Im Internet wird eine Ankündigung des Land- bzw. Semstwo-Kongresses kommunaler Abgeordneter aus dem ganzen Land in Nowgorod verbreitet. Die Initiatoren machen keinen Hehl aus seiner politischen Ausrichtung, wie dies vor dem Forum „Kommunales Russland“ der Fall war, der durch die Polizei wegen der Verbindung mit einer Reihe unerwünschter Organisationen auseinandergejagt wurde. Mit dem neuen Zusammenführen kommunaler Politiker befasst sich ein größerer Kreis der außerparlamentarischen Opposition. Doch wird dies wohl kaum die Offiziellen täuschen. Und folglich wird die Reaktion eine analoge werde. Es wird jedoch scheinbar bereits schwierig werden, den Trend hinsichtlich einer horizontalen Vereinigung örtlicher Abgeordneter zu stoppen. Zumal sich dieser Angelegenheit die verschiedensten Parteien und Bewegungen angenommen haben.
Die Bekanntmachung über den Land- bzw. Semstwo-Kongress wurde sehr frühzeitig veröffentlich, schließlich ist die eigentliche Veranstaltung erst für den 22. und 23. Mai dieses Jahres geplant. (Semstwo bedeutet Landstand oder Landschaftsvertretung und bezeichnete lokale Selbstverwaltungseinheiten auf Kreis- und Gouvernementsebene im Russischen Kaiserreich, die 1864 im Zuge liberaler Reformen unter Zar Alexander II. eingeführt wurden.) Allem nach zu urteilen ist dies getan worden, um rechtzeitig zu verstehen, wie die Haltung seitens der Offiziellen zu dieser Veranstaltung ausfallen wird.
Wenn in der „Hauptstadt der russischen Demokratie“ (Nowgorod, wo Ende des 11. Jahrhunderts eine Selbstverwaltung durch den dortigen Fürsten eingeführt wurde – Anmerkung der Redaktion) begonnen wird, unüberwindliche Behinderungen zu schaffen, kann man den Versuch unternehmen, sich noch irgendwo zusammenzufinden. Denn das Problem besteht darin, dass für den Landkongress gerade das Datum und nicht der Ort eine Schlüsselbedeutung besitzt. Ende Mai ist gerade der unmittelbare Vorabend der Wahlkampagne. Und dem nach zu urteilen, mit was für Worten die Ankündigung des bevorstehenden Zusammentreffens der Lokalpolitiker formuliert worden ist, soll es gerade zu einem politischen Ereignis werden.
„Das autoritäre Regime Putins räumt den Kommunen eine dekorative, wenig bedeutsame Rolle ein. Die Herrschenden fürchten eine Vereinigung der Menschen für die Lösung der ihnen nahestehenden Probleme und versuchen auf jegliche Weise, die örtliche Selbstverwaltung in die staatliche Vertikale einzubauen und sie zu einem Schräubchen des Systems zu machen“, erklärte Anna Tscherepanowa, die Hauptorganisatorin des Kongresses und Chefin der Nowgoroder Regionalabteilung der „Jabloko“-Partei. Die Abgeordnete der Duma von Welikij Nowgorod unterstreicht dabei, dass dies den Herrschenden wohl kaum gelingen werde, solange es in Russland „hunderte unabhängige kommunale Abgeordnete, die ihre Meinung haben und die Interessen der Wähler verteidigen“, gebe.
Ihren Worten zufolge „werden die Delegierten aus vielen Regionen Russlands Probleme der Dezentralisierung der Macht, einer Erhöhung der örtlichen Haushalte sowie der Gewährleistung der Wählbarkeit der Bürgermeister, der Leiter von Kreisen und Siedlungen und der Eigenständigkeit beim Treffen von Entscheidungen sowie der Unabhängigkeit der örtlichen Selbstverwaltung von der Staatsmacht diskutieren“. Diesen Satz kann man noch als eine kurze Darlegung des Kongress-Programms ansehen. Doch dann spricht Tscherepanowa direkt über dessen Charakter mit Blick auf die anstehenden Wahlen im September. „Die lokalen Abgeordneten sind bereit, politische Forderungen zu formulieren und für deren Umsetzung zu kämpfen“, erklärte die „Jabloko“-Vertreterin.
Es bestehen große Zweifel, dass die Offiziellen der außerparlamentarischen Opposition erlauben werden, ungehindert ein horizontales Netz von Gleichgesinnten, um den Wahlkampf effektiver zu koordinieren, zu schaffen. Daraus ergibt sich, dass den Landkongress wahrscheinlich das Schicksal des Forums „Kommunales Russland“ erwartet, das am 13. März in Moskau nur für kurze Zeit zusammengekommen war und dann durch Polizeikräfte auf verschiedene Polizeireviere aufgeteilt worden war. Natürlich ist Anna Tscherepanowa formell nicht mit irgendwelchen unerwünschten Organisationen liiert, doch ihre Hoffnungen, dass „im demokratischen Nowgorod“ alles nicht so werden wird wie im „autoritären Moskau“, sind dennoch vergebens.
Die Offiziellen werden umso mehr ein Zusammenkommen oppositioneller Lokalpolitiker nicht zulassen, da sich dieser Sache jetzt auch alle politischen Kräfte angenommen haben. Vor allem natürlich die regierende Partei „Einiges Russland“, die beabsichtigt, den elektoralen „Boden“ unter ihrer Kontrolle zu behalten. Der regierenden Partei steht auch die Duma-Opposition nicht nach. Die KPRF hat beispielsweisen eine Serie von Seminaren-Beratungen bezüglich der föderalen Bezirke begonnen. Und im Nordwestlichen Föderalen Bezirk zum Beispiel hat die Führung der Linken 10.000 eigene vom Volk gewählte Vertreter gezählt. Somit wird das Ringen um jene, die unmittelbar die Stimmungen der Wähler beeinflussen können, nur noch härter werden.
Derweil lenken Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle das Augenmerk auf die Aktivierung der „Jabloko“-Vertreter in der jüngsten Vergangenheit. „Die Partei „Jabloko“ plant, in der Zeit der Herbst-Wahlkampagne die Zahl ihrer Abteilungen in den Regionen von 650 bis auf 1000 zu erhöhen“, betonen die Autoren des Kanals „Meister“ (https://t.me/maester). „Nach Aussagen des Parteivorsitzenden Nikolaj Rybakow soll es bis Ende der Kampagne mindestens eine „Jabloko“-Vertretung in jeder Stadt des Landes geben. Die Pläne sind zweifellos großangelegte. Es ist jedoch nicht ganz klar, woher „Jabloko“ die Ressourcen für deren Realisierung nehmen wird“.
„Temnik“ (https://t.me/polittemnik) lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass in der Partei „Jabloko“ eine Zunahme der inneren Spannungen möglich sei. „Der Pskower Politiker Lew Schlosberg plant, von der Partei für die Staatsduma-Wahlen in einem Direktwahlbezirk in Moskau aufgestellt zu werden (und gleichzeitig über die föderale Parteiliste). Und in der Heimatregion wird er Platz für einen Kollegen machen… Somit flammt langsam der Herd eines innerparteilichen Konflikts auf“.