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Über die Re-Ideologisierung der US-Außenpolitik und nicht nur…


Das Zentrum für perspektivische Forschungen zur nationalen Sicherheit Russlands der Nationalen Forschungsuniversität „Hochschule für Wirtschaftswissenschaften“ und der Russische Rat für internationale Angelegenheiten haben eine Rundtischdiskussion zur Erörterung der Ergebnisse der Gipfeltreffen der G-7, der NATO sowie von EU-USA und Russland-USA unter Vorsitz des Akademiemitglieds der Russischen Akademie der Wissenschaften und ehemaligen Sekretärs des russischen Sicherheitsrates Andrej Kokoschin veranstaltet.

Zu den Ergebnissen des russisch-amerikanischen Gipfeltreffens trat Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow auf.

An der Rundtischdiskussion beteiligten sich angesehene einheimische zivile und Militärwissenschaftler und -experten. Unter anderem Juri Balujewskij, Wladimir Bartenjew, Jewgenij Buschinskij, Michail Gusman, Dmitrij Danilow, Viktor Jessin, Sergej Karaganow, Andrej Kortunow, Konstantin Remtschukow und Sergej Rogow. Überdies waren Vertreter aus dem Apparat des russischen Sicherheitsrates, der Verwaltung für Außenpolitik des Präsidenten der Russischen Föderation, des russischen Verteidigungsministeriums (vom Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation sowie Mitglieder des Föderationsrates (des Oberhauses des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) anwesend.

Die Experten betonten, dass bei den Treffen in der Grafschaft Cornwall und in Brüssel der sich früher abgezeichnete Trend zur Re-Ideologisierung der Außenpolitik der USA und die Verlagerung der Akzente auf eine Auseinandersetzung von „Demokratien“ und „Autokratien“ eine Untermauerung erhalten habe. Dies sei eine durchdachte langfristige Strategie der Vereinigten Staaten, die dazu berufen sei, die Staaten zu konsolidieren, die bereit sind, solch eine binäre Sichtweise des entstehenden Systems der Weltpolitik zu unterstützen. Im Verlauf der Rundtischdiskussion wurde betont, dass sich die Möglichkeiten für solch eine Konsolidierung seitens der USA und deren nächsten Verbündeten als beschränkte erweisen könnten.

Diese strategische Grundeinstellung habe ihre reale Umsetzung unter anderem beim NATO-Summit gefunden. Zu dessen Hauptziel sei eine Demonstration der Widerherstellung der „transatlantischen Einheit“ und der Aufgabe der „kommerziellen“ Herangehensweise von Donald Trump an die NATO geworden. Diskutiert wurden die Konturen der neuen strategischen NATO-Konzeption, die man beim nächsten Gipfeltreffen der Allianz im Jahr 2022 in Spanien verabschieden will, und der Perspektiven für die Beziehungen der NATO mit der Russischen Föderation und der Volksrepublik China.

Die Experten lenkten das Augenmerk auf die Orientiertheit der Administration von Joseph Biden auf die Abhaltung eines Gipfeltreffens der Demokratien (bis Ende dieses Jahres), die in der Erklärung zu den Ergebnissen des USA-EU-Gipfels ihren Niederschlag gefunden hatte.

Betont wurde, dass die erste Auslandstournee von Joseph Biden als US-Präsident eine bestimmte Evolution seiner außenpolitischen Einstellungen widergespiegelt hätte. Zum Zeitpunkt seines Machtantritts hatte Biden vorgehabt, seine außenpolitische Strategie um drei Schlüsselthemen – um das Coronavirus, das Klima und China – zu gestalten. In den letzten Monaten hätten sich jedoch Anzeichen für das Aufbauen einer bestimmten Hierarchie von Prioritäten in diesem Dreieck abgezeichnet.

Unter anderem habe in der Richtung des Kampfes gegen die Klimaveränderungen Joseph Biden allmählich begonnen, etwas zurückzugehen. Die Position, die anfangs auf einer harten Kritik an D. Trump und der Übernahme von Elementen des Klima-Programms von Bernie Sanders und dessen Anhängern basierte, beginne, einer Korrektur ausgesetzt zu werden. Darunter verändere sich die Haltung zu den Schiefer-Kohlenwasserstoffen.

Es gebe alle Gründe zur Annahme, dass die USA bei der Realisierung der Klima-Tagesordnung eher in der Rolle eines angeführten auftreten würden, während die Führungsrolle den europäischen Ländern und teilweise den Verbündeten der USA in Ostasien zufallen werde.

