Ich als Chefredakteur einer gesellschaftspolitischen Zeitung habe mich regelmäßig mit Diplomaten ausländischer Staaten zu treffen, unter anderem aus den sogenannten unfreundlichen. Die Beobachtungen von diesen Begegnungen sind interessante.
Ein Problem der heute bei uns arbeitenden Diplomaten sind der Mangel an professioneller Kommunikation, das Fehlen normaler Kontakte mit russischen Kollegen und ein Minimum internationaler thematischer Konferenzen und Symposien zu Themen von Krieg und Frieden, zu den Bedrohungen und entscheidenden geopolitischen Tendenzen sowie anstehenden Entscheidungen. Anders gesagt: Für das Abfassen regelmäßiger Berichte und Antworten auf Anfragen aus ihren Außenministerien haben die Botschafter unzureichende Informationen aus erster Hand von vor Ort. Und das Internet kann man auch in der Heimat aufsuchen.
In den fast 40 Jahren meiner eigenen Geschichte des Kommunizierens mit Botschaftern habe ich nie ein so bescheidenes Informationsangebot für die Wahrnehmung ihrer Funktionen gesehen. Derweil existiert die internationale Politik (weiter), es gibt viele Ereignisse, und die Rolle der außenpolitischen Entscheidungen der Staaten bei der Überwindung von Konfliktsituation bleibt eine spürbare. Obgleich die Aussagen der ersten Vertreter der Staaten – der Präsidenten und Premiers – in erheblichem Maße die Erwartungen vorausbestimmen. In einem gewissen Sinne ist dies logisch, da die Außenpolitik gemäß der Verfassung die Staatsoberhäupter und nicht die Außenminister bestimmen. Jedoch gibt es in der Geschichte Zeitabschnitte, in denen gerade die Außenminister die spektakulärsten und bedeutsamsten Erklärungen abgeben. Es genügt, sich an Kissinger oder Gromyko, an Genscher oder Primakow zu erinnern.
Es versteht sich, heute betreffen die Hauptfragen die voraussichtlichen Szenarios für eine Beendigung des Konflikts in der Ukraine, die Rolle von Trump und die Position von Putin zu möglichen Kompromissen wie im Grunde genommen auch die Kompromisse an sich.
Man muss im Blick haben, dass in den Außenministerien der ausländischen Staaten ein harter Kampf um das Ausarbeiten einer Position zur Beendigung/Fortsetzung des Konflikts in der Ukraine erfolgt. Allerdings ist in den letzten Wochen der Ton der Äußerungen zugunsten einer Fortsetzung der Kampfhandlungen durch eine nüchterne Erwägung abgelöst worden: Trump ist der Haupt-Game-Changer in dieser ganzen Geschichte. Er mag/schätzt nicht die NATO, ist weit vom Begreifen der Interessen Europas entfernt, bewertet kritisch Selenskij und demonstriert Verständnis für die Motive Putins, hält die Krim für russisch und den Osten der Ukraine historisch enger mit Russland als mit Kiew/Lwow…verbunden.
Dieses Mosaik von Trump-Aussagen, die in verschiedenen Jahren gemacht wurden, plus die neuesten Tarif-Androhungen für die Gegner des Dollars, aber auch die offenen Attacken gegen Mexico und Kanada nehmen vielen Diplomaten die Möglichkeit, Gedanken zu formulieren und etwas begründet vorauszusagen! Schließlich hatte sich die westliche Welt in den letzten 30 Jahren unter der hypnotischen Einwirkung von Narrativen, die Werte ausgeprägt haben, entwickelt! Die Welt, die auf den westlichen Werten basiert, dies ist auch eine Ordnung, die auf Regeln beruht! Denn die Regeln (die vom Gesetz abweichen) haben stets eine Grundlage in Werten (was ist gut, was ist schlecht).
Nunmehr ist aber für alle offensichtlich, dass sich das eigene Wertesystem von Trump weiter vom europäischen als vom Putinschen erweisen kann.
Dennoch sind die Außenministerien ungeachtet der Rolle der ersten Vertreter des Staates verpflichtet, eigene Erwägungen/Begründungen für die einen oder anderen Szenarios auszuarbeiten. Heute bleibt, soweit ich verstehe, für viele die Hauptfrage folgendes: Erkennt Putin tatsächlich die ukrainische Staatlichkeit an? Wenn ja, so kann man auch Verhandlungen unterstützen. Wenn aber nicht? Schließlich ist nach wie vor eine einflussreiche Richtung der politischen Darstellung des Konflikts in den westlichen Massenmedien die Behauptung vom Bestreben Russlands, die Ukraine gerade als Staat zu vernichten!
Ich hatte bereits geschrieben: „Heute erkennt Russland an, dass eine signifikante Anzahl von Einwohnern der Ukraine eine Wahl zugunsten der im Land herrschenden Offiziellen trifft, sich als Ukrainer ansehen und keinerlei Zukunft gemeinsam mit Russland sehen wollen. Damit erkennt die russische Führung den Staat Ukraine an“ (siehe: https://ngdeutschland.de/uber-putin-und-russland-heute/). Diplomaten hatten diesen Beitrag von mir gelesen, fordern aber Beweise… Worauf ich antworte: Dies ist die Meinung von Experten. Wie kann man noch auf Zweifel reagieren? Umso mehr auf Zweifel, die auf Meinungen anderer Experten und Politiker basieren.
Wie dem nun auch immer sein mag: Heutzutage sind die kundigsten und verantwortungsvollsten Botschafter davon überzeugt, dass in den nächsten Wochen die Amerikaner nach Moskau streben und intensive Konsultationen/Verhandlungen zu einem großen Kreis von Problemen wiederaufgenommen werden. Trump ist vorerst noch von der Idee erfasst, Russland von China loszureißen (was heute scheinbar unmöglich ist), da aus seiner Sicht gerade China ein strategischer Gegner/Feind für die nächsten Jahrzehnte ist. Und im Rahmen dieses Paradigmas – wie sich gern sehr kluge Leute ausdrücken – beginnen die zahlreichen Emissäre Trumps, hin und her über den Atlantik mit dem Versuch herumzuwuseln, die sich herausgebildeten Kräfteverhältnisse zu verändern.
Die Beendigung des ukrainischen Konflikts und mögliche Kompromisse (eine NATO-Mitgliedschaft, das Niveau der Streitkräfte, die territorialen Grenzen usw.) können in einen weiteren Kontext von Vorteilen, Sanktionen und Investitionen verlagert werden. In den Rahmen dessen, was früher als Politik von Zuckerbrot und Peitsche bezeichnet wurde.
Westliche Diplomaten in Russland in Erwartung auf Veränderungen
18:19 12.12.2024