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Die NATO wird kollektiv das „Putin-Ultimatum“ erörtern


Die NATO werde in den kommenden Tagen die russischen Vorschläge zu Sicherheitsgarantien erörtern. Dies teilte Deutschlands neue Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) mit. Obgleich sich insgesamt die Reaktion auf die russischen Vorschläge als eine kritische erwiesen hat, ist bemerkenswert, dass sie weder die USA noch die entscheidenden europäischen Verbündeten Washingtons nicht von vornherein zurückgewiesen haben.

Die am 17. Dezember von Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow vorgestellten russischen Vorschläge zu Sicherheitsfragen, aber auch die zwei Dokumentenentwürfe, die der Kreml zu unterschreiben vorschlägt, werden im Westen aktiv kommentiert. Insgesamt wird die größte Aufmerksamkeit einigen Aspekten des „Putin-Ultimatums“, wie das US-amerikanische konservative und moskaufreundliche Magazins „The National Interest“ die Worte des stellvertretenden Ministers bezeichnete, gewidmet.

Russland ist in der Rolle des Erbens der UdSSR, der zweiten Supermacht, aufgetreten, das sich für berechtigt hält, dem Westen gleichberechtigte Deals vorzuschlagen. Aufmerksamkeit erregt das, dass es in den russischen Vorschlägen nur einen Verweis auf einen Vertrag gibt, der von der Russischen Föderation abgeschlossen wurde. Es handelt sich um die Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation, die 1997 unterzeichnet wurde, noch vor der Erweiterung des Nordatlantikpaktes durch das Baltikum und ehemalige Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages. Rjabkow rief auf, zu ihren Bestimmungen zurückzukehren. Die übrigen Verträge, die sowohl in seinem Auftritt als auch in den Entwürfen der von ihm vorgestellten Dokumente vorkamen, wurden zu Zeiten der UdSSR abgeschlossen. Wobei Russland Vereinbarungen nicht mit der NATO, sondern mit den USA vorschlägt. Dies mache sie für Washington zu unannehmbaren, erklärte die Pressesprecherin des Weißen Hauses Jen Psaki.

„Es werden keine Verhandlungen zur europäischen Sicherheit stattfinden, wenn unsere europäischen Verbündeten und Partner bei ihnen nicht vertreten sein werden“, unterstrich sie. Doch die eigentliche Möglichkeit einer Erörterung der russischen Vorschläge wird vom Weißen Haus nicht verworfen. „Wir sind vom Prinzip her zu einem Dialog bereit. Jetzt hat Russland seine Befürchtungen hinsichtlich der Handlungen von Amerika und der NATO dargelegt. Wir haben vor, unsere Befürchtungen darzulegen“, erklärte der nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan.

Bei den Initiativen der Russischen Föderation vom vergangenen Freitag beeindruckte gleichfalls das, dass Moskau in der amerikanisch-chinesischen Auseinandersetzung bereit ist, auf der Seite Pekings aufzutreten. Schließlich würde das Auftauchen US-amerikanischer Raketen in der asiatisch-pazifischen Region (eine offenkundig antichinesische Maßnahme) eine Veränderung der Haltung Moskaus bezüglich der Stationierung von Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite nach sich ziehen, wie Rjabkow unterstrich. Wo Russland in diesem Fall seine Raketenwaffen stationieren werde, hat der stellvertretende Außenminister nicht gesagt.

Und natürlich hat der entscheidende Punkt der russischen Vorschläge – über eine Nichterweiterung der NATO gen Osten und das Zurückziehen der entsprechenden Zusagen, die beim Bukarester Gipfel von 2008 der Ukraine und Georgien gegeben worden waren. Die bereits erwähnte deutsche Ministerin Lambrecht wiederholte bei ihrem Litauen-Besuch das, was offizielle Vertreter unterschiedlichen Ranges im Westen mehrfach wiederholt hatten: „Wir müssen klar zu verstehen geben, dass Russland kein Recht hat, den NATO-Partnern zu sagen, wie sie sich zu verhalten haben. Diese Frage ist überhaupt kein Diskussionsgegenstand“, sagte sie, wobei sie daran erinnerte, dass das Thema der Verhängung neuer Sanktionen gegen die Russische Föderation im Falle deren Einmarsch auf ukrainisches Territorium keiner von der Agenda genommen hätte. Die eigentliche Tatsache der Notwendigkeit von Verhandlungen (in ihrer Terminologie – Konsultation) hat Christine Lambrecht nicht angefochten. Für einen „offenen und direkten Dialog mit der russischen Seite“, hat sich auch Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly in einem Interview für die Zeitung „Journal du Dimanche“ ausgesprochen.

Wladimir Wassiljew, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des USA- und Kanada-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, äußerte in einem Gespräch mit der „NG“ die Vermutung, dass ungeachtet der Versicherungen Rjabkows über das Gegenteil die russischen Vorschläge nicht darauf abzielen würden, dass man sie insgesamt annehmen werde. Wie der Experte meint, gebe es in ihnen ein Maximal-Programm und ein minimales Programm. Das zweite – so Wassiljew – umfasse wahrscheinlich das Ziel, eine Nichtstationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa zu erreichen. „Natürlich wird sich keiner anschicken vorauszusagen, womit der russisch-amerikanische Dialog ausgehen wird. Doch sowohl der Kreml als auch das Weiße Haus sind auf ihre Art und Weise an ihm interessiert“, meint der Experte. Das Interesse von Joseph Biden bestehe beispielsweise darin, seinen Opponenten aus den Reihen der Republikaner zu demonstrieren, dass man unter den Bedingungen von Verhandlungen, bei denen es um einen Krieg gehen könne, die Administration des Weißen Hauses nicht erschüttern und dem Präsidenten nicht mit einem Impeachment drohen dürfe.