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Wird Peking weiterhin zwischen Russland und dem Westen balancieren?


Zehn Monate nach dem Beginn der militärischen Sonderoperation würde Moskau China um mehr Unterstützung bitten. Dies werde während des anstehenden Gesprächs der Oberhäupter beider Länder erfolgen, erklären Beobachter in Hongkong. Nach ihrer Meinung habe der Konflikt in der Ukraine Peking zu einer Annäherung mit Russland veranlasst. China werde aber kaum die neutrale Position aufgeben, da es nicht die Absicht fallen gelasse hätte, die Beziehungen mit den USA und deren Verbündeten zu normalisieren.

Die Zeitung „South China Morning Post“ schreibt, dass bis zum Jahresende ein Gespräch zwischen dem Oberhaupt der Volksrepublik China Xi Jinping und dem Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin stattfinden würde. Und in der Tat, sein Pressesekretär Dmitrij Peskow, sagte, dass solch ein Kontakt geplant werde, was am Donnerstag letztlich offiziell bestätigt wurde: Beide Staatsmänner werden sich im Rahmen einer Videokonferenzschaltung am Freitag unterhalten. Zuvor hatte Peskow auch erläutert, dass regelmäßig ein Austausch von Botschaften zwischen Putin und Xi erfolge.

Die Kommentatoren in Hongkong und im Westen legen das Schwergewicht darauf, dass in der Ukraine erbitterte Gefechte erfolgen würden. Und für Russland seien sie früher erfolglose gewesen. Der Kreml wollte sich gern einer Billigung der ehemaligen Sowjetrepublik beim informellen GUS-Summit in Sankt Petersburg (zu Wochenbeginn – Anmerkung der Redaktion) versichern, dort sind aber Meinungsverschiedenheiten aufgetreten. Andererseits hatte sich der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenskij, im Verlauf seiner jüngsten Washington-Reise Zusagen für Hilfe, unter anderem auf dem Gebiet der Lieferungen von „Patriot“-Luftabwehrraketenkomplexen versichert.

Die Ereignisse in der Ukraine haben in gewisser Weise Peking und Moskau angenähert. Dennoch ist es wenig wahrscheinlich, dass Peking von der Linie eines Balancierens zwischen Russland und dem Westen abgehen wird. Schließlich möchte es die Spannungen in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen verringern. Daher leistet China Russland keine Unterstützung beim Umgehen der Sanktionen oder auf militärischem Gebiet. Im Verlauf der Peking-Reise Putins im vergangenen Februar hatten beide Staatsoberhäupter verkündet, dass die russisch-chinesische Freundschaft keine Grenzen aufweise. Im September aber, nach dem Treffen in Usbekistan gestand Putin ein, dass Xi Besorgnis über den Konflikt in der Ukraine bekundet hätte.

Wie Li Ming-Jian, Dozent an der Technischen Universität Nanyang in Singapur, sagte, sei das Jahr 2022 für die chinesische Diplomatie ein schwieriges gewesen. Peking war gezwungen gewesen, die Tonart seiner Entlarvungen der USA angesichts dessen zurückzuschrauben, dass die Amerikaner erfolgreich antichinesische Koalitionen in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft und Hochtechnologien zusammenzimmerten. Die Lösung dieser Aufgabe erleichterte den Amerikanern das, dass China Russland einen Segen in der Ukraine-Frage gegeben hatte. Im Jahr 2023 wird sich Peking bemühen, seine Verbindungen mit dem Westen „zu reparieren“. Die Tür dazu kann der Besuch der Volksrepublik China durch US-Außenminister Antony Blinken zu Beginn des Jahres öffnen.

Andere Experten, unter anderem der Dozent Zhao Ma von der Washington University in St. Louis, sind der Annahme, dass Moskau mehr Peking, denn Peking Moskau brauche. Daher mache es keinen Sinn, eine große Wende Pekings in Richtung Moskaus zu erwarten. Zumal Putin kein Militärbündnis in der Art des Warschauer Vertrages habe. Und Russlands Wirtschaft mache etwas mehr als ein Prozent der Weltwirtschaft aus. Freilich, Russland bleibe eine Energie-Supermacht. Seine Rolle könne sich aber aufgrund dessen verringern, dass viele Länder die Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas aus Russland verringern würden.

Wie zu sehen ist, sagen die China-Spezialisten in den USA und in Ostasien für die russisch-chinesischen Beziehungen in der Zukunft im besten Fall eine Stagnation und im schlimmsten – einen Einbruch bzw. Rückgang voraus. Es ist instruktiv, diese Bewertung mit den Aussagen nicht irgendeines wenig bekannten Dozenten oder Professors, sondern des Außenministers Wang Yi an sich zu vergleichen. Bei einem Auftritt während der Sitzung eines Think Tanks in Peking erklärte er, dass die Volksrepublik China im kommenden Jahr die wie ein Fels festen Kontakte mit Russland verstärken werde. Diese Beziehungen würden einen gutnachbarschaftlichen, einen freundschaftlichen Charakter tragen und auf einer Zusammenarbeit basieren. Sie würden nicht von einer Einmischung äußerer Kräfte und Veränderungen in der internationalen Situation abhängen.

Hinsichtlich der Ukraine wies Wang hin, dass sich China fest an das Prinzip von Objektivität und Unvoreingenommenheit halte, wobei es keiner der Seiten den Vorrang einräume und nicht versuche, für sich einen Vorteil aus dem Konflikt zu ziehen. Zur gleichen Zeit möchte China einem Herauskommen aus diesem auf der Grundlage des Prinzips der Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten und der Traditionen der chinesischen Diplomatie helfen.

Was kann man also von dem Freitaggespräch Putins mit Xi erwarten? Alexander Lukin, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für China und das moderne Asien der Russischen Akademie der Wissenschaften, sagte der „NG“: „…Dies wird ein Online-Treffen. Denn einen persönlichen besuch muss man lange vorbereiten. Was die Ukraine angeht, so gibt es keinerlei Indikatoren für eine Veränderung dessen Haltung, die sich bereits zu Beginn des vergangenen Jahres herausgebildet hat. China sagt, dass es für eine friedliche Lösung eintrete, aber auf einer gegenseitig akzeptablen Grundlage. Dies wird es auch wiederholen. Es gibt allerdings konkrete Fragen. China erklärt, dass es auf militärischem Gebiet nicht einer der Seiten Hilfe gewähre. Eine andere Sache ist die Wirtschaft. China erweitert beispielsweise den Kauf russischer Energieträger. Da gibt es viele Themen für eine Erörterung.

China handelt stets in den eigenen Interessen. Die amerikanischen Sanktionen erkennt es aber nicht an, hält sie für illegitime. Folglich müsse man sie auch nicht umgehen. Wenn aber die Gefahr aufkommt, dass man sekundäre Sanktionen verhängt, wird China vorsichtig agieren. Oder es wird von irgendwelchen Projekten Abstand nehmen. Oder es wird diese nicht auf offenkundige Art und Weise umsetzen. China hält beispielsweise die UNO-Sanktionen gegen Nordkorea ein. Dennoch werden da aber chinesische Waren verkauft“.