Das Thema der Konkurrenz mit China sei dagegen in den Vordergrund getreten. Die Tournee von Joseph Biden habe in vollem Maße den hohen Grad der Konzentriertheit Washingtons auf eine Auseinandersetzung mit der Volksrepublik China demonstriert. Hervorgehoben wurde, dass bei den Gipfeltreffen der G-7, der NATO sowie von USA und EU noch nie so detailliert und in solchen Tönen über China gesprochen worden sei.

In das Kommuniqué des G-7-Summits wurde beispielsweise neben der Bekundung der Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China beim Kampf gegen die Klimaveränderung und gegen eine Verringerung der biologischen Vielfalt eine scharfe Kritik an China hinsichtlich der Probleme mit den Menschenrechten in Xinjiang und Hongkong aufgenommen. In Peking werde dies begründet recht negativ wahrgenommen.

Im Text der Deklaration des Brüsseler NATO-Gipfels dieses Jahres wird China ganze 10mal erwähnt (während es vor zwei Jahren lediglich einmal erwähnt wurde). Dabei wird die Volksrepublik China erstmals der Verfolgung einer Politik, die den Prinzipien des Washingtoner Vertrages von 1949 widerspricht, einer schnellen und undurchsichtigen Aufstockung des Kernarsenals, einer Verschmelzung des zivilen und des militärischen Sektors, der Durchführung gemeinsamer Militärmanöver mit Russland usw. bezichtigt.

In den Materialien des USA-EU-Gipfels seien die Absichten skizziert worden, sich bei der Realisierung ähnlicher, viele Maßnahmen umfassender Vorgehensweisen gegenüber China, die Elemente einer Zusammenarbeit, Konkurrenz und „systematischen Rivalität“ (systemic rivalry) verbinden, eng zu konsultieren und zusammenzuarbeiten. Sie würden solche inneren Probleme der Volksrepublik China wie das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang, Tibet, Hongkong, die Situation im Südchinesischen und im Ostchinesischen Meer und natürlich auch das „Taiwan“-Problem hervorheben, wobei sie China der angeblichen Verfolgung einer Politik des ökonomischen Zwangs und von desinformierenden Kampagnen bezichtigen würden.

Eine offenkundige antichinesische (und antirussische) Ausrichtung könne man auch in einer der praktischen Schlüsselentscheidungen des USA-EU-Gipfels ausmachen – über die Bildung eines Amerikanisch-Europäischen Rates für Handel und Technologien, der sich augenscheinlich aktiv mit Fragen einer Verschärfung der Kontrolle der Übergabe von Technologien befassen werde.

Wie einige Reihe von Experten betonten, sei es nicht gelungen, eine vollkommene Mobilisierung Europa für einen Kampf gegen China im Verlauf der entsprechenden Begegnungen mit dem amerikanischen Staatsoberhaupt zu erreichen. Für die europäischen NATO-Mitgliedsländer sei es weitaus gewohnter, bequemer und billiger, sich Russland und nicht der Volksrepublik China entgegenzustellen (gerade die „aggressiven Handlungen“ der Russischen Föderation werden in der Brüsseler Deklaration als Bedrohung Nr. 1 angesehen). Die Rede war davon, dass es ein Interesse für eine Aktivierung der Anstrengungen in der Indo-Pazifischen Region gebe. Vom Wesen her aber nur seitens Frankreichs und Großbritanniens.

Eine Reihe von Experten lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass es beim NATO-Gipfel den USA gelungen sei, in die Abschlussdeklaration eine Aufnahme auch von Punkten über eine Gleichstellung von Zwischenfällen im Kosmos und im kybernetischen Raum mit Akten eines bewaffneten Überfalls zu erreichen, die eine Anwendung des Artikels 5 des Washingtoner Vertrags von 1949 erfordern. Dabei war davon die Rede, dass ein aufmerksames Lesen dieses Artikels erlauben würde, das Ausbleiben eines Automatismus bei der Annahme von Entscheidungen zu solcher Art von militärpolitischen Fragen durch die NATO zu vermuten.

Beim Gipfel Russische Föderation – USA hätten die Seiten die Bereitschaft bekundet, wobei sie die objektiv bestehende „Werte-Kluft“ eingestanden, Wege für eine Lösung der Probleme zu suchen, die von gegenseitigem Interesse seien. Betont wurde, dass der Gipfel in Genf in einer maximal sachlichen, bodenständigen und gegenstandsbezogenen Atmosphäre verlaufen sei. Zur gleichen Zeit mache es wohl keinen Sinn, einen raschen Fortschritt in jener dieser Richtungen zu erwarten.

