Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Welches Ziel verfolgten tatsächlich die Änderungen am Gesetz „Über die Bildung“?


Die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) hat in 3. Lesung und endgültig Änderungen am Föderalen Gesetz „Über die Bildung in der Russischen Föderation“ (hinsichtlich der Durchführung einer aufklärerischen Tätigkeit) gebilligt. Das Oberhaus, der Föderationsrat, hat sie in dieser Woche auch „durchgewunken“. Es ist logisch, dass diese Änderungen im Jahr der Wissenschaft und Technologien, das in Russland proklamiert wurde, gerade die aufklärerische Tätigkeit betreffen. „Besondere Aufmerksamkeit muss dem Thema der Popularisierung der einheimischen Wissenschaft und Technologien gewidmet werden“, unterstreicht Valerij Falkow, der Minister für Wissenschaft und Hochschulbildung der Russischen Föderation. Also …

Die Buchstaben des Gesetzes

„1. Die aufklärerische Tätigkeit nehmen die staatlichen Machtorgane, andere Staatsorgane, örtliche Selbstverwaltungsorgane und die von ihnen bevollmächtigten Organisationen vor. Und auch berechtigt, sie vorzunehmen, sind natürliche Personen, Einzelunternehmer und (oder) Rechtspersonen bei Einhaltung der Forderungen, die durch das vorliegende Föderale Gesetz und andere normative Rechtsakte der Russischen Föderation vorgesehen worden sind“.

Was sind das aber für Forderungen? Sehr simple.

„2. Unzulässig ist eine Nutzung der aufklärerischen Tätigkeit für das Schüren sozialer, rassenbedingter, nationaler oder religiöser Zwistigkeiten, für eine Agitation, die eine Ausschließlichkeit, Überlegenheit oder Minderwertigkeit von Bürgern entsprechend der sozialen, Rassen-, nationalen, religiösen oder Sprachzugehörigkeit, hinsichtlich ihrer Haltung zur Religion, darunter durch das Mitteilen unglaubwürdiger Angaben über historische, über nationale, religiöse und kulturelle Traditionen der Völker, aber auch zwecks Anstiftung zu den der Verfassung der Russischen Föderation widersprechenden Handlungen propagieren.

  1. Die Modalitäten, Bedingungen und Formen der Durchführung einer aufklärerischen Tätigkeit, aber auch die Modalitäten für die Vornahme einer Kontrolle dieser werden durch die Regierung der Russischen Föderation festgelegt“.

Dass durch diese Definition eine Situation geschaffen wird, die in der Philosophie die Bezeichnung „schlechte Unendlichkeit“ trägt (nach Hegel – „NG“) – kläre auf, wer möchte, aber nur darüber, was die Regierung erlaubt -, macht die Abgeordneten und Senatoren augenscheinlich wenig verlegen. Es scheint, dass die Änderungen in erster Linie nicht so sehr auf eine Unterstützung der aufklärerischen Tätigkeit in der Russischen Föderation abzielen als vielmehr auf die Ausprägung einer den Herrschenden passenden Version der Geschichte. Und dies bedeutet – auch einer entsprechenden Ideologie. Schließlich ist Geschichte keine Anordnung von Fakten in einer chronologischen Abfolge, sondere unsere Interpretation dieser Fakten. Allerdings ist selbst einfach die Auswahl jeglichen Typs von Chronologien an und für sich eine Interpretation. Sogar die Form der Aufzählung der Städte und Länder in der Wettervorsage kann – wenn sie nicht eine aufklärerische Tätigkeit ist – politisch (ideologisch) begründet sein.

Das Wichtigste ist aber: Die Gesetzesänderungen implementieren den Begriff „aufklärerische Tätigkeit“. Der Gesetzgeber schlägt vor, darunter Folgendes zu verstehen: „… Aufklärerische Tätigkeit ist eine außerhalb des Rahmens von Bildungsprogrammen vorzunehmende Tätigkeit, die auf die Verbreitung von Wissen und Erfahrungen, die Ausprägung von Fähig- und Fertigkeiten, Wertvorstellungen und Kompetenzen zwecks einer intellektuellen, geistig-moralischen, künstlerischen, physischen und (oder) beruflichen Entwicklung des Menschen, einer Befriedigung seiner Bildungsbedürfnisse und Interessen abzielt und die Beziehungen tangiert, die durch das vorliegende Föderale Gesetz und andere normative Rechtsakte der Russischen Föderation geregelt werden“.

