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Wie Europa Lukaschenko helfen kann, das Land abzuschotten


Tschechiens Außenminister Jakub Kulhánek erklärte Ende letzter Woche, dass „die negativen Konsequenzen der EU-Sanktionen das weißrussische Regime verspüren soll“ und sie gegen dieses und nicht gegen gewöhnliche Menschen gerichtet sein müssen. In Europa diskutiert man aktiv ein neues Paket von Restriktionen in Bezug auf Weißrussland. Dort ist man sehr darüber besorgt, dass durch die Republik hunderte illegale Einwanderer aus Ländern des Nahen Ostens, insbesondere aus dem Irak, nach Litauen unterwegs sind. Die europäischen Politiker sind davon überzeugt, dass Alexander Lukaschenko solch einen Transit vorsätzlich organisiert – oder ihn nicht aufhält. Ja, und auch der weißrussische Präsident selbst erklärte, dass sich sein Land nicht in „ein Auffangbecken für Flüchtige“ verwandeln und er niemanden aufhalten werde.

Die EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson gab zu verstehen, dass sie bereit sei, eine Aussetzung des Visa-Regimes für die Weißrussen zu fördern. Angenommen wird, dass diese Maßnahme in das neue Sanktionspaket aufgenommen werden könne. Dagegen tritt auch Jakub Kulhánek auf. Swetlana Tichanowskaja, die man im Westen als legitim gewählte Präsidentin Weißrusslands ansieht, wandte sich per Twitter aus diesem Anlass an Johansson. Nach ihren Worten bräuchten die Weißrussen im Gegenteil Hilfe, indem die Visa-Erteilung vereinfacht wird.

Wenn man über die konkrete Situation spricht, so kann Lukaschenko die Partie gegen die EU gewinnen. Die Brücken, die ihn persönlich mit Europa verbanden, hat er niedergebrannt. Die Geschichte mit dem Transit illegaler Einwanderer veranlasst jedoch die EU vom Wesen her, sich zu schützen, indem sei ein neues Sanktionspaket schnürt und verabschiedet. Die Europäer befinden sich an einem Scheideweg – das eigene, offensichtliche und aktuelle Interesse wählen, das heißt, eine Sperre gegen die Migranten errichten, oder sich doch an die Werte halten und offen für die Weißrussen bleiben, die ausreisen wollen.

Indem die EU das aktuelle Interesse wählt, hilft sie Lukaschenko, ein geschlossenes, ein abgeschottetes Land zu schaffen. Für ihn wird es leichter werden, den Bürgern, die gern ein Schengen-Visum haben und eben in jenes Litauen oder Polen fahren möchten, zu zeigen, dass sie Europa „nicht nötig“ sind, dass es sie verstößt. Die herrschenden Offiziellen werden auch die Opposition zum Verstummen bringen können. Für die Gegner Lukaschenkos wird es weniger Wege für einen Rückzug und ein Zurückweichen geben, sobald man den Visa-Korridor versperrt.

Das, was der tschechische Außenminister sagt, ist gerecht. Aber in der Praxis gelingt es sehr selten, dies zu erreichen. Die Probleme jeglichen Regimes wirken sich fast immer auch auf die Bürger aus. Mehr noch, danach streben nicht selten auch jene, die Sanktionen verhängen, und jene, gegen die sie verhängt werden.

Wirtschaftliche Restriktionen sind ein markantes Beispiel dafür. Sie beeinflussen stets – direkt oder indirekt – die Lage der einfachen Bürger, die Preise, die Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung und die Arbeitslosigkeit. Selbst wenn Sanktionen gegen konkrete große Wirtschaftsvertreter, die die Herrschenden unterstützen, verhängt werden, ist es wichtig zu begreifen, dass gerade sie zehntausenden Menschen Arbeit geben. Und diese Zehntausenden werden die Konsequenzen der Restriktionen schneller als ein Ölmagnat oder ein großer Politiker verspüren.

Die Logik der Sanktionen besteht oft darin, dass ein Regime an Popularität verlieren und mit Protesten der Bürger konfrontiert werden soll, die ihren Job und Geld verlieren, die nicht imstande sind, das bisherige gewohnte Lebensniveau beizubehalten. Solch ein Gedankengang ist aber für die Länder mit einer normalen Demokratie gut. Dort ist es leicht, einen Protest zu organisieren. In den Ländern, in denen die Demokratie auf eine spezifische Art und Weise, souverän gestaltet worden ist, ist es für die Opposition weitaus schwieriger, die aufkeimende massenhafte Unzufriedenheit zu gestalten und zu lenken. Dort gelingt es den Offiziellen eher, das Geschehen auf ihre Art und Weise zu interpretieren („ringsherum sind Feinde, wir sind in einer belagerten Festung“) und ihre Autorität zu festigen.

Wenn man in Europa erwartet, dass die aufgrund des Ausbleibens von Schengen-Visa empörten Weißrussen losgehen und Lukaschenko stürzen werden, so ist dies ein naives Denken. Die Weißrussen werden sich einfach hinter einer Mauer wiederfinden, in der vollständigen Verfügungsgewalt ihres langjährigen Präsidenten. Und die Opposition wird als ein Komplize des Feindes dargestellt, der das Land mit endlosen Sanktionen würgt. In der Praxis wird die Wirkung der Sanktionen gerade solch eine sein.