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Wird die Türkei einen Platz in der BRICS finden? Ankara sucht nach „historischen


Im Kreml hat man am Donnerstag mitgeteilt, dass von den 38 Staaten, die zum BRICS-Summit in der 3. Oktoberdekade in Kasan eingeladen wurden, 32 mit einer Zustimmung reagierten. Und von denen werden 24 Länder durch die Staats- bzw. Regierungschef vertreten werden. Unter ihnen der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan.
Wobei laut Quellen der Nachrichtenagentur Bloomberg Erdogan beabsichtige, zum Gipfeltreffen nicht als ein eingeladener Gast anzureisen, sondern als das Oberhaupt eines Landes, dem man eine Mitgliedschaft in dem Bündnis BRICS gewähren wird. In Ankara erklärt man diesen Schritt so: „Das geopolitische Zentrum verlagert sich von den entwickelten Volkswirtschaften“, daher möchte die Türkei, „Verbindungen mit allen Seiten in der multipolaren Welt anbahnen, wobei sie weiter ihre Pflichten als eines der entscheidenden NATO-Mitglieder erfüllt“.
Die Türkei ist der Auffassung, dass ein Beitritt zur Staatenvereinigung BRICS ihr helfen könne, sowohl die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland und China zu verbessern als auch zu einer Brücke im Handel zwischen Europa und Asien zu werden. Zur gleichen Zeit ist sie bestrebt, sich in ein Zentrum für den Export von Gas aus Russland und Zentralasien zu verwandeln, aber auch die eigene Präsenz in der Arktis zu verstärken.
Wie sich herausgestellt hat, ist der Aufnahmeantrag durch die Türkei bereits vor einigen Monaten eingereicht wurde, ungeachtet dessen, dass man in der BRICS, wie erklärt wurde, entschieden hatte, eine „Pause“ hinsichtlich der Frage nach neuen Mitgliedern einzulegen, um die im Januar dieses Jahres beigetretenen Länder Ägypten, Iran, die VAE und Äthiopien zu „verdauen“. Der türkische Außenminister Hakan Fidan betonte bei seinem China-Besuch im Juni, dass die Vereinigung BRICS eine „gute Alternative“ zur Europäischen Union sei, in die das Land schon viele Jahre lang zu gelangen bestrebt ist.
Die Türkei ist zum absoluten Rekordhalter hinsichtlich des Wartens auf einen Beitritt zum vereinten Europa geworden. 1963 hatte sie mit der zu jener Zeit Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet, was im Weiteren zur Bildung einer Zollunion führte. Den Antrag auf einen Beitritt sandte Ankara 1987, jedoch hatte man ihm den Kandidatenstatus erst nach zwölf Jahre – 1999 – eingeräumt.
Allerdings starteten die offiziellen Verhandlungen erst im Jahr 2005 und gerieten sehr bald in eine Sackgasse. Ein Veto hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft Ankaras hat die Republik Zypern eingelegt. Und in Brüssel bekundete man Besorgnis aufgrund der sich verzögernden Reformen auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Tatsache des potenziellen Beitritts eines Landes mit einer moslemischen Bevölkerung zur Union. Zwischen der Türkei und der EU ist es mehrfach zu Differenzen in Bezug auf Fragen der Demokratie, der Oberhoheit des Gesetzes sowie zu den Grundrechten und der Unabhängigkeit des Gerichtssystems gekommen.
Nach der Unterstützung von Brüssel für die Operation Israels im Gaza-Streifen erklärte Erdogan, dass das Vertrauen Ankaras in die EU ins Wanken geraten sei. Er sagte gleichfalls, dass die Türkei keinerlei Erwartungen in Bezug auf das Vereinte Europa habe, da Ankara alle seine gegebenen Zusagen erfüllt habe, Brüssel aber „nicht eine von den eigenen“.
Vor dem Hintergrund der Enttäuschung über die Perspektiven eines EU-Beitritts müsse die Türkei „andere Alternativen suchen, andere historische Wege, besonders im Bereich der Wirtschaftskooperation“, unterstrich Fidan. Es erstaunt nicht, dass man die Bestrebungen Ankaras in Moskau unterstützt hat. Wie beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok Anfang September der außenpolitische Berater des russischen Präsidenten, Jurij Uschakow, erklärte, würden die BRICS-Länder unter Führung Russlands, das in diesem Jahr den Vorsitz im Bündnis wahrnimmt, den Antrag der Türkei auf eine allumfassende Teilnahme am BRICS-Bündnis erörtern.
Erwartet wird, dass zusammen mit dem Antrag der Türkei die Anträge auf eine „Heimstatt“ im BRICS-Staatenverbund von Aserbaidschan, eines nahen Partners von Ankara, aber auch von Malaysia, Thailand, Myanmar, Pakistan, Venezuela u. a. behandelt werden. Sie alle betrachten BRICS als einen geopolitischen Opponenten zur G-7 und zu solchen Finanzinstituten wie den IWF und die Weltbank. Die neuen Mitglieder können auf eine Finanzierung über die in China ansässige Neue Entwicklungsbank hoffen und mit einer Verstärkung der Wirtschaftsbeziehungen innerhalb der informellen Vereinigung rechnen.
Außerdem plädieren die BRICS-Mitglieder für ein Abgehen vom Dollar in der globalen Wirtschaft. Und dies kann Erdogan nur gefallen, der schon lange die auf dem internationalen Devisenmarkt geltenden Modalitäten in Zweifel zieht. Schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass die Türkei ihre Mitgliedschaft oder zumindest den Auftrag auf einen Beitritt zum BRICS-Bündnis als ein politisches Signal und Argument bei den Verhandlungen mit der EU ausnutzen kann. Ja, die Vereinigung BRICS muss sich aber nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ entwickeln.