Laut Informationen der „NG“ sind die Offiziellen zu einer politischen Entscheidung hinsichtlich der Einführung eines Monopols für die öffentliche Beobachtung der Wahlen gekommen. Möglich ist, dass den Parteien und den Kandidaten diese Vollmachten unter dem Vorwand genommen werden, dass gerade öffentliche bzw. gesellschaftliche Stäbe den Beobachtern einen unabhängigen Status garantieren würden. Das Argument gegen eine harte Vorgehensweise ist solch eines: Das Vertrauen gegenüber den Staatsduma-Wahlen könne noch vor ihrem Start untergraben werden. Das Hauptargument dafür: Für die Opposition wird es schwer werden, ohne Fakten über Verstöße die Menschen in der Nacht nach der Abstimmung auf die Straßen zu rufen. Und den Schlag gegen die Legitimität der Kampagne wird die Informationsarbeit eben jener total loyalen Beobachter kupieren. Während man in den obersten Machtetagen überlegt, was besser zu vermeiden wäre – einen Skandal oder einen Maidan, liegt vor Ort schon die Bereitschaft vor, jegliches Kommando zu realisieren.
Abgeschlossen wird die erste Etappe des Programms zur Vorbereitung einer Armee von Beobachtern für das Arbeiten bei den Wahlen zur Staatsduma. Aufgestellt wurde ein Korps von Ausbildern, die im Weiteren hunderttausende Aktivisten schulen werden. Gerade sie werden im Juni losziehen, um sich bei den gesellschaftlichen Stäben einzuschreiben, die Ende dieser Woche bereits in allen Regionen gebildet sein werden. Die Gesellschaftliche Kammer der Russischen Föderation plant, dass die Reinheit und Legitimität der Wahlen im ganzen Land mindestens 100.000 gesellschaftliche von der Herkunft her und dabei durchaus kompetente Spezialisten kontrollieren werden.
Nach Aussagen von Alexander Brod, Mitglied des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen, hätten die Beobachter in den letzten Jahren nicht wenige Verstöße fixiert, was zu einer Annullierung der Abstimmungsergebnisse in einigen Wahllokalen führte. Klagen gab es auch hinsichtlich der Qualität der Ausbildung der Beobachter an sich. Beispielsweise haben sie sich nicht immer im Funktional der Wahlkommissionen unterschiedlicher Ebene ausgekannt. Mitunter konnten sie sich nicht in schwierigen Situationen orientieren, irrten sich in der Bewertung: Ist die eine oder andere von ihnen fixierte Tatsache ein Verstoß oder nicht. Manchmal hatte die Gesellschaftliche Kammer keine Rückverbindung zu den gesellschaftlichen Beobachtern zwecks Überprüfung von Informationen, besonders aus weit abgelegenen Wahllokalen. „Die Beobachter, die mit der Organisation „Golos“ („Die Stimme“) zusammenarbeiten, legten nicht selten ungeprüfte Informationen vor, verursachten Konfliktsituationen“, erinnerte Brod. Und dennoch hat sich das Institut der gesellschaftlichen Beobachtung etabliert. Es „wird von der Gesellschaft gebraucht und dient als eines der wichtigen Instrumente zur Verhinderung von Fälschungen“.
Er erinnerte gleichfalls daran, dass mit beinahe zwei Dutzend Parteien Vereinbarungen abgeschlossen wurden, deren Vertreter bereit sind, an dem Schulungsprogramm teilzunehmen. Die Vertreter der KPRF und von „Jabloko“ enthalten sich bisher eines Beitritts zu dem Projekt, bestätigte Brod. „Ich denke, dass sich diese Parteien von der Mehrheit distanzieren, da sie auf Protestaktivitäten und auf ein Arbeiten mit dem Protestelektorat aus sind“, unterstrich er. Das Studienprogramm der gesellschaftlichen Stäbe ist jedoch für die einfachen Mitglieder und Anhänger dieser ablehnenden Parteien offen. Freilich, diese Situation kann man auch anders interpretieren: Die Auftraggeber der Beobachter-Schulungsprogramme haben möglicherweise nicht empfohlen, mit den Kommunisten und „Jabloko“-Vertretern zusammenzuarbeiten. Auf jeden Fall sind solche Informationen bereits von einer Reihe von Medien publiziert worden.