Somit haben die russischen Gesetzgeber die Lücke „geschlossen“, die mindestens ein Jahrtausend bestand. Noch einem anonymen italienischem Wissenschaftler des 15. Jahrhunderts wird die Äußerung zugeschrieben: „Die Popularisierung der Wissenschaft kommt einer Herabwürdigung Gottes gleich“. Seitdem und bis zum 16. März (Tag der Annahme der Gesetzesänderung durch die Staatsduma) bzw. dem 31. März (Tag derer Billigung durch den Föderationsrat) dieses Jahres war das Problem der Möglichkeit einer Aufklärung – und Popularisierung der Wissenschaft als ihr Hauptteil – in einer Situation geblieben, die der bekannte sowjetische Wissenschaftsautor Daniil Danin gut formuliert hatte: „Wenn die Ergebnisse der Wissenschaft jeglichem Neugierigen zugänglich sind, wie dies oft in der Kunstwissenschaft vorkommt, ist eine Popularisierung auch nicht nötig. Wenn sie nicht zugänglich sind, wie dies noch häufiger in der Naturwissenschaft passiert, ist eine Popularisierung notwendig. Aber beinahe unmöglich“.

Sich der Zügel der Geschichte entledigend

In unserem Fall spitzt sich nach der Annahme der „aufklärerischen“ Änderungen zum Gesetz „Über die Bildung“ die von Daniil Danin hervorgehobene Kollission noch mehr zu. Die Aufrufe, den Akzent auf die Popularisierung der Wissenschaft im Jahr der Wissenschaft und Technologien zu setzen, sind ergebnislos, denn: 1) keiner impliziert gar das Objekt der aufklärerischen Tätigkeit (die Wissenschaft) und 2) es ist unklar, was dennoch diese aufklärerische Tätigkeit an sich darstellt. Und von daher unter anderem dieser Versuch, ein krampfhafter von der Form und ein ergebnisloser vom Inhalt her: juristisch Sachen zu definieren und zu fixieren, die reinen Metaphern so nahe sind – die Aufklärung im weiten Sinne und die Popularisierung der Wissenschaft in Sonderheit.

In einer konzentrierten Form hatte all diese Befürchtungen der stellvertretende Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für Bildung und Wissenschaft Oleg Smolin (KPRF-Fraktion – Anmerkung der Redaktion) zum Ausdruck gebracht. „Das Bildungsniveau im Land ist katastrophal gesunken. Und anstatt die aufklärerische Tätigkeit zu unterstützen, versuchen wir, sie auf jegliche Weise einzuschränken, indem wir unter aufklärerischer Tätigkeit hauptsächlich eine feindselige Tätigkeit verstehen“, betont er. „Die Situation wird vollkommen pervertiert. Es ergibt sich, dass sich mit einer Aufklärung diejenigen befassen, die gegen Russland oder zumindest gegen die russischen Herrschenden sind“. Es sei angemerkt, dass alle Anmerkungen und Änderungen zur Gesetzesvorlage, die Smolin eingebracht hatte, abgewiesen wurden.

Wenn man aber das offizielle Pathos ausklammert, kann man davon sprechen, dass es um die Festlegung noch eines Feldes bzw. eines Bereiches zur Kontrolle der Gesellschaft durch den Staat geht. In der Tat: „Unzulässig ist eine Nutzung der aufklärerischen Tätigkeit für das Schüren… darunter durch das Mitteilen/Verbreiten unglaubwürdiger Angaben über historische, über nationale, religiöse und kulturelle Traditionen der Völker, aber auch für eine Anstiftung zu der Verfassung der Russischen Föderation widersprechenden Handlungen“. Schließlich wird doch irgendwer – ein gewisses bevollmächtigtes Organ der Regierung – entscheiden und unglaubwürdige historische Angaben von historisch glaubwürdigen bzw. richtigen trennen.

