Die KPRF veranstaltete am 23. September eine gesamtrussische Beratung des Parteiaktivs, um eine Zunahme der Unterstützung seitens der Wähler unter den Bedingungen von schwierigeren Wahlen als zuvor zu konstatieren. Eine Reihe von Gebietskomitees und einzelne Kandidaten erklärten noch ihre Nichtanerkennung der Ergebnisse aufgrund von Fälschungen. Die Parteimedien zeigen jedoch bereits das Bild der Wiederherstellung eines mächtigen „roten Gürtels“ im Land. Solch eine Schlussfolgerung wird freilich auf der Grundlage punktueller Siege der Linke, darunter auf der Ebene von Subjekten der Russischen Föderation und von Kommunen gezogen. Insgesamt ist die Kommunistische Partei hinsichtlich der Anzahl der Abgeordneten in der Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – die Redaktion) in das Jahr 2007 zurückgekehrt. Experten sind der Auffassung, dass man derzeit lediglich vom Beginn der Gestaltung eines Netzes „roter“ Regionen sprechen könne, dessen seltene Fragmente bisher mehr an eine „Milchstraße“ erinnern würden.
Die Tagung des Parteiaktivs erfolgte als eine Videokonferenz unter Leitung von KPRF-Chef Gennadij Sjuganow. Er gab den Wahlen eine allgemein-politische Bewertung, wobei er darauf verwies, dass es mehr Mandate hätte geben können. Er betonte aber die gute Arbeit der Parteiorganisationen. Der 1. Stellvertreter des Parteivorsitzenden Iwan Melnikow legte Bericht über die Erfolge vor Ort ab. Regionale Organisationen berichteten aber über Verstöße und Fälschungen und auch über nach ihrer Meinung gestohlener Mandate. Sjuganow ordnete an, sich an Gerichte zu wenden. Dies sollen die Kandidaten sowohl für die Staatsduma als auch für die gesetzgebenden Versammlungen (Regionalparlamente) und Stadträte tun, die bei den jüngsten Wahlen verloren hatten. Der Leiter des juristischen Dienstes der KPRF Wadim Solowjow erläuterte der „NG“: „Es herrschte die Empfindung, dass die jetzigen Wahlen für die Partei weitaus schwerer als alle bisherigen Duma-(Wahl-) Kampagnen waren – aufgrund der dreitägigen Abstimmung und solcher Neuerungen wie die elektronische Abstimmung.
Und es hat auch einen beispiellosen administrativen Druck gegeben, was es früher auf föderaler Ebene nie gegeben hatte. Es war schwerer, eine Kontrolle zu gewährleisten. Daher haben wir, auch wenn wir das Ergebnis erhöhten, gleichfalls Vieles verloren“.
Er betonte, dass die Kandidaten für ein Anfechten der Ergebnisse vor Gericht und das Zurückholen von Mandaten drei Monate ab dem Zeitpunkt der Bilanzierung der Wahlen hätten. Und hinsichtlich der generellen Verstöße ohne den Anspruch auf eine Annullierung des Ergebnisses – ein Jahr. Nach dem Empfinden von Solowjow könne die KPRF mehrere dutzend Klagen aufgrund von Verstößen bei den Wahlen unterschiedlicher Ebene, von den föderalen bis zu den regionalen und kommunalen, einreichen. Beispielsweise deutete das Mitglied des ZK-Präsidiums Nikolaj Kolomeizew an, dass es allein im Verwaltungsgebiet Rostow 50 mögliche Gerichtsfälle in Bezug auf betroffene Kandidaten der KPRF gebe. Das Einreichen von Klagen hatten aber auch Kandidaten angedeutet, die in Moskau in Direktwahlbezirken angetreten waren. Und nach Behinderungen durch die hauptstädtische Polizei wurden letztlich rund 30 Klagen gegen die Wahlergebnisse in Moskau eingereicht.
