Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Worum feilscht Lukaschenko mit dem Vatikan


Die Weihe des neuen päpstlichen Nuntius in Weißrussland, Ante Jozić, zum Bischof erfolgte am 16. September. Danach kann er nach Minsk reisen. Für die Katholiken des Landes ist dies ein bedeutsames Ereignis. Dem Oberhaupt der Metropolie von Minsk und Mogiljow, Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz, war die Einreise nach Weißrussland untersagt worden, und der vorangegangene Nuntius, Erzbischof Gábor Pintér, hatte die Republik bereits Anfang des Jahres verlassen.

Am 12. September wurde in der Kathedrale der Heiligen Jungfrau Maria zu Minsk eine Botschaft von Kondrusiewicz aus der Verbannung verlesen, die auf der Internetseite der Katholischen Kirche des Landes als „Abschiedsbotschaft“ bezeichnet wurde. In dem Text heißt es: „Ich opfere die Kompliziertheit meiner Situation im Namen der Kirche in Belarus und einer schnellstmöglichen friedlichen Beendigung der gesellschaftspolitischen Krise in unserem Land. Ich hoffe, Sie in der nächsten Zeit wiederzusehen“. Einen Tag später versicherte der Staatssekretär des Vatikans, Kardinal Pietro Parolin: „Wir unternehmen alles Mögliche, damit der Bischof in seine Diözese zurückkehren und seine Herde weiter führen kann“.  

In diesem Zusammenhang kann die Ankunft von Jozić als eine Anerkennung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Weißrussland durch den Heiligen Stuhl gewertet werden. Beobachter vermuten, dass die hastige Ordination von Jozić, der durch Papst Franziskus bereits im Mai ernannt worden war, aber dessen Eintreffen aufgrund der Coronavirus-Pandemie auf eine unbestimmte Zeit verschoben wurde, ein direktes Ergebnis des Minsk-Besuchs von Paul Richard Gallagher, dem Sekretär des Vatikans für die Beziehungen mit den Staaten, ist. Der vatikanische Beamte traf sich mit Weißrusslands Außenminister Wladimir Makej. „Im Verlauf der Gespräche wurden aktuelle Fragen der bilateralen Tagesordnung erörtert, darunter im Kontext der Entwicklung der Situation in Belarus nach den Wahlen… Unterstrichen wurde das beiderseitige Interesse an einer Beibehaltung der traditionell freundschaftlichen bilateralen Beziehungen und einer großen Intensität der Kontakte auf unterschiedlichen Ebenen. Wladimir Makej betonte besonders die historische Rolle der Katholischen Kirche bei der Entstehung und Entwicklung des weißrussischen Staates, wobei die Gewissheit bekundet wurde, dass der konstruktive Dialog mit dem Heiligen Stuhl eine der Bedingungen für die Aufrechterhaltung des interkonfessionellen Friedens und der Eintracht im Land ist“, erstattete Weißrusslands Außenministerium Bericht. Der Minister erinnerte den Gast aus dem Vatikan, dass „die Einladung für den römischen Papst, Belarus zu besuchen, in Kraft bleibt“. Auf dem offiziellen Informationsportal des Heiligen Stuhls bezeichnete man den Gallagher-Besuch als „ein Zeichen der Nähe des Papstes zu Belarus“.

Die katholische Gemeinschaft des Landes ist verwirrt. „Dies ist ein sehr stiller Besuch, über den es beinahe nirgends ein Wort gibt. Wahrscheinlich hat Gallagher Belarus als Vertreter des Vatikanstaates besucht. Gerade deshalb wurde auch das Eintreffen des Nuntius beschleunigt. Schließlich wird eine Weihe nicht innerhalb von zwei Tagen vorgenommen. Hier aber erfolgte alles zu vehement. Sicherlich hat Gallagher während seines Aufenthalts in Minsk gesehen, was sich hier wirklich ereignet. Und im Vatikan hat man verstanden, dass die Situation die Präsenz eines Nuntius erforderlich ist, der sich der Angelegenheit von Kondrusiewicz annimmt. Der Nuntius wird mit Beglaubigungsurkunden ins Land kommen, was für die weißrussischen Offiziellen zu einer bestimmten Anerkennung seitens des Vatikans wird. Möglicherweise wird das Eintreffen des Nuntius unter solchen Bedingungen die Rückkehr von Kondrusiewicz beschleunigen“, vermutete in einem Gespräch mit der „NG“ Artjom Tkatschuk, Initiator der oppositionellen Aktion „Ein Katholik fälscht nicht“.  