Experten des Telegram-Kanals „Wissenschafts- und Bildungspolitik“, der ausführlich über die Tätigkeit des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft berichtet, sind der Auffassung, dass sich solch eine Vorgehensweise ideal in den „Rahmen der Geschichtspolitik“ einfüge. Es muss hier gedacht werden „staatliche Geschichtspolitik“. Und es geht nicht um die Geschichte der Bildungs- oder Wissenschaftspolitik. Es geht gerade um die „Geschichtspolitik“, das heißt um eine Verwaltung der Geschichte. Und noch besser – um die Zeit an sich, den Chronos. „Es ist Zeit, vorwärts!“ Oder zurück? Dies bereits, wie es das bevollmächtigte Regierungsorgan für notwendig erachtet.

Obgleich die einzige adäquate Form eine ganz andere ist: Man muss auf jegliche Weise die Entwicklung der Geschichtswissenschaft, die historischen Forschungen fördern. Darüber gibt es weder in den verabschiedeten „aufklärerischen“ Gesetzesänderungen noch in den Lobhuldigungen der Abgeordneten an die Adresse dieser Gesetzesänderungen auch nur ein Wort.

Man muss gut aufpassen

Derweil ergibt sich für das künftige bevollmächtigte Regierungsorgan noch eine Schwierigkeit im Prozess der Trennung des Weizens von der Spreu. Die Sache ist die, das eine Aufklärung von ihrem Wesen an sich durchaus eine zweifelhafte sein kann. Aber dies schmälert in keiner Weise die Vorzüge und Qualitäten der aufklärerischen Tätigkeit.

Der Historiker, Geograf und Ethnograf Lew Gumiljow bezeichnete diesen Effekt als „Motten-Vorgehensweise“. „… Eine leichte, elegante Popularisierung wenig bekannter oder umstrittener Sujets; Streitgespräche zur Verteidigung paradoxer Theorien, ohne Ansprüche auf eine genaue Argumentation; Rezensionen, mehr oder weniger geistreiche, die Reklame und Werbung für fremde Arbeiten“, schreibt Gumiljow in der Monografie „Die Geografie einer Ethnie in einer historischen Periode“ (1990). „Wünschenswert ist eine Breite der Bildung, doch Tiefe ist in diesem Genre kontraindiziert (schädlich – „NG“), denn sie ist für den Durchschnittslese schwer zugänglich. Diese Vorgehensweise ist für die Wissenschaft recht nützlich, da sie den Leser vorbereitet, besonders den jungen, und eine Verbindung der abstrakten Gedanken mit dem Alltagsleben realisiert. Gefährlich ist nur ein Übergang der Unterhaltsamkeit guter Qualität zu einem militanten Dilettantismus. Natürlich ist es bedauerlich, dass diese, oft begabten Werke wie Motten leben. Nachdem man sie gelesen hat, vergisst man sie“.

Diese Gumiljow-Definition ist aber natürlich weitaus nützlicher für die Praxis der aufklärerischen Tätigkeit als der unbeholfene Abgeordneten-Text, eine Hässlichkeit, der nun legitimiert worden ist. Übrigens, sowohl zu Lebzeiten von Lew Nikolajewitsch (Gumiljow) als auch nach seinem Tod haben die Streitgespräche über den Grad der Glaubwürdigkeit der Interpretation der historischen Angaben, die durch ihn angeführt werden, nicht aufgehört. Seine Theorie an sich vom passionarischen Charakter der Ethnien (der Ethnogenese) ist auch heute ein heftig diskutiertes Thema. Jetzt aber sind jegliche natürlichen oder Rechtspersonen oder gesellschaftlichen Organisationen, die aus irgendwelchen Gründen das Publikum mit den Konzeptionen von Lew Gumiljow bekanntmachen wollen, offensichtlichste Kandidaten, um von den Leuten erfasst zu werden, die dafür ernannt worden sind, für eine richtige Geschichtspolitik Verantwortung zu tragen.

Wie aber soll man beispielsweise mit Pressemitteilungen von Forschungseinrichtungen, Akademieinstituten und Universitäten umgehen? Schließlich ist dies eine Form von aufklärerischer Arbeit.

