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Werden die AKW-Kapazitäten wirklich weltweit für die Klima-Ziele erweitert?


Das Problem des Kampfes gegen die Erwärmung unseres Planeten hat das Interesse für AKW belebt. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat bereits vorgeschlagen, die Kapazitäten der Kernkraftwerke weltweit um das 3fache zu erhöhen, um das Ziel der Null-Emissionen bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Laut Angaben der World Nuclear Association (WNA) belief sich mit Stand September 2020 die Anzahl der arbeitenden Reaktorblöcke in der Welt auf 441 mit einer installierten Gesamtleistung von 391,7 Gigawatt. Errichtet werden derzeit 53 Reaktorblöcke mit einer summarischen Leistung von 59,2 Gigawatt.

Somit gewinnt die Kernenergetik, die auf kleinen AKW basiert, weltweit an Tempo. Immer mehr Unternehmen signalisieren die Absicht, Kernreaktoren in Modulbauweise (Small Modul Reactor – SMR) in Betrieb zu nehmen. Es sei daran erinnert, dass es sich bei dem Projekt SMR-160 beispielsweise um das Projekt eines wassergekühlten Kraftwerks mit einer Leistung von 160 Megawatt handelt. Die Reaktoren befinden sich unterirdisch, verwendet werden passive Sicherheitssysteme. Und zum Einsatz kommt geringangereichertes Uran als Kernbrennstoff. Durch den Einsatz von Systemen einer Luftkühlung kann solch ein Kraftwerk auch in Regionen mit einem Wassermangel errichtet werden, Dies ist ein Leichtwasser-Reaktor. Als Brennstoff nutzt er „gewöhnlichen“ Brennstoff aus angereichertem Uran, der durch kommerzielle Lieferanten auf dem Weltmarkt angeboten wird. Anders gesagt: Dies ist geringangereichertes Uran. Es wird die Auffassung vertreten, dass das Projekt SMR-160 zu den sichersten in der Welt gehört, da für seinen Betrieb weder Pumpen noch Motoren vorgesehen sind. Das (bisher auf dem Papier) erreichte Sicherheitsniveau der SMR-160-Reaktoren ist solch eines: Walk way safe. Dies bedeutet, dass im Falle einer Havarie, die sich aufgrund jeglicher Ursachen ergeben kann (darunter in Folge eines Diversions- oder Terroraktes), der Reaktor stillgelegt und in einen sicheren Zustand ohne das Eingreifen des Menschen übergehen wird.

Gegenwärtig beteiligen sich über 70 Unternehmen in der ganzen Welt an derartigen Projekten. Die Kritiker von kleinformatigen AKW sind der Auffassung, dass die Gegner der Kernenergetik die gleichen Argumente wie auch in Bezug auf größere Vorhaben vorbringen würden. Es geht um die hohen Kosten und Sicherheitsprobleme, die mit der Kernenergetik zusammenhängen. Kleine Kernkraftwerke können jedoch zu einer absichernden Energiequelle für den instabilen Markt der erneuerbaren Energiequellen werden. Wenn bei der Erzeugung erneuerbarer Energie eine Zeit der Stille eintritt, kann die kleinformatige Kernenergetik den Strommangel liquidieren, was für große Nuklearprojekte nicht möglich ist.

Zum nächsten Schritt wird für die Länder, die die Technologie entwickeln, solche wie die USA, Großbritannien und Kanada, das Zusammenwirken mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und den nationalen Aufsichtsbehörden. Dies ist notwendig, um das Testen der Sicherheit der SMR-Reaktoren fortzusetzen, und für eine Abstimmung der internationalen Sicherheitsprotokolle und -prozeduren. Während große Kernkraftwerke nur solche Länder wie China, Indien und Russland errichtet, so hat Großbritannien bereits bekanntgegeben, dass es bis zum Jahr 2035 plane, ein Energiesystem ohne fossile Brennstoffe unter Ausnutzung der Kernenergie zu schaffen. Die AKW werden durch das Vereinigte Königreich als Energiereserve im Verlauf einer Übergangsperiode genutzt werden. Um diesen Übergang zu stimulieren, versprach der britische Premierminister Boris Johnson, bis zum Jahr 2025 mindestens ein großformatives Nuklearprojekt zu realisieren.

