Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Wird die Opposition gegen die Zwangsvakzinierung kämpfen?


Das von den Offiziellen propagierte und vorangetriebene Programm einer Massenvakzinierung der Bevölkerung hat die russische Opposition vor ein wahres Dilemma gestellt. Wobei dies Politiker jeglichen Couleurs angeht – liberalen, linken und rechtspopulistischen.

Vakzine gegen COVID-19 sind entwickelt und hergestellt worden. Man schaffte es zu verkünden, dass Russland dies beinahe als weltweit erstes Land getan habe und bereit sei, mit anderen Ländern zu teilen. Gleichzeitig hatten es die Offiziellen aber nicht verstanden, die russischen Bürger an sich auf die Massenvakzinierung vorzubereiten. Man hatte sie nicht davon überzeugt, dass man sich nicht nur impfen lassen könne, sondern auch müsse. Die Vakzinierung kam letztlich nicht auf das erforderliche Tempo bis zum Auftreten neuer Stämme des Coronavirus. Und jetzt rufen die Offiziellen nicht einfach auf und stimulieren, sondern nötigen, die Impfung vorzunehmen.

Dies ist imstande, den Unmut der Bürger auszulösen und löst ihn bereits aus. Ihnen gefällt nicht die de facto erzwungene Vakzinierung. Sie beunruhigt die Qualität der russischen Vakzine. Viele haben Internet. Auf sie stürzen Ströme von Informationen sowie von Argumenten dafür und dagegen ein. Der eine oder andere ist nicht dagegen, sich impfen zu lassen, aber würde gern zwischen den einheimischen und ausländischen Präparaten auswählen (doch solch eine Möglichkeit gibt es derzeit nicht). Skepsis, Misstrauen und Beanstandungen akkumulieren sich. Es bildet sich eine Ressource heraus, die die Opposition in einem normalen politischen Umfeld unbedingt ausnutzen würde.

Ein erfolgreicher Politiker lässt sich vom Instinkt leiten. Er spürt stets, wo er punkten und Stimmen gewinnen kann. Die Reaktion auf die Pandemie und das Programm zur Vakzinierung sind Schwachstellen der Offiziellen, selbst wenn es ihnen insgesamt gelingt, mit der Situation fertig zu werden, keinen Kollaps des Systems des Gesundheitswesens zuzulassen und nicht die Wirtschaft mit Lockdowns umzubringen. Dies ist simpel eine Krisen-, mitunter kritische Situation, in der es schwierig ist, ideal zu arbeiten und alle zu befriedigen. Die natürliche Aufgabe der Opposition ist zu zeigen, dass sie besser mit diesen Herausforderungen fertig werde. Sie würde sowohl die Gesundheit der Bürger als auch deren Rechte und gleichzeitig die Wirtschaft sichern.

Die KPRF und die Partei „Jabloko“ kritisieren die Offiziellen wegen dem Zwangscharakter der Vakzinierung, versuchen, die Rechte der Bürger zu verteidigen, die sich in solch einem Regime nicht impfen lassen und aufgrund ihres Standpunkts nicht die Arbeit verlieren wollen. Es ist aber nicht ganz klar, wie weit die Parteien zu gehen bereit sind. Das Interesse der Herrschenden ist offensichtlich. Sie wollen die Widersprüche abschwächen und so schnell wie möglich positive Wirkungen der Vakzinierung – eine Entlastung der Krankenhäuser, eine Verringerung der Sterblichkeit aufgrund des Coronavirus, eine Aufhebung der Restriktionen sowie die Rückkehr zum normalen Leben wie vor den COVID-Zeiten – demonstrieren.

Das, was sich in den letzten Monaten im politischen Umfeld getan hat, hat der Opposition keinen Anlass gegeben, sich als eine starke zu fühlen, als eine fähige, die Offiziellen zu beeinflussen. Wladimir Putin hat in seinen öffentlichen Auftritten eine Grenze gezogen zwischen der konstruktiven und patriotischen Opposition und jener, die aus seiner Sicht gegen das Land wirke. Zu einer Messlatte ist unter anderem das Verhalten der politischen Parteien während der ersten Pandemiewelle geworden. Anders gesagt: Wenn die Opposition jetzt riskieren möchte, wobei sie damit rechnet, bei den Septemberwahlen Punkte zu sammeln, kann sie dies tun, indem sie konsequent das Vakzinierungsprogramm hinsichtlich aller Richtungen kritisiert und die Skeptiker, die Impfgegner und jeden beliebig anderen unterstützt. In solch einem Fall werden die Offiziellen sie aber nicht als eine konstruktive ansehen – mit allen verständlichen Konsequenzen.

Die Konsequenzen sind eine drastische oder schrittweise Suspendierung von der Aufteilung der Mandate. Die harten Maßnahmen gegenüber Alexej Nawalny und seinen Strukturen sind beispielsweise für die System- bzw. parlamentarische und für die dem System nahestehende Opposition zu solch einem Signal geworden: Sie wollen in der Politik bleiben? Da ist es besser, sich diesen Leuten nicht zu nähern. In der Situation mit der Vakzinierung können sie genau solch ein Zeichen ausmachen. Für die Herrschenden ist es wünschenswert, dass die anderen Parteien sie zumindest nicht stören.

Möglich ist die Variante, bei der die Opposition in den neuen Problemen der regierenden Elite die Chance für einen politischen Deal ausmacht, für das Voranbringen der Idee „eine Unterstützung der Vakzinierung für Mandate im Gegenzug“. Aber die Kritiker der Offiziellen sind wohl kaum in der Lage, in sich derzeit solch eine Stärke zu verspüren.