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Die Bühne des ESC-Finales wurde für Kiew zu einer Informationsfront


Die ukrainische Band „Kalush Orchestra“, die im Finale des Eurovision Song Contests in der Nacht zum Sonntag dank der Zuschauerstimmen den Sieg errungen hat, rief nach ihrem Auftritt von der Bühne in Turin auf, die ukrainischen Militärs in „Asowstahl“ in Mariupol zu unterstützen. Dieser Appell reagiert auf die Erklärungen der Kandidatin für das Amt des US-Botschafters in Kiew Bridget A. Brink, wonach mehr Kreativität im Informationskrieg in der ukrainischen Richtung demonstriert werden müsste.

Die ukrainische Rap-Folk-Band „Kalush Orchestra“, die nach den Abstimmungen durch die nationalen Fachjurys noch auf dem 4. Platz im ESC-Finale mit dem Song „Stefania“ rangierte, ist letztlich aber — auch entsprechend den Prognosen der Buchmacher – auf den Siegerplatz kommen, da ein Großteil der fast 200 Millionen Zuschauer gerade für die Jungs um Sänger Oleh Psjuk gestimmt hatte. Sie hatte nicht gestört, dass er nach dem Auftritt mit dem Appell „Please help Ukraine, Mariupol, help Asovstal – right now!“ („Bitte, helft der Ukraine, Mariupol, helft Asowstahl – eben jetzt!“) aufgetreten war. Allerdings bezeichnete ein Sprecher der European Broadcasting Union, die den Wettbewerb zum 66. Mal ausgerichtet hatte, diesen Aufruf als eine humanitäre Geste.

Obgleich durch die Regeln des Wettbewerbs verboten ist, die Show für politische Statements zu nutzen. Derjenige, der diese verletzt, kann disqualifiziert werden. So war beispielsweise im vergangenen Jahr die weißrussische Gruppe „Galasy S Mesta“ (deutsch: „Stimmen von vor Ort“) nicht zugelassen worden. Damals hatten die Organisatoren des Wettbewerbs im Lied der Gruppe „Ich bringe dir bei“ eine Anspielung auf jene ausgemacht, die die einheimische Opposition aus der Ferne steuert, indem sie „die Strippen ziehen“. Sie hatten auch das „Lied von den Hasen“, das als Ersatzvariante eingereicht wurde, verworfen. Was die Ukraine angeht, so hatte beim nationalen ESC-Ausscheid Alina Pash gewonnen. Sie wurde aber im eigenen Land heftig kritisiert, da sie eingestanden hatte, dass sie im Jahr 2015 auf der Krim aufgetreten war. Und obgleich die Sängerin ein Dokument vorlegte, dass die Tatsache eines legitimen Übertritts der Grenze mit der Krim bestätigte, musste sie letztliche das Handtuch werfen und erklärte, dass sie nicht für die Ukraine in Turin an den Start gehen werde. Erinnert sei noch, dass Russland in diesem Jahr aufgrund der Situation rund um die derzeitige sogenannte militärische Sonderoperation in der Ukraine von einer ESC-Teilnahme ausgeschlossen wurde. Dementsprechend konnten die russischen Fans des Eurovision Song Contests die Halbfinals und das Finale nur im Internet verfolgen.

Bemerkenswert ist ebenfalls, dass Spanien bereits die Bereitschaft signalisierte, die größte Musikshow der Welt im kommenden Jahr in dem Falle auszurichten, wenn dies die ukrainische Seite nicht tun könne. Die Erklärung über die Bereitschaft, dem nächsten Wettbewerb ein „Obdach zur Verfügung zu stellen“, kam am Sonntag von der Kommunikationsdirektorin der staatlichen spanischen Funk- und Fernsehgesellschaft RTVE      María Eizaguirre. Aus ihren Worten kann man unter anderem die Schlussfolgerung ziehen, dass man in Europa die Möglichkeit nicht ausschließt, dass sich der militärische Konflikt bis Mai kommenden Jahres hinzieht. Was bereits nicht als überraschend vor dem Hintergrund der jüngsten Erklärungen des ukrainischen Außenministers Dmitrij Kuleba, die an Schärfe gewonnen haben, erscheint. Er signalisierte unter anderem die Absicht Kiews, eine Wiederherstellung der Souveränität über das gesamte ukrainische Territorium in den Grenzen von 1991 zu erreichen.

Als Antwort merkte der Botschafter der Lugansker Volksrepublik (LVR) in Russland, Rodion Miroschnik, dieser tage an, dass es ohne eine Beseitigung des „toxischen“ ukrainischen Regimes nicht gelingen werde, einen stabilen Frieden zu erreichen. Wie Miroschnik erläuterte, würden sich die Kiewer Offiziellen unter der Kontrolle des Westens befinden, womit er das ständige Narrativ der offiziellen russischen Propaganda wiederholte. Und daher werde es nicht gelingen, die dortige Situation grundlegend zu verändern. „Solange eben diese Fäden nicht abgeschnitten werden, mit denen die Marionetten auf dem Territorium der Ukraine in Bewegung gesetzt werden“, erklärte der LVR-Botschafter in der Russischen Föderation.

