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Über die Geschichte mit Zoom, Twitter und die Logik der Einschränkungen in Russland


In der Staatsduma und dem Föderationsrat hat man schnell auf die Mitteilung reagiert, wonach die US-amerikanische Firma Zoom Video Communications ihren Distributoren verboten hat, Produkte an russische Unternehmen und Organisationen mit staatlicher Beteiligung zu verkaufen. Der Staatsduma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin erklärte unter anderem, dass „sich die Richtigkeit der Politik zur Importsubstitution im Software-Bereich bestätigt“ und die nicht die letzte Situation sei, in der die Bürger der Russischen Föderation „mit einer Beeinträchtigung ihrer Rechte seitens ausländischer IT-Unternehmen konfrontiert werden“. Das Mitglied des Ausschusses des Föderationsrates für Verfassungsgesetzgebung, Alexander Bakschin, schloss seinerseits eine Blockierung der Zoom-Services auf dem Territorium Russlands als eine symmetrische Antwort nicht aus.

Es stellte sich aber später heraus, dass Zoom nicht vorhabe, russischen Staatsunternehmen zu verbieten, seine Produkte zu kaufen. Sie können dies unmittelbar über die Internetseite des Unternehmens tun. Wie dem nun auch sein mag: Die Worte der Gesetzgeber sind erklungen und vernommen worden. Und es ist klar geworden, dass die Staatsduma und der Föderationsrat bereit sind, zu jedem Augenblick eine Welle von Restriktionen auszulösen.

Parallel entwickelt sich die Geschichte der schwierigen Beziehungen von Roskomnadzor (Russlands Aufsichtsbehörde für das Internet und Fernmeldewesen – Anmerkung der Redaktion) mit dem Unternehmen Twitter Inc. Die Verlangsamung des Twitter-Traffics in der Russischen Föderation verlängerte man bis Mitte Mai. Dem Unternehmen gibt man damit zusätzliche Zeit für eine Entfernung „unerwünschten Contents“. Die Twitter Inc. Hat man faktisch bereits zu einem „konstruktiven Dialog“ genötigt. Senator Alexej Puschkow erklärte, dass Twitter seiner Meinung nach im Mai die unerwünschten Inhalte (gemäß der russischen Gesetzgebung – Anmerkung der Redaktion) bereits automatisch entfernen könne.

Ende März hat das staatliche Allrussische Meinungsforschungszentrum VTsIOM eine Umfrage durchgeführt, die der Verlangsamung und möglichen Blockierung von Twitter gewidmet war. Diese Schritte unterstützen über 70 Prozent derjenigen, die über die eingeleiteten Maßnahmen informiert waren und „eine Meinung bezüglich deren Gerechtigkeit gewinnen konnten“. Dies ist eine recht bemerkenswerte Methodik. Der Mensch kann sich über alles Mögliche eine Meinung bilden. Aber wie repräsentativ und kompetent ist sie? Die Soziologen aus dem staatlichen VTsIOM hatten bei den Befragten nicht nachgefragt, ob sie Twitter nutzen. Daher ist interessant, welcher Anteil der Nutzer die Blockierung des Messengers unterstützen würde. Und was für ein Prozentsatz der befragten Internetnutzer ist tatsächlich auf Twitter auf Links zu Kinderpornografie, propagandistischen Materialien von Terroristen, Informationen über Suizide, Drogen und Sprengstoffe gestoßen. Es scheint aber, dass die Aufgabe, dies in Erfahrung zu bringen, nicht gestanden hatte.

Die Logik der Annahme jeglicher Kontersanktionen oder Maßnahmen gegen ausländische Unternehmen scheint eine äußerst simple zu sein. In Russland leidet durch Verlangsamungen, Restriktionen, Blockierungen und Importverboten in erster Linie die gebildete Mittelklasse mit entwickelten Verbraucherbedürfnissen. Dies ist nicht das Kernelektorat der Herrschenden. Für letzteres ist gerade das Bestehen einer Auswahl zwischen den IT-Dienstleistungen oder der Zugang zu dem einen oder anderen sozialen Netzwerk nicht von prinzipieller Bedeutung. Und jeder normaler Mensch wird einem Soziologen sagen, dass er gegen das Propagieren von Suiziden und Kinderpornografie ist, das heißt: Er wird die offizielle Begründung jeglicher Blockierung unterstützen. Für jeden Konflikt zwischen der russischen und der westlichen Elite zahlt der private Verbraucher mit seinem Komfort – bei einer Unterstützung der Massen.

Allerdings kommen in diesem System Störfälle vor. Die Geschichte mit der Blockierung von Telegram hatte sie offenbart. Die herrschende Elite kann ihre Entscheidungen mit jeglichen Umfragen flankieren. Und sie selbst besteht in einem erheblichen Maße aus Vertretern der gebildeten Klasse mit den entsprechenden Verbrauchergewohnheiten. Für sie ist es schwer, sich selbst Telegram, Twitter, Zoom, Facebook und vieles andere zu verbieten. Werte für diese Klasse bleiben die Möglichkeit, frei und ungehindert das Produkt ihres Konsums auszuwählen, und der Komfort des eigentlichen Prozesses dieses Konsums.

Senator Bakschin signalisiert die Zulässigkeit „protektionistischer Maßnahmen“ als Antwort auf westliche Sanktionen. Wenn man aber über den IT-Markt spricht, so werden sich eher Phantom-Projekte oder Produkte, die einer realen Konkurrenz nicht standhalten, unter einer Protektion befinden, und überhaupt keine alternativen Angebote hoher Qualität. Der private Verbraucher aber wird es vorziehen, die Blockierungen zu umgehen, um sein normales Leben nicht aufzugeben.

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Am 9. April erklärte derweil die offizielle Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa bei ihrem wöchentlichen Briefing, dass künftig auch die russische Videoplattform RuTube durch das Ministerium genutzt wird, denn Rutube bleibe eine von der Zensur der amerikanischen IT-Monopolisten freie Plattform und sei damit eine Alternative zu den westlichen Video-Hosting-Services.