Es sei daran erinnert, dass Kondrusiewicz, ein Staatsbürger Weißrusslands, dessen bezichtigt wird, dass er während einer Dienstreise in Polen, dort „bestimmte Aufgaben“ erhalten hätte. Ihn verdächtigt man gleichfalls des Besitzes einer doppelten Staatsbürgerschaft. Durch die weißrussische Gesetzgebung wird der Besitz der Staatsbürgerschaft eines anderen Staates nicht anerkannt. Dass dies verboten ist, wird jedoch im Gesetz nicht direkt gesagt. Es ist bekannt, dass der weißrussische Pass des Prälaten annulliert worden ist. T. Kondrusiewicz hatte in der Hochzeit des Wahlkampfes auf die Abhaltung ehrlicher Wahlen bestanden. Und nach Bekanntgabe der Ergebnisse erklärte er, dass er „allen Grund zur Annahme hat, dass die Wahlen keine gerechten waren“. In Polen gewährte er dem Sender TV Trwam ein ausführliches Interview, in dem er erklärte, dass „die weißrussische Bevölkerung groß geworden ist, um ihre Rechte zu kämpfen. Und dies ist eine andere Generation als vor 26 Jahren“. 

Tkatschuk unterstrich: „Die Katholiken des Landes sind nicht einverstanden, sich auf irgendwelche Zugeständnisse gegenüber den Herrschenden einzulassen, damit man ihnen Kondrusiewicz zurückgibt“. „Für die Nichtkleriker und Geistlichen wird jeder Schritt von jenen Positionen zurück, die die katholischen Bischöfe der Republik bereits artikulierten, als ein gewisser Verrat angesehen. Natürlich hätten wir es gern, dass Kondrusiewicz zurückkehrt. Aber selbst seine Abwesenheit vermag nicht, das Wirken der hiesigen katholischen Kirche und die Ansichten der Hierarchen hinsichtlich der Situation im Land zu beeinflussen. In diesem Sinne bedeutet die erneute Einladung des römischen Papstes nichts. Natürlich, wir hätten es gern, dass der Pontifex kommt. Doch in der gegenwärtigen Situation ist dies nicht das Wichtigste. Die Katholiken glauben nicht an diesen Besuch und wissen, dass die orthodoxe Kirche gegen ihn auftritt. Wenn Lukaschenko wirklich den römischen Papst einladen möchte, muss er sich zuerst mit den Orthodoxen einigen. Vorerst ist dies aber lediglich ein Versuch, die gegenwärtige Herrschaft zu legitimieren“, fügte der Gesprächspartner der „NG“ hinzu.  

Während die Diplomaten im Regierungskabinett Freundlichkeiten austauschten, fanden am 11. September auf den Straßen von Minsk eine gesamtstädtische katholische Prozession und ein gemeinsames Gebet statt, zu deren Leitmotiv die Forderung geworden war, „die Verfolgungen der Katholischen Kirche in der Republik zu stoppen“ und „Erzbischof Kondrusiewicz ins Land zurückzuholen“. „Wir verlieren nicht die Hoffnung, dass unser Erzbischof aus der Gefangenschaft zurückkehren wird, um wieder mit uns zu sein und zur Erlösung zu führen. Heute ist Freitag, der Tag, an dem wir des Märtyrertodes Christi am Kreuz gedenken. Wir werden diesen Weg des Erlösers für die Freiheit der Katholischen Kirche in Belarus, für die Rückkehr unseres Metropoliten sowie für Gerechtigkeit, das Gute und Frieden in unserem Land gehen“, erklärte der Generalvikar der Diözese von Minsk und Mogiljow, Bischof Jurij Kosobuzkij. Für eine Verteidigung von Kondrusiewicz traten auch die Bischofskonferenz Russlands, Vertreter des Rates der europäischen Bischofskonferenzen und US-Außenminister Michael Pompeo auf. Papst Franziskus wahrt bisher Schweigen. Wie Vatican News schreibt, hatte am 13. September der Pontifex während der traditionellen Sonntagspredigt Belarus nicht erwähnt, aber „die Aufmerksamkeit auf die Erscheinung des Protests gelenkt, die in vielen Teilen der Welt beobachtet wird, und die staatlichen Behörden aufgerufen, eine vollständige Achtung der Menschenrechte und Bürgerfreiheiten zu sichern“. Gleichzeit behauptet das Portal, dass „Papst Franziskus mit maximaler Aufmerksamkeit die Ereignisse in der Welt verfolgt“. Am 3. Oktober plant der Pontifex, seine dritte Enzyklika „Fratelli tutti“ („Alle Brüder. Über Bruderschaft und soziale Freundschaft“) zu unterzeichnen. Wird er aber seinen Glaubensbruder Kondrusiewicz retten und wie, ist bisher unklar. 

