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Wird Europa ohne Russland mit dem Problem der Dekarbonisierung fertig werden


Christoph Heusgen, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, die in der zweiten Februar-Dekade stattfand, hat der russische Seite vorgeworfen, dass der Westen Milliarden Dollar für die Hilfe für Kiew ausgeben müsse. Nach Meinung des deutschen Diplomaten könnte die Europäische Union diese Gelder für den Kampf gegen die Folgen der Veränderung des Klimas einsetzen.

Das Klima rückt in den Plänen der EU tatsächlich in den Hintergrund und wird gar drittrangig. Formell gibt die EU-Kommission natürlich ihre Pläne zur Dekarbonisierung nicht auf, die auf eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 um 80 bis 85 Prozent im Vergleich zum Stand von 1990 abzielen.

Mehr noch, in der EU werden entsprechende Entscheidungen zur Umgestaltung der gesamten Industrie in Richtung einer Dekarbonisierung verabschiedet. Im Zusammenhang damit genügt es, an den Beschluss des Europaparlaments in Form eines Gesetzes vom 13. Februar 2023 über das Verbot eines Verkaufs von Autos mit Treibhausgas-Emissionen ab 2035 auf dem Territorium der Europäischen Union zu erinnern. Anders gesagt: Es geht um ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren.

Es ist klar, dass nüchtern denkende europäische Politiker wie beispielsweise der bundesdeutsche Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Volker Wissing, und der italienische Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Adolfo Urso, bereits ihren Widerstand gegen diese Entscheidungen angekündigt haben. Unter Berücksichtigung der Einführung des US-amerikanischen Gesetzes über eine Inflationssenkung (Inflation Reduction Act, IRA) im vergangenen Jahr, das unter anderem eine Verlagerung von Industrieproduktionsstätten auf das Territorium der USA stimuliert, erwartet Europa eine Deindustrialisierung.

Die Autoindustrie stellt in vielerlei Hinsicht das Rückgrat der industriellen Entwicklung nicht nur in Deutschland dar, wo fast eine Million Menschen in diesem Sektor beschäftigt sind. Insgesamt sind in Europa unter Berücksichtigung der Auftragnehmer (solcher wie beispielsweise das Unternehmen BOSCH in Deutschland) in dieser Branche über 3,5 Millionen Menschen tätig. Auf jeden Fall hat bereits eine Verlegung der Fertigung von Autobatterien, Solar-Zellen und Komponenten für Windkraftanlagen über den Atlantik begonnen.

Die Versuche der Europäer, mit Gegenmaßnahmen zur finanziellen Unterstützung der eigenen Industrie zu antworten, werden mit Tendenzen einer Forcierung des Wettrüstens angesichts des bewaffneten russisch-ukrainischen Konflikts konfrontiert. Vorhandene Finanzmittel werden für eine Unterstützung nicht von zivilen, sondern von Rüstungsbranchen der Industrie eingesetzt.

Von daher ergibt sich die Schlussfolgerung, dass der Konflikt mit dem Ziel einer Erschöpfung, wie dies einige deutsche Experten annehmen, eher nicht mit einem Zusammenbruch des Putin-Regimes enden kann, wie dies zum Beispiel der Militärökonom Marcus Keupp im deutschen Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ prognostiziert, sondern eher mit einer Erschöpfung der europäischen Ressourcen – sowohl der finanziellen als auch der Naturressourcen.

Heutzutage trifft man im europäischen Raum selten einen Politiker, der einen Blick auf den morgigen Tag wirft. Die Massendemonstration unter dem Motto „Aufstand für den Frieden“ in Berlin (am 25. Februar – Anmerkung der Redaktion) hat anschaulich die Spaltung der Gesellschaft in Europa hinsichtlich der Frage nach der Haltung zu Russland bestätigt. Den Aufruf zur Kundgebung, der von der LINKEN-Politikerin und Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht und der Chefin der deutschen Feministen-Bewegung Alice Schwarzer veröffentlicht worden war, unterzeichneten über 600.000 Menschen. Im Bundestag hatte nur die rechtspopulistische Partei „Alternative für Deutschland“ von der Regierung offiziell gefordert, in der Rolle eines Vermittlers für einen Beginn russisch-ukrainischer Verhandlungen aufzutreten. Somit kann man wohl vom Beginn der Etablierung einer Koalition von Kräften in Deutschland für das Anbahnen eines Dialogs mit Russland sprechen.

Es steht außer Zweifel, dass ein Beitritt regierender Politiker zu derartigen Forderungen bei einer wesentlichen Verschlechterung der Wirtschaftslage im Land möglich ist. Bisher aber ist zu einer ersten Schwalbe in dieser Hinsicht das offene Eingestehen der Spitzenpolitiker des Landes geworden, dass unter den sich herausbildenden Bedingungen das Erreichen der Ziele, die durch das Pariser Klima-Abkommen gestellt wurden, unmöglich sei.