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Wieso ist die Verstärkung der Taliban für die GUS und Russland gefährlich


Der Abzug der Truppen der USA und der NATO aus Afghanistan, der laut Plan bis zum 11. September dieses Jahres organisiert wird, wird innerhalb weniger Monate zu einem großangelegten Machtwechsel im Land führen. Auf dem ausgedehnten Territorium Zentralasiens kann man die Bildung eines neuen Kerns des radikalen Islamismus erwarten. In den werden nicht nur Kämpfer der in Russland verbotenen „Taliban“-Bewegung einfließen, aber auch andere bewaffnete Formationen in der Art des „Islamischen Staates“ und der „Al-Qaida“, die gleichfalls in der Russischen Föderation verboten sind.

Die Offiziellen in Kabul suchen fieberhaft nach Wegen, um die Attacken der radikalen Islamisten abzuwehren. Und in erster Linie die der bewaffneten Gruppierung „Taliban“, die in der eine oder andere Weise bereits fast die Hälfte des Territoriums von Afghanistan kontrolliert. Nicht mehr auf die zentralen Behörden hoffend, bildet man in den nördlichen Provinzen Bürgerwehren zur Abwehr der Rebellen. Formiert werden sie analog den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als es den Bürgerwehrkräften im Verlauf mehrerer Jahre gelungen war, die nördlichen Landesprovinzen zu halten, wobei unter Führung von General Raschid Dustum der Salangpass blockiert und Stabilität im grenznahen Raum Tadschikistans und Usbekistans gewährleistet wurde. Diese Stabilität war auch im russischen Interesse.

Die Offiziellen Afghanistans versprechen, die Bevölkerung für einen Kampf gegen die Taliban zu mobilisieren. Die Bevölkerungsmehrheit des Landes erinnert sich aber, dass der Kampf gegen die radikalen Islamisten vor zwanzig Jahren mitunter tragisch endete. Und einfache Afghanen wurden zu seinen Opfern. In einer nicht zu beneidenden Situation befinden sich die regierungstreuen Truppen, die Stadtbevölkerung in Kabul und anderen großen Städten. Die Taliban, die schrittweise Kreise im Norden und Osten des Landes erobern, rotten den sogenannten weltlichen Islam aus, wobei sie radikale Regeln in allen Lebensbereichen aufoktroyieren. Die Anführer der „Taliban“-Bewegung haben bereits angekündigt, dass sie alle bestrafen würden, die sich den Bürgerwehren angeschlossen haben.

Eine objektive Analyse erlaubt, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Aufstellung einer Bürgerwehr lediglich eine geringe Verzögerung des Vorrückens der Taliban in alle Landesregionen auslösen wird. Einerseits erlaubt die Ausgabe von Waffen an die Bevölkerung, kleine Widerstandsherde zu schaffen. Andererseits aber werden die Menschen angesichts der Aggression der Taliban gegenüber ihren Gegnern weniger den afghanischen Sicherheitskräften vertrauen und sich auf sie in Fragen eines Schutzes stützen. Später wird dies einen schrittweisen großangelegten Übergang der Landesbevölkerung auf die Seite der neuen einflussreichen Kraft auslösen.

Der Abzug der NATO-Truppen schafft Bedingungen für eine allmähliche Verlegung der Rebellenkräfte des IS, der „Al-Qaida“ und anderer terroristischer Organisationen aus der Region des Nahen Ostens nach Afghanistan. Und einige sind der Auffassung, dass darin auch die strategische Absicht der USA bestehen würde. Solch eine Vorgehensweise war bereits durch die protürkischen Kreise in Syrien, Libyen, im Irak und Bergkarabach erprobt worden. Es gibt Gründe zur Annahme, dass die Vereinigten Staaten Bedingungen für das Anwerben und die Wiedergeburt ethnischer terroristischer Kampfformationen schaffen werden, die imstande sind, die Lage in den Ländern Zentralasiens zu destabilisieren, um sie dem russischen Einfluss in dieser Region entgegenzustellen. Laut einigen Einschätzungen befinden sich unter den Nahost-Kämpfern mehrere Tausend Usbeken, Tadschiken, Kasachen und Kirgisen, die früher in GUS-Ländern angeworben und in Kampfzentren zur Ausbildung von Terroristen geschult wurden. Zu einer der Formen der propagandistischen und Diversionstätigkeit der Rebellen kann das Schüren antirussischer Stimmungen werden, besonders in Tadschikistan, wo ein Militärstützpunkt der Russischen Föderation funktioniert.