Geäußert werden die Vermutungen, dass Gallagher in Minsk einen neuen Kandidaten für das Amt des Erzbischofs von Minsk und Mogiljow erörterte, der den derzeitigen Herrschenden mehr recht sein wird. „Wir haben keine solchen Geistlichen“, merkt Tkatschuk an. „In dieser Hinsicht ist der katholische Klerus von Belarus sehr geschlossen. Wir haben eine ganze Gruppe von Geistlichen, die versuchen, „ihre Hände in Unschuld zu waschen“, und es vorziehen, sich im Geiste der orthodoxen Kirche zu äußern – das heißt ohne Konkretes. Es gibt aber keine solchen, die der Position der gegenwärtigen Herrschenden zustimmen würden“.   

Während die Katholiken um die Rückkehr ihres Erzbischofs kämpfen, gab der neue Exarch des Patriarchen der Russischen orthodoxen Kirche (ROK), Metropolit Weniamin (Tupeko), am 12. September dem russischen Auslandsfernsehsender RT sein erstes Interview. Er rief den Klerus auf, sich auf maximale Weise von einer Teilnahme an den politischen Prozessen auszuschließen. „Politik, dies ist eine sehr komplizierte Sphäre der menschlichen Beziehungen. Und hier ist Vieles versteckt und unverständlich. Und wenn wir Geistlichen uns mit Politik befassen werden, wer wird dann das Volk im Gesetz Gottes unterweisen? Denn das Eindringen, das Eintauchen in die Politik drückt der Seele des Menschen einen Stempel auf. Und das Wort wird da bereits zu keinem so unvoreingenommenen und ausgewogenen, das auf dem Evangelium beruht, und es werden die menschliche Logik, die Wünsche, Gefühle und Bestrebungen hinzugemischt“, erklärte er. Das Auftreten des Missverständnisses zwischen den Offiziellen und der Kirche schrieb er der Coronavirus-Infektion zu. Und das sich immer häufiger wiederholende Thema von der Möglichkeit der Etablierung einer Autokephalie in der Republik nach dem Vorbild der Orthodoxen Kirche der Ukraine bezeichnete er als ein „von außen aufgedrängtes“. „Man muss Wachsamkeit wahren und jegliche Versuche dahingehend vermeiden, dass das Thema der Autokephalie in dem einen oder anderen Format angesprochen wird“, belehrte Weniamin.  

Zur gleichen Zeit ist beim Koordinierungsrat der Opposition, den man gerade einer Aktualisierung des Themas der Bildung einer autokephalen Kirche bezichtigte, die Arbeitsgruppe „Christliche Sichtweise“ etabliert worden. Ihr Hauptziel ist „ein gemeinsames Wirken der Christen bei der Suche nach Wegen für eine Überwindung der politischen Krise in der Republik Belarus und die Gewährleistung von Eintracht in der Gesellschaft auf der Grundlage der Verfassung“. Gegenüber der „NG“ erläuterte Alexander Schramko, einer der Organisatoren der Gruppe, der Geistliche der Weißrussischen orthodoxen Kirche: „Da der Koordinierungsrat für einen Machttransfer geschaffen wurde, ist es wichtig, die unterschiedlichen Sichten der Menschen auf die Situation zu berücksichtigen, darunter auch von christlichen Positionen aus“. „Die Christen haben ihre Sicht darauf, wie die Herrschenden sein sollen und wie sich die Gläubigen hinsichtlich der Herrschenden verhalten müssen. Wir wollten uns nicht nach Konfessionen aufteilen, sondern wollten unsere Sichtweise verbinden. Ungeachtet dessen, dass Orthodoxe als die Initiatoren der Etablierung aufgetreten sind und die Protestanten sie unterstützt haben, gehören unserer Organisation jetzt auch Katholiken an. Wir vertreten jedoch nicht unsere Kirchen – die orthodoxe, die katholische oder die protestantische. Wir vertreten unsere Anschauungen von den universellen Positionen der christlichen Glaubenslehre aus“, berichtete der Geistliche.  

