurow im Alter von 50 Jahren in einer Strafkolonie des Verwaltungsgebietes Mogiljow ums Leben gekommen war. Er war Mitglied der Partei „Weißrussische Volksfront“ gewesen, aber auch Koordinator der Bewegung „Für die Freiheit“. Im September des Jahres 2020 hatte man den Aktivisten zu 30 Tagen Ordnungshaft verurteilt. Jedoch ist er nie wieder auf freien Fuß gekommen. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Und im Januar des Jahres 2021 wurde er zu fünf Jahren Freiheitsentzug mit einem Verbüßen der Strafe in einer allgemeinen Strafkolonie verurteilt. Am 244. Tag seiner Haft verstarb er plötzlich. Laut einer offiziellen Version – aufgrund eines Herzversagens. Verwandte und Mistreiter sind jedoch von einem gewaltsamen Charakter seines Todes überzeugt. Ein Verfahren aufgrund des Ablebens des Inhaftierten wurde nicht eingeleitet.

Im vergangenen Jahr wurde zum Symbol des Tages der Solidarität mit den politischen Häftlingen ein gelber Anhänger geworden. Über diese Form der Markierung politischer Häftlinge hatte Vitold Aschurok selbst in seinen Briefen informiert.

In diesem Jahr wurden zum Thema des Tages der Solidarität Briefe an politische Häftlinge und insgesamt das Recht auf einen Briefwechsel, das, wie Menschenrechtler erklären, den inhaftierten Oppositionellen genommen worden ist. Im vergangenen Jahr haben deren Liste auch die Spitzenvertreter des Zentrums „Wesna“ an sich unter Führung von Ales Beljazkij, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 2022, vervollständigt. Auf der Internetseite des Zentrums wird die folgende Information ausgewiesen: „Mit Stand vom 21. Mai sind in Belarus 1525 Personen als politische Häftlinge anerkannt worden“. Die Menschenrechtler rufen alle auf, die Mitgefühl für den Kampf dieser Gefangenen empfinden, nicht die mannigfaltigen Formen der Unterstützung für sie – Päckchen, Geldüberweisungen, Hilfe bei der Zusammenstellung von Hilfsgütern und materielle Unterstützung für die Familien — zu vergessen. Die Hauptfrage bestehe jedoch nicht darin, sondern darin, wie und womit deren Befreiung oder zumindest eine Erleichterung des Schicksals gefördert werden kann. Und da gibt es keine einheitliche Meinung.

Dem Tag der Solidarität mit den politischen Häftlingen galt eine Diskussion auf dem YouTube-Kanal „Malanka.Media“, die durch den Koordinierungsrat Weißrusslands – eine Struktur, die auf den Status eines Protoparlaments für ein alternatives Weißrussland Anspruch erhebt – organisiert worden war.

Die Vertreterin der Vereinigung von Verwandten politischer Häftlinge – Swetlana Mazkewitsch – konstatierte, dass jene Strategie zur Ausübung von Druck auf die Herrschenden, die die Opposition bisher nutzte, keine Ergebnisse bringe. Lange Zeit hätten alle auf eine Wirkung durch die Sanktionen gewartet, aber vor deren Hintergrund habe in den vergangenen drei Jahren die Anzahl der politischen Häftlinge nur weiter zugenommen. Daher mache es Sinn, bodenständigeren Aufgaben mehr Aufmerksamkeit zu schenken. „Wir sprechen davon, dass der humanitäre Aspekt der Befreiung der politischen Häftlinge das Hauptziel sei, das vor der weißrussischen Gesellschaft stehen müsse. Wir haben viele humanitäre Aufgaben: die Bewahrung und Aufrechterhaltung der Gesundheit der politischen Gefangenen in den Gefängnissen, den Erhalt von Informationen durch die Verwandten sowie eine Unterstützung für die Verwandten. Das heißt, dies ist keine politische, sondern eine humanitäre Ebene der Klärung der Frage. Und sie muss direkt hier und jetzt gelöst werden“, meint Mazkewitsch. Sie schlägt vor, sich an das Rote Kreuz zu wenden, an die Organisation, die nach wie vor in Minsk arbeitet, und zu erreichen, dass ihre Vertreter die Mission zur Kontrolle des Zustands der politischen Häftlinge übernehmen.

Derweil ist der Politologe Pawel Ussow der Auffassung, dass gerade Sanktionen das „einzige Aktiv für einen Austausch“ seien. Er ist der Annahme, dass Mechanismen entwickelt werden müssten, die erlauben, zumindest einen Teil der Menschen, vor allem jener, die ernsthafte Probleme mit der Gesundheit haben, auf freien Fuß zu bekommen.

Valerij Kowalewskij, Vertreter des Vereinigten Übergangskabinetts für internationale Angelegenheiten, ist mit solch einer Fragestellung einverstanden, betont jedoch: „Die westlichen Länder sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt bisher nicht bereit, die Sanktionen ohne konkrete Schritte des Regimes aufzuheben. Das gleiche kann man auch hinsichtlich der Sanktionen sagen, die im Zusammenhang mit der innenpolitischen Krise verhängt wurden. Eine der Varianten sind einer Verstärkung des Drucks und eine Eskalation. Hier kann man aber unterschiedliche Stimmen hören“.

Pawel Ussow schlägt seinerseits vor, für die Ausübung von Druck auf Alexander Lukaschenko die Autorität von UN-Generalsekretär António Guterres auszunutzen.

„Den UN-Generalsekretär zu bitten, nach Minsk zu kommen, um sich mit Lukaschenko zu treffen und Bedingungen für eine Freilassung der politischen Häftlinge abzusprechen, dies ist das einfachste und effektivste, was wir tun können. Die internationalen Organisationen unternehmen nichts. Und dies wäre ein effektiver politischer Schritt. Keiner wird dies für uns tun“, meint der Experte.

Allerdings, unter Berücksichtigung dessen, dass gerade António Guterres vor kurzem Alexander Lukaschenko eine Einladung sandte, um am Gipfeltreffen, das den Problemen einer nachhaltigen Entwicklung gewidmet sein wird, teilzunehmen, wird dieser internationale Beamte wohl kaum bereit sein, auf den Appell des oppositionellen Politologen zu reagieren.