Washington habe letzten Ende dem Vorschlag Moskaus zugestimmt, eine gemeinsame Erklärung über die strategische Stabilität abzugeben, wobei sie die klassische Formel bestätigt hätten, dass es in einem Nuklearkrieg keine Sieger geben könne und dass er niemals entfesselt werden dürfe. Die Experten betonten, dass die Administration von D. Trump es konsequent abgelehnt hätte, solch eine Erklärung zu verabschieden. Festgeschrieben worden sei die Idee, einen professionellen Dialog zur Problematik der strategischen Stabilität aufzunehmen. Wobei es in dieser Etappe gerade um einen Dialog und nicht um Verhandlungen gehe.

Gewisse Aufmerksamkeit sei bei dem Gipfel Russlands und der USA dem recht aktuellen Problem der Cybersicherheit geschenkt worden. Dieses Thema werde auch zum Gegenstand eines speziellen Dialogs zwischen der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten.

Die Experten verwiesen auf den hohen Grad der militärpolitischen Aktivitäten der USA und deren Verbündeten in der Nähe der Grenzen Russlands sowie auf den gefährlichen, destabilisierenden Charakter dieser Tätigkeit.

Gesprochen wurde vom Streben Washingtons, die Intensität der Konfrontation mit Russland (und China) im „Graubereich“, unter Verwendung eines vorrangig breiten Spektrums nichtmilitärischer Mittel zu verstärken, ohne dabei die Sache bis zu einem direkten Einsatz militärischer Stärke zu bringen. Betont wurde, dass ein direkter Einsatz militärischer Gewalt durch die USA und deren Verbündeten gegen Russland generelle katastrophale Folgen haben könne, was in den westlichen Hauptstädten begriffen werde.

Durch Akademiemitglied Sergej Rogow wurden im Verlauf der Rundtischdiskussion eine Reihe analytischer Ansätze vorgestellt, die die konventionellen Kräfte und konventionellen Waffen (unter anderem hochpräzise weitreichende Waffen) und die nichtstrategischen Kernwaffen der sich gegenüberstehenden Seiten betreffen.

Unterstrichen wurde, dass die USA und andere westliche Länder ihre Anstrengungen im postsowjetischen Raum forcieren würden, die gegen die Interessen Russlands gerichtet seien. Die Administration von Joseph Biden sei darauf aus, die Hilfe für viele Länder des postsowjetischen Raums – oft um ein Mehrfaches – zu erweitern. In absoluten Zahlen werde sich am stärksten die Hilfe für die Ukraine, Georgien, Moldawien und Armenien erweitern. Forciert werde auch die Hilfe für die Länder Zentralasiens, was unter anderem mit der Entwicklung der Situation in der afghanischen Richtung zusammenhänge.

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Im Verlauf der Rundtischdiskussion wurde betont, dass besondere Aufmerksamkeit die gefährlichen und provokanten Handlungen der USA und deren NATO-Verbündeten in der ukrainischen Richtung verdienen würden. Beachtung errege das, dass im Kommuniqué zu den Ergebnissen des Brüsseler NATO-Gipfels der Ukraine (wie auch Georgien recht viel Aufmerksamkeit gewidmet worden sei. Gleichzeitig werde in diesem Dokument parallel die Notwendigkeit der Durchführung von Reformen durch Kiew, der Einhaltung der Kriterien für die Mitgliedschaft, der Intensivierung der Korruptionsbekämpfung usw. akzentuiert. Unterstrichen wurde, dass solche Formulierungen recht allgemeine seien und sie bereits früher in unterschiedlichen Erklärungen und Dokumenten wiederholt worden seien.

Eine Reihe von Experten lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass in Brüssel keinerlei „Roadmap“ für einen Beitritt der Ukraine zur Allianz mit darin klar abgesteckten Etappen und Fristen, was die gegenwärtigen ukrainischen Offiziellen zu erreichen suchen würden, angenommen worden sei.