Alexander Brod erläuterte jedoch der „NG“, dass das Ausbildungsprogramm nicht direkt mit einem unbedingten Erhalt des Status von Beobachtern in Verbindung stehe. Die Aufgabe bestehe darin, Wissen zu vermitteln, das erlaube, eine qualitätsgerechte Beobachtung vorzunehmen.
Die Aktivisten, die sich damit befassen möchten, können Delegierungen von den regionalen Gesellschaftlichen Kammern in Wahllokale bekommen. Es gebe aber seinen Worten zufolge keinerlei politischen und bürokratischen Barrieren.
Einige Experten räumen dennoch aber ein, dass die großangelegte Ausbildung von Beobachtern, die durch die Herrschenden über die Gesellschaftliche Kammer in Auftrag gegeben worden ist, von der Absicht zeuge, jene von den Wahlen fernzuhalten, die die Parteien und oppositionellen Organisationen in der Art von „Golos“ nominieren. Und alles, weil solche unabhängigen Kontrolleure ein großes Dossier von Verstößen und Fälschungen zusammentragen können, was die Ergebnisse der Kremlpartei „Einiges Russland“ in Zweifel zieht. Und natürlich würde dies einen Anlass für die Organisierung von Protesten nach den Wahlen, d. h. eines sattsam bekannten Maidans, den die russischen Herrschenden bereits anderthalb Jahrzehnte fürchten, geben.
Brod bestreitet die Wahrscheinlichkeit der Einführung eines Beobachtungsmonopols, jedoch sei es unschwer zu bemerken, wie der Direktor des Instituts für Globalisierung und sozialen Bewegungen Boris Kagarlizkij unterstrich, dass das politische Feld derzeit aktiv bereinigt werde. Seine Meinung nach laufe alles darauf hinaus, dass man die Beobachter von den Parteien und die Kandidaten gänzlich abschaffen werde. „Dieses Thema diskutieren Experten und Parteivertreter aktiv hinter den Kulissen, obgleich viele weiter an solch ein Anziehen der Daumenschrauben nicht glauben.“ Denn das zunehmende Misstrauen gegenüber den Offiziellen sei nach Aussagen von Kagarlizkij kein Ergebnis der Schwankungen der öffentlichen Meinung, sondern eine Wiederspiegelung der tektonischen Verschiebung im Massenbewusstsein. „Die größte Gefahr für den Kreml stellen nicht die Nicht-System-Oppositionellen (die außerparlamentarischen – Anmerkung der Redaktion) dar, sondern die Millionen Bürger, die vor kurzem noch für die Herrschenden – aufgrund einer Nötigung oder gleichgültig — votiert hatten. Doch jetzt kann die Mehrheit von ihnen darauf eingestellt sein, gegen „Einiges Russland“ und die Kandidaten der Herrschenden zu stimmen“, sagte der Experte der „NG“.
Er verwies darauf, dass eine Vorbereitung zur Veränderung der Regeln für die Wahlbeobachtung die Tatsache belege, dass die Gesellschaftliche Kammer die Rahmen für die Suche nach Rekruten erweitert habe. Während dies früher Mitglieder der Kammern selbst, machttreue Vertreter des gesellschaftlichen Lebens und Studenten gewesen waren, so werden jetzt aktiv Parteivertreter eingeladen. In der Konfiguration des gesamtrussischen Netzes der regionalen gesellschaftlichen Stäbe werden Beobachter von den Parteien nicht nötig sein, denn eine Parteien-Beteiligung wird man durch eine Involvierung deren Vertreter in die Reihen der Beobachter aus den Stäben imitieren. Kagarlizkij vermutete, dass mit der Idee einer Bereinigung irgendwer von den Abgeordneten von „Einiges Russland“ oder den anderen Duma-Parteienauftreten werde, wobei damit argumentiert werde, dass wirklich unabhängige Beobachter und keine von den Parteien engagierte nötig seien.