Nach Meinung von Schramko hänge der Aufruf des Exarchen, sich von der Politik zurückzugehen, nicht mit dem Entstehen der Arbeitsgruppe zusammen. „Dies hängt mit jener Stimmung zusammen, die heute in der Gesellschaft herrscht. Viele orthodoxe Geistliche haben angefangen, ihre politische Haltung durch Predigten zu artikulieren. Bei uns erfolgt schon lange eine Diskussion zum Thema „Was ist als Politik anzusehen?“. Ich bin mir sicher, dass die Kirche nicht schweigen darf, wenn irgendwelche moralischen Grundlagen angetastet und Gebote verletzt werden. Dies ist sogar in den Grundlagen der sozialen Konzeption der ROK festgeschrieben worden. Dort gibt es den Punkt, dass in bestimmten Fällen einer Verletzung der Glaubenslehre seitens der Herrschenden die Kirche die Gesellschaft zu einem zivilen Ungehorsam aufrufen könne. Jetzt aber geht es nicht um die Abstimmung für irgendeinen bestimmten Kandidaten. In diesem Fall darf sich die Kirche natürlich nicht einmischen. Doch wenn es um Fälschungen geht, um Gewalt und eine Verletzung moralischer Normen, sind die Christen verpflichtet, ihre Meinung zu äußern. Zum Beispiel hatte während des Krieges die Kirche, die gewöhnlich für Frieden eintritt, nicht aufgerufen, alles hinzuwerfen und sich dem Feind im Interesse der Herstellung von Frieden zu ergeben. Mit derartigen Überlegungen über die Politik wird meistens eine Untätigkeit gerechtfertigt, die für die Herrschenden von Vorteil ist. Da jetzt aber die Führung der WOK anstrebt, gute Beziehungen mit den Herrschenden zu bewahren, spricht sie scheinbar richtige Worte über einen Frieden, tatsächlich aber ruft sie zu Untätigkeit auf“, meint Alexander Schramko.  

Er dementierte gleichfalls die Vorwürfe gegen den Koordinierungsrat hinsichtlich des Bestrebens, einen Prozess zur Schaffung einer autokephalen, vom Moskauer Patriarchat unabhängigen Kirche in Weißrussland in Gang zu setzen. „Heute ist dieses Gerede mehr für die Herrschenden, denn für die Opposition von Vorteil. Es wird für ein Angstmachen genutzt. Wir hatten nie irgendeinen nationalistischen Ansatz. Und das Thema der Autokephalie war für uns nie ein aktuelles. Im Koordinierungsrat, dem ich angehöre, sind alle gegen eine Autokephalie. Lukaschenko aber hat es durchaus vorsätzlich aufgegriffen, um die Möglichkeit zu haben, die Opposition zu beschuldigen und die Gläubigen gegen sie einzustellen. Und wahrscheinlich hat man auch der Führung der WOK irgendwelche Anweisungen gegeben, um dieses Thema zu pushen, um die Aufmerksamkeit von ernsthafteren Problemen abzulenken“, versichert der Kleriker.   

In diesem Sinne sei nach Meinung von Alexander Schramko auch der nunmehrige Belarus-Besuch von Gallagher durchaus erklärbar. „Ungeachtet dessen, dass Lukaschenko die Katholiken nicht mag, hat er mehrfach darauf zurückgegriffen, um über sie irgendetwas zu erreichen. Zum Beispiel, als man ihm seinerzeit eine Einreise in die Länder Europas verboten hatte, versuchte er, für ein Durchbrechen dieser Blockade die Katholische Kirche und ihre Vertreter auszunutzen, traf sich mit dem römischen Papst, versprach, mit dem Vatikan ein Konkordat abzuschließen, usw. Später, als sich alles mehr oder weniger beruhigt hatte, vergaß er dies. Jetzt wird der römische Papst von Lukaschenko nicht so sehr als Kirchenoberhaupt, sondern als ein Staatsoberhaupt angesehen. Und gerade da will Lukaschenko jetzt spielen, um eine Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu bekommen“, resümierte der Geistliche.