Dies wird durch eine Reihe von Experten mit dem anhaltenden Widerstand der entscheidenden europäischen Staaten Frankreich und der BRD begründet, deren Linie gegen eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine auch in der Zukunft bewahrt werden könne, darunter nach den anstehenden Bundestagswahlen in Deutschland. Augenscheinlich ist für eine Reihe führender Länder Europas die Aufnahme der Ukraine in die NATO das „Überschreiten einer roten Linie“, die reliefartig durch Russlands Führung aufgezeigt worden war, die (die Aufnahme in die NATO – Anmerkung der Redaktion) auf ernsthafteste Art und Weise die grundlegenden Interessen der europäischen Sicherheit bedroht.

Im Arsenal der Vereinigten Staaten und deren Verbündeten gebe es auch andere Instrumente für eine Beeinflussung der Situation. Dies seien sowohl die Verstärkung von Waffenlieferungen in die Ukraine als auch eine Aktivierung der Umschulung der Streitkräfte der Ukraine und die Gewährung des Status eines „Hauptverbündeten außerhalb der NATO“ durch die Vereinigten Staaten für Kiew. Die Verleihung dieses Status gebe Grundlagen, um vergünstigte Lieferungen amerikanischer Waffen aus den Reserven in die entsprechenden Länder vorzunehmen, auf deren Territorium Depots mit amerikanischen Waffen und Technik einzurichten, sie in die Vornahme gemeinsamer Forschungs-, Entwicklungs- sowie Versuchs- und Konstruktionsarbeiten für Verteidigungszwecke einzubeziehen u. a.

Bei der Rundtischdiskussion hieß es, dass sich die Werchowna Rada (das ukrainische Parlament – Anmerkung der Redaktion) seinerzeit, im Jahr 2017 an die USA mit der Bitte um die Verleihung dieses Status an die Ukraine gewandt hätte. Dieses Thema hatte aber damals keine Entwicklung erfahren. Die Administration von Donald Trump hatte lediglich Brasilien in die Zahl der „Hauptverbündeten der USA außerhalb der NATO“ aufgenommen. Das ukrainische Parlament bereite sich vor, im Herbst erneut eine derartige Bitte nach Washington zu senden.

Unterstrichen wurde, dass im US-Kongress zum gegenwärtigen Zeitpunkt die antirussischen und proukrainischen Stimmungen recht stark seien. In diesem Zusammenhang sei besondere Aufmerksamkeit auf diese Gesetzesvorlage über die Zusammenarbeit mit der Ukraine auf dem Gebiet der Sicherheit zu lenken, die vor dem Hintergrund der Eskalation der Spannungen in der Ukraine im Senat eingebracht worden war und bereits den Ausschuss für internationale Beziehungen durchlaufen hat. Obgleich direkt von keiner Verleihung des Status eines „Hauptverbündeten außerhalb der NATO“ in ihr die Rede sei, sei anzunehmen, die Ukraine gerade mit einigen wichtigeren Privilegien auszustatten.

All dies trage, wie durch die Experten betont wurde, einen destabilisierenden Charakter, der nicht den Interessen einer friedlichen Lösung der Probleme in dieser Richtung entspreche. Durch die Experten wurde unter anderem darüber gesprochen, dass die verschiedenartige militärische Hilfe seitens der USA und anderer NATO-Mitglieder eine erhöhte militärische Aktivität der ukrainischen Offiziellen stimulieren könne, bis hin zu einer großangelegten Anwendung militärischer Gewalt gegen die international nichtanerkannten Gebiete „Donezker Volksrepublik“ und „Lugansker Volksrepublik“. Erwähnt wurde die ähnliche Situation von 2008, als das Saakashvili-Regime beschlossen hatte, eine Aggression gegen Südossetien und die sich dort befindlichen russischen Blauhelm-Truppen vorzunehmen. Diesem Schritt war eine recht umfangreiche militärische Hilfe der Vereinigten Staaten für Georgien vorausgegangen, die in Tbilissi die Empfindung einer vollkommenen Unterstützung seiner gewaltsamen Handlungen durch Washington ausgelöst hatte. Bekannt ist, dass dies zu einer russischen Operation zur Nötigung Georgiens zum Frieden und praktisch zu einer vollständigen und schnellen Zerschlagung der georgischen Militärformationen, die in Vielem durch US-amerikanische Berater und Instrukteure ausgebildet worden waren, führte. (Bekannt ist aber auch, dass Russland damals, vor Beginn dieses Konfliktes die Einwohner Südossetiens mit russischen Pässen ausgestattet hatte und so erklären konnte, dass es auch seine Bürger schütze. – Anmerkung der Redaktion)