Können aber Russland und dessen Verbündete auf diese Herausforderung eine Antwort geben? Zuerst muss man die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass es die zentralasiatischen Staaten oft vorziehen, einzeln zu handeln. So war es während der Versuche eines bewaffneten Durchbruchs von Kämpfern der Islamischen Bewegung Usbekistans (in Russland verboten) in der Batken-Richtung in den 90er Jahren nicht gelungen, gemeinsame Kampfhandlungen gegen die Rebellen zu organisieren. Und die Streitkräfte Kirgisiens mussten im Alleingang die Attacken abwehren und die wichtigsten Gebirgspässe aus Tadschikistan halten. Usbekistans Streitkräfte hatten ihre Truppenteile zur Verteidigung nur im Bereich ihres Territoriums im Fergana-Tal entfaltet. Ungeachtet der eindringlichen Appelle Russlands, die Handlungen zur Neutralisierung der Gefahr im Rahmen der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrages zu koordinieren, hatte Usbekistan eine abwartende Haltung eingenommen, wobei es dies damit motivierte, dass es nicht an dieser Struktur teilnehme. Dabei kann man die Erfahrungen der gemeinsamen Mission der sogenannten kollektiven Friedenstruppen in Tadschikistan in den Jahren 1993-1998 positiv bewerten. Damals war es gelungen, die afghanisch-tadschikische Grenze durch Einheiten der russischen Grenztruppen und die 201. Mot.-Schützendivision Russlands, aber auch durch Blauhelm-Bataillone aus Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan zu sichern.

Die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Zusammenwirken auf dem Gebiet der Sicherheit und kollektiven Abwehr von Bedrohungen können bei den Anführern der radikalen bewaffneten Gruppierungen die Versuchung auslösen, die Grenzsicherung der zentralasiatischen Staaten auf ihre Festigkeit hin zu testen. Letztere suchen derzeit einen zuverlässigen Verbündeten, der erlauben wird, ihre Sicherheit und Souveränität zu gewährleisten, wobei sie sowohl in Richtung Russland als auch in Richtung Amerika schauen. Man kann beispielsweise nicht ausschließen, dass zwecks Gewährleistung der Sicherheit in der Region die Amerikaner zu den Erfahrungen des Funktionierens von Militärstützpunkten der USA und der NATO-Länder in Bischkek (Kirgisien), Duschanbe (Tadschikistan) sowie Termez, Karschi und Kogon (Usbekistan), die einst die NATO-Militärs in Afghanistan recht effektiv unterstützt hatten, zurückkehren. Obgleich gegenwärtig die USA — den Handlungen von Washington nach zu urteilen — die Augen vor möglichen aggressiven Handlungen der „Taliban“-Bewegung gegen die zentralasiatischen Staaten verschließen.