Allerdings ist es möglich, dass die Abgeordneten in erste Linie ganz und gar nicht die Sorge bewegte, die „auf eine Verbreitung von Wissen und Erfahrungen, auf die Ausprägung von Fähig- und Fertigkeiten sowie Wertvorstellungen“ usw. usf. ausgerichtet ist. Vieles erklärt die verabschiedete Ergänzung zum Artikel 105 des Gesetzes „Über die Bildung“ durch den (neuen) Teil 4. Hier ist der Wortlaut dieser Änderung:

„4. Der Abschluss von durch Teil 3 des vorliegenden Artikels vorgesehenen Verträge, außer Verträgen über die Erbringung von Ausbildungsleistungen für ausländische Bürger, durch Bildungseinrichtungen, mit Ausnahme der föderalen staatlichen Bildungseinrichtungen, die sich im Verantwortungsbereich der föderalen Staatsorgane befinden, erfolgt bei Vorhandensein eines Gutachtens des föderalen exekutiven Machtorgans, das die Funktionen zur Ausarbeitung und Realisierung der staatlichen Politik sowie zur normativ-rechtlichen Regulierung im Bereich der Hochschulbildung wahrnimmt, oder des föderalen exekutiven Machtorgans, das die Funktionen zur Ausarbeitung und Realisierung der staatlichen Politik und zur normativ-rechtlichen Regulierung im Bereich der allgemeinen Ausbildung wahrnimmt. Den föderalen staatlichen Bildungseinrichtungen, die sich im Verantwortungsbereich föderaler Staatsorgane befinden, wird das Gutachten durch das föderale staatliche Organ ausgestellt, in dessen Verantwortungsbereich sich die entsprechenden Bildungseinrichtungen befinden. Die Modalitäten für die Vorbereitung und den Erhalt der ausgewiesenen Gutachten werden durch die Regierung der Russischen Föderation bestätigt.“

Unverständlicher kann es der russische Gesetzgeber wohl nicht formulieren, möchte man da nur sagen (Anmerkung der Redaktion).

Und Teil 3, auf den der Gesetzgeber verweist, bestimmt die Richtungen der internationalen Zusammenarbeit: Ausarbeitung und Realisierung von Bildungs- und wissenschaftlichen Programmen im Bildungsbereich; Entsendung von Auszubildenden sowie pädagogischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern russischer Einrichtungen zu ausländischen Bildungseinrichtungen; Durchführung gemeinsamer wissenschaftlicher Forschungsarbeiten im Bildungsbereich; Teilnahme an Online-Bildungsprogrammen; Austausch von Ausbildungs- und wissenschaftlicher Literatur auf bilateraler und multilateraler Grundlage.

Ein Professor einer der großen russischen Universitäten und Doktor der Physik und Mathematik, der um eine Nichtnennung seines Namens gebeten hatte, kommentierte auf Bitten der „NG“ die verabschiedeten Gesetzesänderungen und erklärte: „Für mich ist es offensichtlich, dass dies eine weitere gesetzgeberische Initiative ist, die durch unseren Streit mit dem Westen ausgelöst wurde. Und die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die eine aktive internationale Tätigkeit wahrnehmen, erwarten Unannehmlichkeiten“.

Möglicherweise haben die Abgeordneten und Senatoren nicht bis zu Ende durchdacht, was für eine Zone von Turbulenzen sie geschaffen haben. (Wenn natürlich dieses Gesetz umgesetzt wird.) Doch der bereits erwähnte Telegram-Kanal betont zu deren Rechtfertigung frank und frei: „Derzeit erhalten wenige solcher Initiativen, die unter der Ägide der Verhinderung einer ausländischen Einmischung realisiert werden, eine endgültige Unterstützung. Denn allen Beteiligten des Prozesses war von Anfang an klar: Die Änderungen wird man doch annehmen.

Genauso klar war dies sowohl Wjatscheslaw Nikonow (Vorsitzender des entsprechenden Duma-Ausschusses, Vertreter der Fraktion von „Einiges Russland“ – Anmerkung der Redaktion) als auch dem gesamten Staatsduma-Ausschuss für Bildung und Wissenschaft… Das Problem bestand und besteht darin, dass faktisch der Ressortausschuss jene Gruppe von Gesetzgebern beider Kammern ist, die sich mit der Abwehr einer äußeren Einmischung befasst“.

Man könnte denken, dass sich der Ressortausschuss der Staatsduma mit der Gewährleistung günstiger Bedingungen für die Entwicklung von Bildung und Wissenschaft im Land befasst. Es stellt sich aber heraus, dass der Ausschuss mehr einer Filiale oder einem Instrument in den Händen irgendeines Geheimdienstes ähnelt. Nun denn, dies ist ein symbolischer und symbolträchtiger Beitrag zu den Veranstaltungen des Jahres der Wissenschaft und Technologien in Russland.