Die weltweiten Spitzenreiter der Energiewirtschaft demonstrieren ihre Unterstützung für großangelegte Nuklearprojekte. Es gibt aber auch jene, die die neuen kleinformatigen Technologien unterstützen. Terrapower von Bill Gates beispielsweise plant, ein Kernkraftwerk in Wyoming zu errichten, das aus kleinen Reaktoren bestehen wird, die sich besser für ein kleines Energiesystem eignen.

Die Hauptattraktivität der SMR-Reaktoren besteht darin, dass sie im entsprechenden Betrieb gebaut und dann zur AKW-Baustelle gebracht werden können. Diese Reaktoren haben eine Ausgangsleistung von 50 bis 300 Megawatt, sie können aber auch zu einer Kraftwerksanlage mit einer Leistung von bis zu 1000 Megawatt gekoppelt werden. Außerdem, wenn eines der Module ausfällt, kann man es reparieren, ohne alle vollkommen anzuhalten. Dies reduziert das ökologische Risiko, aber auch die Projektkosten.

Die kompakten AKW geringer Leistung, die auf dem internationalen Energiemarkt wieder eine Nachfrage zu finden beginnen, besitzen eine Reihe von Vorzügen im Vergleich zu den großen Anlagen. Unter ihnen gelangt an die erste Stelle die Möglichkeit, abgelegene Gebiete mit Strom und Wärme zu versorgen. So erinnerte der britische Konzern Rolls Royce Ende Januar dieses Jahres an seine Absicht, bis zu 15 Mini-AKW zu projektieren, zu errichten und zu betreiben. Rolls Royce beteiligte sich mit seinen Partnern an mehreren Konsortien, die sich zur Teilnahme an einer Regierungsausschreibung zwecks Suche nach lebensfähigsten Technologien für Kleinreaktoren in Modulbauweise gemeldet hatten. Das Internetportal „Atomenergetik“ berichtete unter Berufung auf die „Financial Times“, dass im Juli 2019 das Konsortium unter Leitung von Rolls Royce (zu dem solche Unternehmen und Organisationen wie Assystem, Atkins, BAM Nuttale, Laing O’Rourke, das National Nuclear Laboratory, Nuclear AMRC und The Welding Institute gehören) Investitionsgarantien für die Entwicklung von Kleinreaktoren in Modulbauweise für kommerzielle Ziele erhalten habe.

Im November erklärte Rolls Royce, dass Großbritanniens Agentur für Forschungen und Innovationen dem Konsortium eine Startfinanzierung im Umfang von 18 Millionen Pounds (Pfund Sterling) bereitgestellt habe, was „bestätigt und vertraglich verankert wurde“. Und genau solch eine Summe wird er private Fonds Industrial Strategy Challenge Fund bereitstellen, was dem Konsortium erlauben wird, die Entwicklung einer Konstruktion für kleine Reaktoren in Modulbauweise fortzusetzen.

Die AKW, die Rolls Royce zu bauen plant, werden zu 95 Prozent in Serie in einem Betrieb gebaut und danach vormontiert mit Transportfahrzeugen zum Bestimmungsort befördert. Die Standardisierung des Prozesses der Bauarbeiten wird die Selbstkosten erheblich verringern, was wiederum auch die Kosten der zu erzeugenden Energie beeinflussen wird.

Die Kleinreaktoren in Modulbauweise werden eine Fläche von bis zu vier Hektar einnehmen, und die Leistung wird 440 MW ausmachen, was ausreichend ist, um eine Stadt mit 500.000 Einwohnern mit Strom zu versorgen. Die voraussichtliche Einsatzdauer beträgt 60 Jahre, die Kosten – rund 2,3 Milliarden Dollar. Der Abgabepreis für den elektrischen Strom kann bei maximal 60 Pounds für 1 MWh liegen. (Im Zuge des Erreichens einer Serienfertigung beabsichtigt das Unternehmen, die Stromerzeugungskosten unter 60 Pounds je MWh zu drücken. Bevorzugte Plätze für die Errichtung der genannten Reaktoren sind vorhandene Nuklearkomplexe, wo sich vom Stromnetz abgeschaltete Energieblöcke befinden (sogenannte „brown lawns“ – „braune Wiesen“). Die ersten Modul-Reaktoren können entsprechend dem Projekt von Rolls Royce an Standorten in Nordengland und Nordwales errichtet werden.Es geht dabei unter anderem um die Standorte Moorside und Wylfa (früher sollten dort moderne große Reaktorblöcke errichtet werden, doch aus irgendwelchen Gründen sind diese Pläne jedoch auf Eis gelegt worden). Unter anderen möglichen Standorten wird das stillgelegte AKW Trawsfynydd mit einem Magnox-Reaktor in Nordwales genannt, wobei die hohen Kosten im Zusammenhang mit dem AKW-Bau erheblich verringert werden können.