Daher müssen Russland und die zentralasiatischen Länder auf die möglichen aggressiven Handlungen der Taliban eine Antwort vorbereiten. Eine Analyse des Zustands der Gefechtsbereitschaft der Truppenteile der Streitkräfte dieser Staaten zeigt, dass in den vergangenen Jahren durch sie Schlussfolgerungen aus den Handlungen der Kämpfer der radikalen Organisationen in Afghanistan und im Nahen Osten gezogen worden sind. Insgesamt ist in den Streitkräften der Länder der Region die Neuorganisation der Strukturen aller Kampfeinheiten, die sie nach dem Zerfall der UdSSR als Erbe erhalten hatten, abgeschlossen worden, verstärkt wurde ihre Mobilität auf der Ebene der Einheiten. Und in Vielem wird die Lieferung relativ moderner Waffen und Technik gewährleistet. Erheblich erhöht wurde der Grad der Gefechtsausbildung. Durch eine Erhöhung der Anzahl von Vertragssoldaten und der Einrichtung neuer Ausbildungszentren nimmt unter den Soldaten und Offizieren die Motivation für den Dienst zu. Doch aufgrund des Fehlens eines eigenen vollwertigen Militär-Industrie-Komplexes sind ein anfälliger Punkt all dieser bewaffneten Formationen der schwache technische Zustand der Luftstreitkräfte und der Luftabwehrtruppen sowie die schwachen Aufklärungsmöglichkeiten. Die Versuche, in den vorangegangenen Jahre beim Erwerb und der Unterhaltung technisch komplizierter Waffen und Gefechtstechnik zu sparen, führten praktisch zu einem kampfunfähigen Zustand einiger Truppenarten und -gattungen. Dabei muss man berücksichtigen, dass die NATO-Länder einen recht großen Umfang moderner Waffen und Technik für die Ausbildung und Absicherung der bewaffneten Formationen der Regierung Afghanistans bereitgestellt hatten. Jetzt kann dies alles in die Hände der „Taliban“-Bewegung zusammen mit den durch amerikanische Instrukteure ausgebildeten afghanischen Spezialisten fallen.

Die Taliban werden wahrscheinlich die Macht in Afghanistan erlangen. Ob sie aber gegenüber ihren Nachbarn aus der GUS aggressiv sein werden, ist vorerst schwer zu sagen. Man kann annehmen, dass nach dem Machtantritt die Führung der „Taliban“-Bewegung eine Nichteinmischung in die Angelegenheiten der Nachbarstaaten imitieren wird. Man kann aber nicht ausschließen, dass die Taliban mit finanzieller Unterstützung von Feinden der Russischen Föderation die Entwicklung illegaler bewaffneter Formationen in den GUS-Ländern fördern werden. Obgleich eine direkte bewaffnete Aggression seitens der widerrechtlichen bewaffneten Formationen gegen Länder der Gemeinschaft vorerst wenig wahrscheinlich ist, kann es zu vereinzelten Übergriffen kommen. Solch eine Situation wurde bereits Anfang der 1990er in Tadschikistan registriert. Dieses Land hatte in vollem Maße am eigenen Leibe das Leid eines Bürgerkriegs und einer humanitären Katastrophe sowie eine Destabilisierung der inneren Lage zu spüren bekommen. Eine Vielzahl von Menschen war gezwungen gewesen, mit Gewalt, Hunger, Plünderungen und anderen Schrecken einer militärischen Konfrontation konfrontiert zu werden. Dank den Anstrengungen der Russischen Föderation und der Friedenstruppen der GUS-Länder war es gelungen, die Situation zu stabilisieren. Dieser Lehre muss man sich aber erinnern, und man darf es nicht zulassen, dass sich die Situation wiederholt.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Nicht vergessen darf man dabei, dass der Kampf gegen den islamischen Extremismus einer der Faktoren auch in der Zusammenarbeit Russlands mit den Vereinigten Staaten bleibt. Bestätigt wurde dies im Übrigen beim Genfer Gipfel von Wladimir Putin und Joseph Biden. Freilich ist bisher schwer zu sagen, wie dieses Zusammenwirken in Bezug auf Afghanistan nach dem wahrscheinlichen Erfolg der „Taliban“-Bewegung im Weiteren aussehen wird. Moskau verfolgt argwöhnisch die begonnenen Diskussionen über die mögliche Rückkehr amerikanischer Stützpunkte in einige zentralasiatische Länder. Und hat dieses Zusammenwirken unter den Nachwirkungen der Überlegungen der amerikanischen Presse zu leiden, wonach angeblich die russische Militäraufklärung die Ermordung amerikanischer Militärs im Land am Hindukusch in Auftrag gegeben und bezahlt hätte. Obgleich sich viele Experten dahingehend einig sind, dass diese Spekulationen im Grunde genommen Nonsens sind.