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Wie man in Tadschikistan das Geld der Arbeitsmigranten nutzt


Der Terrorakt in der Moskauer „Crocus City Hall“, der von aus Tadschikistan stammenden Männern verübt wurde, hat eine Welle von Zorn und Beileidsbekundungen in verschiedenen Ländern ausgelöst. In der Staatsduma (dem russischen Unterhaus) schlägt man vor, ein Visa-Regime mit den Ländern Zentralasiens einzuführen. Unter den Vertretern des öffentlichen Lebens sind erneut Stimmen über die Notwendigkeit einer Deportation von Arbeitsmigranten in die Heimatländer laut geworden. Die Empörung der Menschen ist verständlich und berechtigt. Die Ausweisung beispielsweise nach Tadschikistan selbst von mehreren hunderttausend Bürgern wird jedoch dazu führen, dass die Arbeitslosern die Macht- und Verwaltungsorgane innerhalb kurzer Zeit hinwegfegen. Ein Chaos darf nicht zugelassen werden, da die Republik Mitglied der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit ist. Und Russland braucht Arbeitskräfte.

Man kann nur vermuten, wie stark der Terrorakt in der „Crocus City Hall“ auf Tadschikistans Präsident Emomali Rachmon wirkte, der sich darauf vorbereitet, die Macht an seinen Sohn Rustam Emomali zu übergeben. Experten erklären, dass es nur einen Weg zur Ordnung und Stabilität gebe, die Anhebung des Lebensniveaus und der Lebensqualität der Menschen in Tadschikistan, was zu einem Rückgang der Migration führen werde.

Gegenwärtig können sich laut verschiedenen Schätzungen über sechs Millionen Arbeitsmigranten in Russland befinden, darunter etwa 1,5 Millionen Arbeitnehmer aus Tadschikistan. Die Ankömmlinge erkaufen das Arbeitsrecht in Form teurer Arbeitspatente, weshalb es in diesem Bereich nicht wenig derjenigen gibt, die illegal arbeiten. Der Umfang der Geldüberweisungen nach Tadschikistan nimmt zu und näherte sich im Jahr 2020 der Marke von 40 Prozent des BIP. Und das Land ist eines der am meisten von ihnen abhängigen in der Welt. Schon viele Jahre hängt von den eintreffenden Mitteln der Zustand der Wirtschaft, des Bankensektors, der Fluggesellschaften sowie des Marktes der Waren und Dienstleistungen ab. Wobei die Behörden nicht einmal einen Finger krumm machen müssen, damit dieser „Wirtschaftssektor“ arbeitet. Die Menschen reisen selbst aus und schicken Milliarden Dollar nach Hause. Laut Angaben des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung erreichte das Volumen des BIP von Tadschikistan im vergangenen Jahr 11,9 Milliarden Dollar, die Zunahme machte 8,3 Prozent aus. Und laut Angaben des Internationalen Währungsfonds werde es im Jahr 2024 um mehr als fünf Prozent wachsen.

Man kann sich vorstellen, was – sagen wir einmal – im entwickelten Großbritannien mit dessen BIP von 3,1 Billionen Dollar passieren würde, wenn das Land im früheren Rhythmus leben würde und einfach so im Jahr 1,3 Billionen Dollar aus dem Ausland vom Himmel fallen würden. Hinsichtlich des Umfangs des BIP pro Kopf der Bevölkerung würde sich da Großbritannien vom 22. Platz in die Top-5 der am meisten prosperierenden Länder katapultieren. Auf die Britischen Inseln würden da Migranten genauso streben, wie ca. 3.000 Bürger Tadschikistans alljährlich versuchen, illegal in die USA zu gelangen. Bei solchen Einnahmen „vom Himmel“ sind keinerlei Anstrengungen zur Verwaltung des Staates nötig. Die Republik, die einfach so bis zu 40 Prozent des BIP erhält, verschönert die Hauptstadt, näht für Generäle Uniformen, veranstaltet Paraden und sucht zur gleichen Zeit aber Geld für die sozialen Ausgaben des Etats, für die Fertigstellung des Wasserkraftwerkes Rogun und für andere Objekte. Wenn mit einem Schlag alle tadschikischen Migranten in die Heimat zurückkehren, wird die Armut zunehmen und das Land an den Rand einer sozialen Explosion geraten. Somit ist die gegenwärtige Lage allen recht, sowohl dem Volke als auch der Führungsriege. Und augenscheinlich wird dies noch Jahrzehnte der Fall sein.

Aber für die Lösung aller Probleme des Landes reichen die Gelder der Migranten und die erfassten Steuergelder elementar nicht aus. Und die Steuern in Tadschikistan sind ernsthafte. Unterschieden werden sie in staatliche bzw. zentrale (Einkommenssteuern, die Mehrwertsteuer, Genusssteuern, soziale und auf Naturressourcen) und in örtliche bzw. lokale (Fahrzeug- und Immobiliensteuern). Wenn beispielsweise ein Arbeitsmigrant der Familie Geld für Essen, ein Auto oder für die Organisierung eines eigenen Business geschickt hat, so wird die Familie einen Teil des Geldes für die Verpflegung ausgeben. Für die Organisierung eines Kleinbetriebes wird da das im Ausland verdiente Geld nicht reichen können.

Wie vernünftig bzw. effektiv in Tadschikistan die zu „staatlichen“ gewordenen Gelder der Arbeitsmigranten eingesetzt werden, ist bereits eine andere Frage. Wie auch in allen Ländern verwalten diese Finanzen Menschen, die an der Macht sind. Der Kampf um das Geld der Steuerzahler erfolgt durch konkurrierende Gruppen, die ihre Führungskräfte (oder deren Erben) bestimmen und die akkumulierten Mittel für die Wahlen ausgeben. Die Gruppen, die die Wahlen gewonnen haben (oder sie imitierten), erhalten den Zugang zu den Finanzressourcen und etablieren die legislative und die exekutive Staatsmacht sowie die juristische. Es kommt jedoch oft vor, dass sich die Führungskräfte Stellvertreter und Unterstellte aussuchen, die dümmer als sie sind. Daher wird eine Machtvertikale geschaffen, die zu einer effektiven Arbeit unfähig ist. Überdies interessiert sich der Großteil der Bevölkerung, mit deren Geld die Offiziellen leben, nach den Wahlen überhaupt nicht für die Verwendung eigentlich ihrer Gelder. Vor einiger Zeit hatte in Tadschikistan eine Gruppe von Bürgern vorgeschlagen, ein Denkmal für die Arbeitsmigranten zu errichten. Die Offiziellen der Republik haben derartige Initiativen nicht unterstützt. Sie erinnern sich fast gar nicht an die Bürger, die im Ausland arbeiten, obgleich sie auf deren Kosten leben.