Entsprechend dem Plan, der durch das Konsortium vorgelegt und zur Bestätigung an die zuständigen britischen Behörden übergeben wurde, soll der erste Modul-Reaktor bis zum Jahr 2030 in Betrieb genommen werden.

Rolls Royce ist der Auffassung, dass seine Technologie für Kleinreaktoren in Modulbauweise als gesamtnationale Anstrengungen zur Entwicklung nuklearer Technologien angesehen werden sollten, die helfen werden, eine exportorientierte Branche zu schaffen.

Bezeichnend hinsichtlich der Haltung zu AKW ist Estlands Position. Das estnische Unternehmen Fermi Energia untersucht aktiv die Möglichkeit des Baus eines AKW geringer Leistung im Land. Fermi Energia wurde im Februar vorletzten Jahres durch den ehemaligen Exekutivdirektor von MTU Eesti Tuumajaam, Kalev Kallemets, und durch den Ex-Chef von Eesti Energia, Sandor Liive, gegründet, um solch einen Bau zu realisieren. „Wir brauchen eine CO2-freie steuerbare Kapazität zur Stromerzeugung, die in der Zukunft die Zuverlässigkeit der Stromversorgung gewährleisten könnte“, erklärte Liive. Fermi Energia ist bereit, gerade in den Bau eines kleinen AKW mit einer Leistung von 200 bis 300 MW zu investieren. „Leistungsstarke Reaktoren eignen sich hier aufgrund der Besonderheiten unseres Stromnetzes nicht. Man könnte das Projekt innerhalb von zwei, drei Jahren realisieren. Das Kraftwerk wird rund 900 Millionen Euro kosten“, teilte Kallemets mit.

Fermi plant, die Bauarbeiten im Jahr 2030 in Angriff zu nehmen, die Erzeugung von Elektroenergie in dem AKW – im Jahr 2033.

Im Oktober 2019 unterzeichnete das Unternehmen mit GE Hitachi Nuclear Energy (GEH) ein Absichtsprotokoll hinsichtlich der möglichen Installierung eines kleinen BWRX-300-Modulreaktors in Estland mit einer Leistung von 300 Megawatt. Es handelt sich dabei um einen Reaktor mit einem natürlichen Kreislauf, der auf der Basis eines durch die Kommission der USA für Nuklearfragen lizensierten Reaktors vom Typ ESBWR arbeitet.

„Der BWRX-300-Modulreaktor ist ein Durchbruch bei den Technologien“, meinte der damalige Vizepräsident von GEH, John Ball. „Er kann mit Erdgas und der erneuerbaren Energie konkurrieren… Zusammen mit Fermi Energia arbeiten wir daran, um die Sicherheit der innovativen Reaktortechnologie und die wirtschaftliche Effektivität nachzuweisen“. Ende Januar des Jahres 2020 signierte Fermi Energia ein Kooperationsabkommen mit dem finnischen Energiekonzern Fortum und der belgischen Engineering-Firma Tractebel Engineering. Zusammen mit Fermi wird das belgische Unternehmen eine vorläufige Analyse von Standorten für das geplante AKW erstellen. Die Analyseergebnisse sollen in einem Jahr vorgestellt werden.

Was die öffentliche Meinung hinsichtlich der Errichtung eines AKW angeht, so macht Kalev Kallemets keinen Hehl daraus, dass die Haltung der Menschen in erheblichem Maße im Ergebnis der Havarie im AKW Tschernobyl 1986 geprägt worden sei. Andererseits aber könne nach seinen Worten die Haltung der Menschen durch die Existenz der erfolgreichen AKW in den Nachbarländern Finnland und Schweden beeinflusst werden. „Außerdem sind die Esten rational und glauben an die Technologien“. Laut den Angaben einer jüngsten Umfrage im Auftrag von Fermi Energia sind 55 Prozent der estnischen Befragten der Meinung, dass man die Frage hinsichtlich des Baus eines AKW geringer Leistung im Land behandeln müsse.