Der Leiter des analytischen Dienstes der KPRF Sergej Obuchow sagte der „NG“, dass die Partei nicht einfach vielerorts mit ihrem Ergebnis praktisch mit „Einiges Russland“ gleichgezogen sei. Die Kommunisten „haben sie das erste Mal in der Geschichte bei den Duma-Wahlen in einzelnen Regionen besiegt“. Nach seinen Worten „hatte man anfänglich angenommen, als man begonnen hatte, die Ergebnisse für den Fernen Osten zu ermitteln, dass wir 92 Mandate in der Staatsduma bekommen. Dann aber kamen totale Verstöße in den elektoralen Sultanaten, bei der elektronischen Abstimmung usw.“. Obuchow besteht darauf, dass der Anspruch auf die Bildung eines neuen „roten Gürtels“ formuliert worden sei. Dies sei geschehen, da sich die Stimmungen der Wähler geändert hätten. Und die Herrschenden hätten die Wahlen insgesamt, merkte er an, nur unter Ausnutzung von drei Instrumenten gewinnen können – das Einschüchtern, die Korruption und die Fähigkeit „zu malen“. „Auf jeden Fall aber hat die KPRF den Einfluss im Land ausgedehnt und eine reale Unterstützung gezeigt“, sagte Obuchow gegenüber der „NG“.
Es sei daran erinnert, dass die KPRF bei den Wahlen zur Staatsduma in vier Regionen gewann. In der Verwaltungsregion Chabarowsk unterstützten sie 26,51 Prozent der Wähler, die Kremlpartei „Einiges Russland“ – 24,51 Prozent. In der Republik Mari El erhielt die KPRF 36,3 Prozent, „Einiges Russland“ – 33,43 Prozent. Im Autonomen Bezirk der Nenzen sah das Verhältnis so aus: 31,98 Prozent gegenüber 29,09 Prozent. In Jakutien zeigten die Kommunisten ein Ergebnis von 35,15 Prozent. Die Vertreter von „Einiges Russland“ blieben mit 33,22 Prozent auf Platz 2. Die Linken haben durch die Direktwahlbezirke neun Sitze in der Staatsduma erhalten.
Es sei angemerkt, dass das diesjährige Ergebnis der KPRF für sie das beste seit 2011, als entsprechend den Parteilisten 19,19 Prozent der Stimmen errungen wurden, war. Freilich hatte sich dies damals in 92 Duma-Sitze konvertiert. Mehr hatten die Linken nur in den 1990er Jahren errungen: 113 im Jahr 1999 und 157 im Jahr 1995. Folglich ist die KPRF jetzt hinsichtlich der Anzahl der föderalen Abgeordneten zum Ergebnis der Duma-Wahlen von 2007 zurückgekehrt. Damals hatte es 57 Sitze gegeben. Nunmehr aber rühmen sich die gut entwickelten Partei-Medien auch noch der Ergebnisse bei den Regional- und Kommunalwahlen. Beispielsweise sind die Kommunalwahlen in Belogorsk des Amur-Verwaltungsgebietes als ein „sensationeller Sieg“ bezeichnet worden. Tatsächlich aber sind dies nur 15 von 28 Mandaten. Bei der Abstimmung für die Staatsduma aber siegte in dieser Region natürlich „Einiges Russland“ mit 34,32 Prozent (die KPRF kam auf 26,55 Prozent). Dies ist jedoch eine generelle Methode, um lediglich die eigenen Errungenschaften zu unterstreichen. In Kalmykien beispielsweise lagen die Vertreter von „Einiges Russland“ auch auf Platz 1. Aber man konnte bekanntgeben, dass die Kommunisten in der Hauptstadt dieser russischen Teilrepublik – in Elista – gesiegt hatten.
Kurzum, bisher wird es in keiner Weise nichts mit einem realen „roten Gürtel“, obgleich natürlich ein gewisser Trend und einzelne Fragmente für ein neues Netz „roter“ Regionen bemerkbar sind. Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow erläuterte der „NG“, dass, da die KPRF die markanteste oppositionelle Partei sei, die Einwohner gerade ihr gesetzmäßig ihre Stimmen gegeben hätten, die den regionalen und föderalen Offiziellen aufgrund der einen oder anderen Ursachen nicht vertrauen würden. Der Experte zweifelt aber daran, dass sich bereits ein neuer „roter Gürtel“ herausbilde. „Ein Gürtel muss ein durchgängiger sei. Hier aber gibt es eher rote Sterne, das heißt solch eine „Milchstraße“. Die überschwängliche Jubelposition der KPRF, dies ist eine Fortsetzung der Informationskampagne der Wahlen, das Erklären von Siegen vor dem eigenen Elektorat. Diese Siege erfolgten aber dank einer wesentlichen Zunahme des situativen oppositionellen, aber in keiner Weise des ideologischen Elektorats“. Da die KPRF keine Zuspitzung der Beziehungen mit den Herrschenden möchte, werde sich wohl auch der „rote Gürtel“ tatsächlich nicht erweitern, meint der Experte. Und allem nach zu urteilen, werde die KPRF sich nicht beeilen, zu einem Trigger von Protesten zu werden, und möchte keine Organisierung eines zweiten Bolotnaja (-Platzes), wie dies das generelle Protestelektorat möchte, „das auch den sensationellen Siegen geholfen hatte. Und daher wird die Partei versuchen, die Wähler auf ein Zukunftsbild umzulenken“.
Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, merkte an, dass denn „die Hoffnungen der Kommunisten durchaus berechtigt sind. Ein neuer „roter Gürtel“ bilden sich wirklich heraus. Nur verlagert er sich aus dem mittleren Teil der Russischen Föderation in den Osten des Landes“. Der Experte erläuterte, dass dies aufgrund dessen erfolgte, dass auch früher die Protestregionen des Landes, die die LDPR unterstützt hatten, zur KPRF gewechselt seien. Daher würden sich auch die Wahlergebnisse, die aus dem Fernen Osten kamen, von den Durchschnittsergebnissen für das Land unterscheiden. Makarkin unterstrich gleichfalls, dass sich die zugespitzten lokalen Probleme auf den Unmut der Bevölkerung über die föderalen Behörden gelegt hätten, die den Einwohnern in keiner Weise helfen, sondern im Gegenteil oft nach Meinung der Einheimischen die Lage verschlimmern würden. „In der Regel vertraut das Volk im Landesosten nicht den Herrschenden. Und die Geschichte der Proteste gegen die (COVID-) Vakzinierung ist in der ganzen Welt eine gegen die Elite gerichtete. Ja, und da hat es sich ergeben, dass die LDPR das Hauptelektorat in ihren Regionen verloren hat. Die Menschen konnten ihr nicht die Unterstützung der Eliten in solch einer Frage verzeihen. Daher haben die KPRF und teilweise „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ diese Tagesordnung ausgenutzt und die einstigen Stimmen der Schirinowskij-Wähler erhalten. Mit der KPRF aber assoziieren die Wähler deutlich eine oppositionelle, gegen die Herrschenden auftretende Kraft, die überdies die populistische Rhetorik, die vielen Wählern so nahe ist, verstärkt hatte. Und hinsichtlich ihres Populismus begann die KPRF, die LDPR zu überholen. Doch bei alle dem verwandelt sich die Unzufriedenheit, die es nicht nur im Landesosten gibt, nicht zu einem „roten“ Gürtel. Dies sind wirklich eher vereinzelte rote Einsprengsel, deren Anzahl zugenommen hat“. Weiter könnten zugunsten der KPRF solche Faktoren wirken: die Wirtschaftskrise, die Situation um die (Corona-) Pandemie und die Restriktionen, aber auch die Politik der Steuerung der Regionen aus dem Zentrum. „Da die Menschen unzufrieden mit den föderalen Offiziellen sein werden, kann die KPRF durchaus anstreben, zu einem Protestmagnet zu werden“, unterstrich der Experte.
Die Diskussion beobachten auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle. „Das von der Regierung der Russischen Föderation geplante Abzapfen einer besonders großen Steuersumme von den Metallurgie-Unternehmen geht mit sozialen Erschütterungen im ganzen Land schwanger“, vermutet der Telegram-Kanal „Boilernaja“ („Kesselhaus“, https://t.me/boilerroomchannel). „Auf dieses offenkundige Risiko weist die (Staats-) Beamten die Branchengewerkschaft hin, die einen Appell an das Weiße Haus (der Sitz der russischen Regierung in Moskau – Anmerkung der Redaktion) richtete, den man passender als Aufschrei der Verzweiflung bezeichnen kann. Die Regierung sieht scheinbar in den Metallurgen jene Goldader, die zu einer Quelle von Einnahmen recht ernsthafter Mittel in die Staatskasse werden kann. Nicht umsonst plant das Kabinett, Akzisen auf Stahl einzuführen und die Steuern für die Nutzung von Naturressourcen für die Branche aufs Neue zu berechnen. Die angenommene Höhe eben jener abzuzapfenden Steuersumme wird rund 160 Milliarden Rubel ausmachen“.