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Wenig Auswahl bei Präsidentenwahlen in Russland


Nach drei Tagen Abstimmung steht es erwartungsgemäß fest: Russlands Präsident Wladimir Putin bekam ein Votum für die nächste, die fünfte Amtszeit, die sechs Jahre andauern wird. 87,29 Prozent der russischen Wähler stimmten für den Kremlchef. Damit liegt das Ergebnis nicht nur über dem von 2018 (76,69 Prozent), sondern auch über den Zielvorgaben der Präsidialadministration (75 bis 80 Prozent) und den Daten der kremlnahen Soziologen aus dem Allrussischen Meinungsforschungszentrum VTsIOM, die Anfang letzter Woche einen Wahlsieg für den 71-jährigen mit ca. 82 Prozent vorausgesagt hatten. Damit bleibt Wladimir Putin bis zum Jahr 2030 an der Macht, länger als jeder anderer Herrscher Russlands seit den Zeiten von Katharina der Großen, der Zerbster Prinzessin. Einen Wermutstropfen muss man jedoch hier vergießen: Putin schaffte es nicht, die astronomischen Werte beispielsweise von Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew (er siegt im Februar mit 92,12 Prozent der Stimmen) oder von Tadschikistans Staatsoberhaupt Emomali Rachmon (er gewann mit 90,92 Prozent bei den Wahlen im Jahr 2020) zu übertreffen.

Und die Wahlbeteiligung erreichte in Russland in den vergangenen drei Tagen ebenfalls neue Spitzenwerte. Die 67,54 Prozent von vor sechs Jahren machen sich irgendwie bescheiden gegenüber den nunmehrigen 77,44 Prozent aus. Das heißt, ca. 87,113 Millionen machten von ihrem Stimmrecht Gebrauch, wobei sie nicht nur an die Wahlurnen kamen, sondern auch online wie Putin abstimmten. Mitunter entstand – vor allem am vergangenen Wochenende – der Eindruck, dass die Regionen einen indirekten Wettbewerb austrugen: Wer hat die höchste Wahlbeteiligung und wer bringt für Putin das höchste Ergebnis? Die Zahlen sind schon beeindruckend und sind für den westlichen Wahlbeobachter bzw. den Wähler im Westen unglaubliche. Die russischen Streitkräfte meldeten eine Wahlbeteiligung von 95,8 Prozent, wobei über 99 Prozent für die neue Amtszeit des Präsidenten stimmten. Besser schnitt erwartungsgemäß Tschetschenien ab. Die von Ramsan Kadyrow geführte russische Teilrepublik kam auf 97 Prozent bei der Wahlbeteiligung und informierte über 98,99 Prozent der für den Kremlchef abgegebenen Stimmen. Aus den neuen russischen Territorien, die nicht nur an den offiziellen Wahltagen, sondern auch schon zuvor eine Abstimmung organisiert hatten, berichteten die russischen Medien, dass beispielsweise in der Donezker Volksrepublik 95,23 Prozent für das amtierende Staatsoberhaupt votiert hätten (bei einer Wahlbeteiligung von 88,25 Prozent).