Zuvor hatte der Chef der ukrainischen Diplomatie in einem Interview für die „Bild“-Zeitung erneut bekräftigt, dass sich die Ukraine nicht darauf einlassen werde, nur einen geringsten Teil ihres Territoriums preiszugeben. Und er sagte gleichfalls, dass es seine Aufgabe sei, so viel wie möglich Waffen zu bekommen und eine maximale Verschärfung der Sanktionen gegen die Russische Föderation zu erreichen. Dabei bekundete Kuleba im Zusammenhang damit Bedauern, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz dem Gespräch mit ihm während des letzten Berlin-Besuches wenig Zeit gewidmet hätte. „Ich schätze Gesten“, präzisierte Kuleba und erinnerte daran, dass für seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij Zeit für eine offizielle Begegnung in Kiew gefunden hatte.

Zur gleichen Zeit erklärte der deutsche Kanzler gegenüber Journalisten, dass ein wahrer Frieden zwischen Moskau und Kiew nur bei Erreichen von gegenseitigem Einvernehmen durch die Seiten möglich sei. Olaf Scholz sicherte zu, dass Deutschland Waffenlieferungen für die Ukraine fortsetzen werde. Seine Erklärungen hatten Beobachter auch mit den am Sonntag erfolgten Landtagswahlen im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen in Verbindung gebracht, wo die Position der SPD als eine widersprüchliche aufgrund der Haltung in der Ukraine-Frage angesehen wurde.

Da kann man wahrscheinlich auch den erwähnten politischen Appell der ukrainischen Künstler von der ESC-Bühne mit den überraschenden Aussagen der für das Amts des US-Botschafters in Kiew nominierten Bridget A. Brink in Verbindung bringen. Wie Brink dieser Tage bei der Behandlung ihrer Kandidatur im Ausschuss des Senats des US-Kongresses für internationale Angelegenheiten erklärte, gewinne Russland den Informationskrieg gegen den Westen beim Covern der ukrainischen Ereignisse. Und daher müssten die westlichen Länder laut ihren Aussagen „kreativer und innovativer“ im Informationsraum sein.

Derweil sorgte man sich in der Russischen Föderation nicht nur um die Aufgaben im Bereich der Informationspolitik, sondern auch um die Entwicklung neuer globaler Modelle für die künftige Entwicklung. Im Zusammenhang damit veröffentlichte der Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“ und Vorsitzende des Präsidiums des (russischen) Rates für Außen- und Verteidigungspolitik Fjodor Lukjanow einen Beitrag unter dem Titel „Im Geschichtslehrbuch“, der im Vorfeld der 30. Jahresvollversammlung dieses Think Tanks (erfolgte am 14. und 15. Mai – Anmerkung der Redaktion) erschien. Und dort konstatierte er unter anderem, dass die Periode der Globalisierung, die sich seit den 1980er Jahren entwickelt hatte, zu Ende sei. Und der militärische Konflikt im Osten Europas sei bei aller tragischer Brisanz eine von Zäsuren, nicht die erste und nicht die letzte. Unter solchen Bedingungen sei auch eine Konsolidierung der intellektuellen Anstrengungen der gesamten Gesellschaft erforderlich, um die erklärten Ambitionen für eine neue Zukunft zu erläutern. Und auch der Rat für Außen- und Verteidigungspolitik beabsichtige, dies zu fördern, resümierte der Autor. Solch eine Einstellung unterstützte gleichfalls Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Wie er vor den Teilnehmern der 30. Jahresvollversammlung des erwähnten Rates anmerkte, stehe Russland wie 1917 und 1991 vor der Wahl eines historischen Weges.

Wie realistisch ist es jedoch unter den gegenwärtigen Bedingungen, intellektuelle Kräfte für die Ausarbeitung neuer Szenarios für die künftige Entwicklung, unter anderem in der ukrainischen Richtung heranzuziehen?

Wie der Programm-Direktor des „Valdai“-Klubs Oleg Barabanow gegenüber der „NG“ erklärte, sei für die meisten Vertreter der russischen Experten-Community der Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine zu einer Überraschung geworden, und es sei offensichtlich, dass die Experten-Einschätzungen und das Treffen realer Entscheidungen in absolut unterschiedlichen Richtungen erfolgten. „Und gegenwärtig sehe ich keinen Bedarf der Herrschenden an einer derartigen Zukunftsexpertise. Die Militäroperation erfolgt entsprechend ihren Plänen. Und die Experten-Gemeinschaft lebt weiterhin ihr Leben. Und bisher sind keine Möglichkeiten auszumachen, um diese Prozesse zu verbinden“, vermutet Barabanow. Dabei umging er es einzugestehen, dass viele russische Experten hinsichtlich der Ukraine-Ereignisse einfach ihre Inkompetenz demonstrierten und letztlich nun den Versuch unternehmen, das Gesicht zu wahren. Barabanow kommentierte aber noch die Erklärung von Mrs. Brink, wonach die Russische Föderation den Informationskrieg gewinnen würde. Nach Meinung des Experten seien diese Worte eher für das US-amerikanische Publikum bestimmt und dazu berufen, die Relevanz der russischen Gefahr zu unterstreichen.