Das Schaljapin-Opernfestival – eines der ältesten in Russland – findet zum 39. Mal statt. Zehn Aufführungen und zwei Gala-Konzerte, führende russische Sänger*innen, üppige Inszenierungen „großen Stils“ … Das geschätzte Forum bleibt seinen Traditionen treu.
Freilich, eine der Schlüsselpositionen wurde aufgrund verständlicher Umstände ausgelassen. In der Regel zeigt man beim Schaljapin-Festival die Premiere einer neuen Inszenierung. Dieses Mal wurde das Festival mit einer halbkonzertanten Aufführung der Leoncavallo-Oper „Der Bajazzo“ eröffnet. Doch die Variante einer Semi-staged-Aufführung, wie man gewöhnlich solche Vorstellungen nennt, war so überzeugend, dass der Eindruck einer richtigen Aufführung zurückblieb, einer leidenschaftlichen und tragischen.
Die einen oder anderen Andeutungen einer Regiearbeit waren auch in den Auftritten der Künstler auszumachen, und selbst in den inszenierten Szenen. So singt „Harlekin“ seine Liebensbekenntnisse gegenüber „Colombina“ von der oberen Loge aus. Die Künstler tauchen im Parkett auf, machen Gags usw. Doch am überzeugendsten funktionierten nicht so sehr die Regie-Tricks, als vielmehr die Arbeit der Interpreten, die ihre Rollen von der ersten bis zur letzten Sekunde durchlebten. Es ist eine Oper über das Leben und das Theater. Als Dekoration dienen ihr die Bühne an sich, der Zuschauersaal und der Samt-Bühnenvorhang. Und sie füllen die Emotionen der Künstler aus. Das Casting kann man als ein glänzendes bezeichnen. (Und hinsichtlich der Geografie – als ein Petersburger, da Sänger*innen aus dem Marinskij- und dem Michailow-Theater engagiert worden waren.)
Achmet Agadi, einer der Lieblingskünstler des Theaters, den man mit einer beneidenswerten Regelmäßigkeit in die tatarische Hauptstadt einlädt, sang den Canio. Die Eifersucht, der Schmerz, die Wut und die Verzweiflung – all dies zusammen mit einer unglaublich virtuosen Interpretation der Partie (die berühmte Arie „Ridi, pagliaccio / Lache, Bajazzo“ am Ende des 1. Aktes veranlasste die Zuschauer zu Ovationen) gab der Aufführung den Ton vor. Die Nedda war bei Jewgenia Murawjowa eine eiserne Lady mit einem heißen Herzen. Genauso hart wie sie mit Tonio war, indem sie kein Mitgefühl weder für seine Hässlichkeit noch für seine Gefühle bekundet, ist sie genauso aufrichtig in ihrer Liebe zu Silvio. Jede Sekunde ihres Gesangs (eines tadellosen), jede ihrer Bewegung, die Mimik und der Blick zeichnen die gar nicht triviale und starke Künstlerin aus. Nicht ohne Grund ist Nedda scheinbar eine ihrer Top-Partien, mit der sie bereits zu Beginn der Karriere auftrat und auf die sie jetzt setzt. Durch das Zusammentreffen von Umständen sind zwei Inszenierungen des „Bajazzos“ mit ihrer Teilnahme (eine davon in Chicago) gecancelt worden.
Der glänzende Schuft Tonio von Roman Burdenko und der lyrische Silvio von Wladislaw Kuprijanow sowie der verspielte Beppo (Damir Sakirow) bildeten ein Trio, zu dem man hinsichtlich der Ausdruckskraft und dem Können, einander zu fühlen, noch suchen muss, um ein gleichwertiges zu finden. Darüber sprach vor der Aufführung übrigens auch der Dirigent Marco Boemi, ein langjähriger Freund des Tatarischen Operntheaters und Teilnehmer vieler Premieren und Aufführungen. Er äußerte sich auch über die heutige Situation: „Ich bin übervoll an Stolz und Glück aufgrund dessen, dass ich auftreten kann. Während in der Heimat (in Italien – Anmerkung der Redaktion) das Shopping erlaubt ist, sind alle Theater geschlossen“. Sein mächtiges Schiff – das Orchester und der Chor hatten die gesamte Bühnentiefe eingenommen – steuerte Boemi recht elegant durch die Wellen der Bajazzos, besonders hinsichtlich des Ensembles mit den Sänger*innen.
Zu den nächsten Ereignissen des Schaljapin-Festivals, die unbedingt erwähnt werden müssen, gehören „La Traviata“ mit Albina Schagimuratowa (die Primadonna tritt auch bei den abschließenden Gala-Konzerten auf), der „Troubadour“ mit Tatjana Serschan und Wladislaw Sulimskij (Marinskij-Theater), „Boris Godunow“ mit Michail Kasakow, Oleg Dolgow, Aguna Kulajewa (Bolschoi-Theater) und Alexej Tichomirow („Neue Oper“ Moskau) und „Der Barbier von Sevilla“ mit Alexej Tatarinzew („Neue Oper“) und Konstantin Schuschakow (Bolschoi-Theater). Das Festival veranstaltet auch ein Off-Programm, in dessen Rahmen mehrere Vorträge zur Geschichte von Inszenierungen geplant sind.