Die Juristin der Stiftung für Korruptionsbekämpfung (die in Russland als ein ausländischer Agent anerkannt worden ist) Ljubow Sobol hat gegen die Bestimmungen des Hausarrests bezüglich des Falls einer Anstiftung zur Verletzung der Coronavirus-Restriktionen bei einer nichtsanktionierten Aktion in Moskau verstoßen. Es wird aber nicht einfach werden, der Mitstreiterin von Alexej Nawalny zu verklagen. Sie war nicht spazieren und ist zu keiner politischen Aktion gegangen, sondern besuchte einen Gottesdienst in einer christlich-orthodoxen Kirche der russischen Hauptstadt. Die Gotteshäuser in Russland sind heute aber eine Hochburg der Loyalität und Treue gegenüber der (herrschenden) Ordnung.
Noch ein Mitstreiter von Nawalny, Iwan Shdanow, führt einen Beweis des Sobol-Anwalts Wladimir Woronin an: „Vor anderthalb Monaten haben wir einen Antrag auf den Besuch der Kirche gestellt. Der Untersuchungsrichter antwortete mit einer Ablehnung. Dies könne die Untersuchungen behindern“, schreibt der Jurist. „Heute ist der erste Sonntag der Großen Fastenzeit, und Ljubow Sobol geht zum Gottesdienst in die Kirche zur lebensspendenden Dreifaltigkeit in Alt-Tscherjomuschki, was neben ihrem Haus ist“.
Wir beobachten eine originelle, eine smarte Polittechnologie – man versteckt sich hinter dem Moskauer Patriarchat beim Verstoß gegen die Anweisungen der Rechtsschützer, die die Oppositionellen für ungerechte halten. Die Geistlichen und Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane sind in eine Patt-Situation geraten. Einerseits haben die Herrschenden selbst das Gesetz über den Schutz der Gefühle von Gläubigen und andere Privilegien für die Gemeindemitglieder der Russischen orthodoxen Kirche initiiert. Was aber jetzt? Wird man Sobol dafür bestrafen, dass sie eine Gläubige ist und das dringende Bedürfnis nach einem Gespräch mit Gott in solch einer für einen Christen wichtigen Zeit wie die Große Fastenzeit verspürt?
Doch auch für die Geistlichen wird es nicht glimpflich abgehen. Bekannt sind Fälle, als sie die Pforten der Gotteshäuser vor Jugendlichen während Protestaktionen verschlossen haben. Den Oppositionellen hatte man keinen Unterschlupf am Altar gewährt. Was sollen jetzt aber die Kleriker machen? Beim Eintreten die Nawalny-Vertreter suchen, die das Regime des Hausarrests verletzen? Die Polizei in die Kirchen lassen, damit sie Razzien zum Auffinden unerwünschter Gemeindemitglieder unter den Klängen des Kirchenchores veranstaltet? Nawalny und seine Adepten mit einem Bann belegen und exkommunizieren? Wir haben die Opposition beleidigende Reden von Hierarchen der Russischen orthodoxen Kirche gehört. Aber bisher hat man den Oppositionellen nicht das Recht genommen, Christen zu sein.
Wie dem auch sein mag: Die Tat Sobols sieht witzig und für die Bürokratie, sowohl die der kirchlichen als auch der weltlichen, recht gefährlich aus.