In der ersten Mai-Woche haben die EU-Länder den Mechanismus zur Abstimmung eines neuen Pakets antirussischer Sanktionen, das China tangieren kann, in Gang gesetzt. Peking hat angedroht, eine harte Antwort auf einseitige Sanktionen gegen chinesische Unternehmen zu geben. Eine Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen der Volksrepublik China und der Europäischen Union wird die Fragmentierung der Weltwirtschaft verstärken, die sich auch auf die Russische Föderation auswirken wird.
Zur Zielscheibe des neuen Sanktionspakets werden nicht so sehr Unternehmen in Russland als vielmehr in mit an der Russischen Föderation angrenzenden Ländern. Das Abstimmen der Sanktionen wird dadurch erschwert, dass ein Teil der Europäer befürchtet, durch die Zuspitzungen des Wirtschaftskrieges in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Und ein anderer erhebt Einspruch gegen die moderaten oder zahnlosen Maßnahmen. Die neuen Sanktionen werden auf einen Kampf gegen das Umgehen der Handelsrestriktionen ausgerichtet. Ausgearbeitet wurden sie „mit einer sehr engen Koordinierung mit den G-7-Ländern“, sagte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
„Wenn wir sehen, dass Waren aus der Europäischen Union in Drittländer kommen und danach nach Russland gelangen, können wir den Mitgliedsstaaten vorschlagen, Sanktionen für einen Export dieser Waren zu verhängen. Diess Instrument wird das äußerste Mittel sein. Und es wird mit Vorsicht angewandt werden“, sagte sie.
Die Europäische Union plane, den Transit einer großen Liste von Exportwaren inklusive hochtechnologischer Erzeugnisse und Bauteile für Flugzeuge durch Russland einzustellen, warnte die Präsidentin der Europäischen Kommission. Außerdem schicken sich die EU-Beamten an, auf ihre Schwarze Liste dutzende Unternehmen aus China, dem Iran, aus Kasachstan und Usbekistan zu setzen. Dabei müssen alle 27 Länder der Europäischen Union den Formulierungen der neuen Sanktionen zustimmen.
Im Rahmen des neuen, des 11. Pakets der antirussischen Sanktionen können Einschränkungen gegen sieben chinesische Unternehmen angeblich im Zusammenhang mit dem Verkauf von Waren an die Russische Föderation, die man in Waffen verwenden kann, verhängt werden. Es sei geplant, außer gegen die chinesischen Unternehmen aufgrund der gleichen Begründungen Sanktionen gegen Unternehmen im Iran, in Armenien, den VAE und Syrien zu verhängen, meldete die Londoner Zeitung „The Financial Times“.
Möglich sei gleichfalls ein Verbot für das Umschlagen von (russischem) Erdöl auf offener See, aber auch Verbote für das Fahren von Erdöltankern mit eingeschalteten GPS-Trackern. Die direkten Verluste der Europäer aufgrund des neuen Sanktionspakets würden rund 500 Millionen Euro ausmachen, berechnete man bei Reuters.
Die chinesischen Offiziellen haben bereits auf die Androhung der Verhängung neuer Sanktionen reagiert. Die Beziehungen der EU und der Volksrepublik China würden ernsthaft leiden, wenn sich die Europäische Union zu Sanktionen gegen chinesische Unternehmen entschließe, warnte man im Außenministerium Chinas. „Wenn sich diese Informationen als wahre erweisen, werden die Handlungen der EU das Vertrauen zwischen China und der EU ernsthaft untergraben sowie die Spaltung und Konfrontation in der Welt vertiefen“, unterstrich der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Wang Wenbin.
Die deutsche Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte im Verlauf einer Begegnung mit dem chinesischen Amtskollegen China vor einem Export von Waffen in die Russische Föderation. „Besonders kritisch ist es, wenn … russische Rüstungsunternehmen an kriegsrelevante Güter gelangen. Deswegen prüfen wir als Europäische Union bei den laufenden Verhandlungen daher sehr zielgenaue Maßnahmen, die sicher stellen sollen, dass sanktionierte Güter, dass auch sanktionierte Dual-Use-Güter nicht in falsche Hände geraten. Das richtet sich nicht gegen irgendein spezifisches Land, sondern dies bezieht sich speziell auf diese sanktionierten Güter. Wir erwarten aber von allen Ländern, wir erwarten auch von China, dass es auf seine Firmen in dem Sinne entsprechend einwirkt“, erklärte Baerbock. In der Volksrepublik China verspricht man, die Sanktionen nicht ohne eine Antwort zu lassen, wobei unterstrichen wird, dass „der normale Wirtschaftsaustausch zwischen den chinesischen und russischen Unternehmen nicht unterbrochen werden darf“.
Derweil verschlechtern sich weiterhin die Wirtschaftsbeziehungen der EU und Chinas auch ohne eine formelle Abstimmung europäischer Sanktionen. Am Mittwoch warnte das chinesische Außenministerium Italien vor einem Aussteigen aus der Initiative „Ein Gürtel – eine Straße“, die das Reich der Mitte seit dem Jahr 2013 aktiv vorantreibt. Im chinesischen Außenamt unterstrich man: Seitdem Peking und Rom Vereinbarungen über die Realisierung gemeinsamer Vorhaben im Rahmen von „Ein Gürtel – eine Straße“ abgeschlossen hatte, hätten sie ein produktives Zusammenwirken in solchen Richtungen wie Handel und Wirtschaft sowie verarbeitende Industrie erreicht.
Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg mitgeteilt, dass Italien die USA in Kenntnis gesetzt hätte, dass es bis Ende des Jahres 2023 plane, die Teilnahme an der chinesischen Initiative einzustellen. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erklärte dies dem Sprecher des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten Kevin McCarthy bei einer Begegnung am 4. Mai in Rom. China und Italien hatten ein Memorandum zum Projekt „Ein Gürtel – eine Straße“ bereits im Jahr 2019 unterschrieben. Gemäß dem Abkommen erhielt die Volksrepublik China Zugang zu solch einer italienischen Infrastruktur wie das Telekommunikationswesen und die Häfen. Mitgeteilt wird gleichfalls, dass die jetzige Entscheidung von Rom mit der Präsenz einer erheblichen Anzahl chinesischer Investoren in Italien zusammenhänge. Als Beispiel für den spürbaren Einfluss auf dem italienischen Markt wird das chinesische Staatsunternehmen Sinochem Holdings ausgewiesen, das gleichfalls größter Aktionär beim italienischen Reifenhersteller Pirelli ist.
Italien ist nicht das einzige Land, das Kurs auf einen Abbruch bzw. ein Zurückfahren der Wirtschaftsbeziehungen mit der Volksrepublik China genommen hat. Deutschland signalisierte unter anderem Pläne für Einschränkungen der Lieferungen von Chemikalien für die Mikrochip-Herstellung nach China.
Zu einer Antwort Chinas auf die europäischen Sanktionen kann eine Reduzierung der Investitionen in die Wirtschaft der EU werden. Entsprechend den Ergebnissen des vergangenen Jahres erreichten die direkten ausländischen Investitionen in Europa (27 EU-Länder und Großbritannien) aus China ein Minimum der letzten zehn Jahre und machten weniger als acht Milliarden Dollar aus, was um 22 Prozent weniger als im Jahr 2021 war. Somit sind die chinesischen Investitionen auf den Stand von 2013 zurückgekehrt, folgt aus einem entsprechenden Bericht. Experten unterstreichen ebenfalls, dass beinahe 90 Prozent aller chinesischen Investitionen nach Ungarn, Großbritannien, Frankreich und Deutschland gehen würden. Zum Vergleich: Die weltweiten Direktinvestitionen Chinas beliefen sich auf 117 Milliarden Dollar, wobei sie innerhalb eines Jahres um 23 Prozent zurückgegangen sind.
Nach Auffassung von Beobachtern könne sich eine Verschlechterung der Beziehungen der Volksrepublik China mit der EU in der Perspektive auch auf die Russische Föderation auswirken. „Die aufnahmefähigsten Märkte für den Export von Erzeugnissen aus China sind Europa und die USA. Im Falle einer Drosselung der Einkäufe von Waren durch europäische und amerikanische Unternehmen können die Produktionsstätten in China erheblich leiden. Der russische Markt (wie auch die Märkte der übrigen Länder) kann die durch China verlorengegangenen Exportmengen aufgrund seines vergleichsweise geringen Umfangs nicht aufnehmen. Ein Teil der Unternehmen im Reich der Mitte wird wahrscheinlich die Produktionsumfänge reduzieren oder gar schließen. Im Ergebnis dessen wird sich die Auswahl der chinesischen Lieferanten verringern, und die Preise für chinesische Waren können bei einem gleichzeitigen Rückgang der Qualität ansteigen. Dies wird eindeutig der russischen Wirtschaft sowohl hinsichtlich des Imports von Erzeugnissen als auch für den Export von Energieträgern zusätzliche Schwierigkeiten bescheren. Dies wird nicht schnell erfolgen. In der langfristigen Perspektive ist die Tendenz aber eine negative“, urteilt Maxim Tschepow, Generaldirektor des Logistik-Unternehmens „RFK Group“.
Nach Meinung von Boris Piwowar, Lehrer an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst, werde solch eine Entscheidung der EU für China zu einer Demonstration für die Unzuverlässigkeit der Europäischen Union als ein Wirtschaftspartner. „China ist eine der mächtigsten Volkswirtschaften der Welt. Daher werden für die EU solche Schritte unbedingt negative Konsequenzen nach sich ziehen. Investitionen werden wegfallen, Produktionskapazitäten und Waren“, sagte er. Der Experte ist der Auffassung, dass eine Zuspitzung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und der VR China eine Festigung der Beziehungen zwischen Russland und China fördern werde.
Im Rahmen des 11. Sanktionspakets werden die sogenannten Schattenstrukturen im Fokus der Aufmerksamkeit der Europäischen Union stehen, die Kanäle für Lieferungen bewahren, nimmt Prof. Andrej Poltarychin von der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität an. „Die gegenwärtige Etappe der Verschärfung der Sanktionspolitik ist ein Durchspielen des Mechanismus von Sanktionen gegen Drittländer und dritte Unternehmen. Es wird jedoch wohl kaum gelingen, gleich beim ersten Mal dies recht effektiv zu organisieren“, urteilt er.
Es sei keine Tatsache, dass die neuen Sanktionen wirksamer als die vorangegangenen sein werden, meint Artjom Schachurin von der Firma „IVA Partners“. „Juristisch kann man es so ausgestalten, dass Unternehmen mit Russland in den Fragen eines Umgehens der europäischen Sanktionen zusammenwirken werden, die mit Europa kein Business betreiben. Für China und den Iran sind dies seit langem bereits durchgespielte und gewohnte Praktiken. Der Iran befindet sich schon über 40 Jahre unter Sanktionen. Und China arbeitet sowohl mit ihm als auch mit der KDVR sowie mit einer Reihe anderer Länder, die sich unter unterschiedlichen Restriktionen befinden“, konstatiert der Volkswirt