Dr. sc. jur. Ilja Schablinskij, Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe, räumte solch eine Entwicklung der Ereignisse ein. Freilich bezweifelt er, dass man dies zu den diesjährigen Wahlen organisieren könne. Er bezeichnete die Beobachter von der Gesellschaftlichen Kammer als „Strohmänner“, die lediglich eine Kontrolle imitieren sollen. Kurz gesagt: Man kann vermuten, dass die Offiziellen mit den Wahlbeobachtern entsprechend einem Schema umgehen werden, das mit den Gesellschaftlichen Beobachterkommissionen ausprobiert wurde, indem aus ihnen mit der Zeit die meisten unabhängigen Menschenrechtler herausgedrängt wurden.
Die Soziologin und Leiterin der Pensa-Abteilung der Partei „Gerechtes Russland“, Anna Otschkina, erinnerte die „NG“ daran, dass es um die (Wahl-) Beobachtung immer viele Spekulationen gebe. Unterschiedliche Seiten würden sie für eine Durchsetzung ihrer Ziele nutzen. Unter den Wahl-Kontrolleuren gebe es nicht wenige Statisten. Anzutreffen seien auch Provokateure, deren Aufgabe es sei, einen Skandal zu verursachen und ihn aufzubauschen – entweder für eine De-Legitimierung der Wahlen oder für die informationsseitige Tagesordnung. Ihren Worten zufolge gab es immer und wird es immer diejenigen geben, die entsprechend der sogenannten Mobilisierung, die von den Offiziellen vorgenommen wird, beobachten kommen. In der Regel brauchen sie die Wahlen nur für den Erhalt von gewissen Loyalitätspunkten. Oft wird das Beobachten bei den Wahlen einfach bezahlt. Folglich arbeiten diese Beobachter meistens einfach eine Nummer ab.
Was die Provokateure angehe, so seien die Mini-Spektakel in den Wahllokalen, wie die Expertin anmerkte, eine gängige Praxis geopolitischer Spiele sowohl in Russland als auch im Ausland. Häufiger aber würden die Provokateure doch „innere Aufträge“ – gegen konkrete Konkurrenten oder für eine Ablenkung der Aufmerksamkeit – erfüllen. Nach Meinung von Anna Otschkina seien auch solche Situationen nicht ausgeschlossen, bei denen ein Provokateur dafür gebraucht werde, damit irgendeine konkrete Person zu einem „Helden“ werden können, indem sie selbstlos einen „gemeinen und prinzipienlosen Gegner der Wahlen“ unschädlich macht. Dies seien allgemein bekannte Probleme der Wahlbeobachtung. Sie seien aber, was wichtig sei, für die Reinheit und Ehrlichkeit der jeweiligen konkreten Wahlen wenig gefährlich, wies die Expertin hin. Zur gleichen Zeit gebe es nicht wenige Probleme, von deren Lösung die wahre Ehrlichkeit und Legitimität der Wahlen abhängen würden. Sie würden aber meistens absichtlich außen vor bleiben. „Man hat da jetzt die Schauergeschichte in Umlauf gebracht, dass man die Beobachter von den Parteien und Kandidaten gegen Beobachter von den Gesellschaftlichen Kammern austauschen werde. Meines Erachtens ist dies wenig wahrscheinlich. Dies ist bloß ein erneuter informationsseitiger Testballon, der durch Polittechnologen oder ganz und gar aus den Tiefen des Kremls initiiert wurde. Eine der Aufgabe dieses Testballons ist, den meisten Parteien an den Nerven zu zerren. Das Hauptziel aber ist am wahrscheinlichsten doch die Auslösung eines nachhaltigen Informationsrummels für ein Ablenken von Augen und Ohren von irgendwelchen ernsthafteren Problemen, die nicht unbedingt mit den Wahlen zusammenhängen“, unterstrich Otschkina.
Ihrer Meinung nach bleibe vom Streit um die Wahlbeobachter vor allem die elektronische Fernabstimmung ausgeklammert, da „das Verlorengehen von Datenbanken mit Personenangaben, darunter aus Banken, die Haltung zu diesem Thema wesentlich beeinflusst hat. … Viele sind der Auffassung, dass das Risiko von Fälschungen sehr