In diesem Jahr war die Auswahl für die Wähler freilich keine üppige. Lediglich drei Gegenkandidaten standen neben dem Namen von Wladimir Putin auf den Wahlzetteln. Sechs Jahre zuvor waren es noch sieben Spoiler-Kandidaten. Dementsprechend verlief der Wahlkampf, wenn man ihn überhaupt als einen solchen bezeichnen kann, flau dahin, die TV-Debatten wurden für die Sender hinsichtlich der Einschaltquoten zu einem Flopp. Lediglich die eigenen Wahlspots von Nikolaj Charitonow (KPRF), Wladislaw Dawankow (Partei „Neue Leute“) und Leonid Sluzkij (LDPR) blieben dem einen oder anderem im Gedächtnis. Der älteste von allen – Charitonow mit 75 Jahren – blieb mit seiner geballten Faust für die einstigen guten sowjetischen Werte in Erinnerung. Er vermochte jedoch nicht an sein Wahlergebnis von 2004 anknüpfen, als er mit 13,69 Prozent der Stimmen auf Platz 2 kam. In diesem Jahr musste er sich mit ca. 4,30 Prozent auf dem 2. Rang begnügen. Für Wladislaw Dawankow, dem mit 40 Jahren jüngsten der Kandidaten, bewahrheiteten sich die Voraussagen nicht. Er schaffte nur den 3. Platz mit 3,84 Prozent der abgegebenen Stimmen. Offensichtlich wirkte sich da die Negativ-Kampagne kurz vor den Wahlen aus. Schließlich wurde bekannt, dass der gebürtige Smolensker nicht nur der finanziell reichste Kandidat war, sondern auch, wie er zu diesem Wohlstand gelangte. Mittels sogenannter Mikro-Finanz-Institutionen, die für dreistellige Prozentsätze Kredite mit kurzen Laufzeiten vergaben und viele Russen in die Insolvenz trieben. Erst durch das Eingreifen der Zentralbank wurden der Tätigkeit solcher Geldverleiher Zügel angelegt, doch ihr Ruf wurde damit nicht besser. Schlusslicht wurde Leonid Sluzkoj, der nach dem Tod von Parteigründer Wladimir Schirinowskij, die LDPR zu keinen neuen Popularitätssprüngen führen konnte. 3,21 Prozent der Stimmen vereinte der Endfünfziger auf sich, dem der Makel anhaftet, bei Frauen keine Wirkung zu erzielen.

Russlands Bürger hatten also (k)eine Wahl. Die Putins Gegner nach dem Ausscheden durch Wahlkomissionbeschluss den liberalen Kandidaten Nadeshdin plädierten dafür möglichst wenige Stimmen für Putin abzugeben.Die russische Bürger sahen keine wirkliche Alternative zum bisherigen Staatsoberhaupt, der überdies wenige Tage vor dem Urnengang mit seiner Jahresbotschaft neue nationale Projekte ankündigte und mit den dafür vorgesehenen Billionen-Summen zu beeindrucken wusste. Neue Gelder für begünstige Wohnungskredite, Gelder zur Stimulierung der Geburtenrate… In Gesprächen der Redaktion „NG Deutschland“ mit Wahlberechtigten am Wahlsonntag war in Moskau mehrfach erklärt worden, dass gerade die neuen Initiativen den letzten Anstoß für die Stimmabgabe zugunsten von Wladimir Putin gaben. Dabei vermochten unsere Gesprächspartner nicht die Frage zu beantworten, wie dies alles finanziert werden soll. Es geht schließlich um ca. 13-14 Billionen Rubel. Derweil kursieren im russischen Internat bereits mögliche Antworten. Einige Experten und Beobachter sagen Steuererhöhungen voraus. Andere erwarten neue restriktive Gesetze, da an den Wahltagen mehrfache Versuche erfolgten, um Wahlzettel zu vernichten. Und viele Russen rechnen damit, dass die militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine beendet werde. Obgleich Putin am Sonntagabend lediglich erklärte, dass diese Operation fortgesetzt werde (offen ließ er, wie lange noch) und die Streitkräfte des Landes weiterhin verstärkt werden würden.

Die Präsidentschaftswahlen Russlands sind nun Geschichte. Am 21. März wird die Zentrale Wahlkommission die endgültigen Ergebnisse vorlegen. Für den 7. Mai ist die Einführung zur 5. Amtszeit von Wladimir Putin zu erwarten. Skeptiker erwarten, dass in Abhängigkeit vom Gesundheitszustand des Kremlchefs nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine sechste Amtszeit ebenfalls möglich sei. Aber bis dahin ist noch viel Zeit. Geht man von der Jahresbotschaft Putins aus, die er am 29. Februar vortrug, sind die kommenden Jahre aber durchaus ausreichend, um eine neue Elite im Land zu formieren, die sich dem Patriotismus sowie den traditionellen russischen Werten verpflichtet fühlt. Eine neue Elite, die unter anderem aus den Reihen der Kämpfer der militärischen Sonderoperation sowie nach Kreml-Schnittmustern entwickelt wird.