Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij hat versichert, dass er nicht vorhabe, Russlands Territorium anzugreifen. So antwortete er auf die Worte des US-Präsidenten, wonach Washington Raketenwerfer-Systeme an Kiew liefern werde, aber nicht jene, die der Ukraine erlauben, gegen das Territorium der Russischen Föderation Schläge zu führen. Der Pressesekretär des russischen Staatsoberhauptes, Dmitrij Peskow, der Selenskijs Worte kommentierte, sagte, dass Moskau keinen Vertrauenskredit gegenüber der ukrainischen Seite hätte. Russische Experten sind der Auffassung, dass Kiew imstande sei, westliche weitreichende Waffen für Schläge gegen Ziele in der Russischen Föderation, darunter auf der Krim (dies seit 2014 Teil Russlands ist – Anmerkung der Redaktion), einzusetzen. Obgleich sie sich gewiss sind, dass dies der ukrainischen Seite nicht helfen werde, eine Wende in den Kampfhandlungen zu erreichen.
„Nein, um zu vertrauen, muss man Erfahrungen aus den Fällen haben, bei denen gegebene Zusagen eingehalten wurden. Leider gibt es überhaupt keine solchen Erfahrungen. Im Gegenteil, der gesamte Verlauf der Ereignisse bestätigt, dass beginnend ab dem Hauptwahlkampfversprechen von Präsident Selenskij, ein für allemal den Krieg im Südosten der Ukraine zu beenden, nichts eingehalten wurde“, reagierte der Pressesekretär des russischen Staatsoberhauptes auf die Worte von Wladimir Selenskij, wonach Kiew nicht gegen russisches Territorium schießen werde.
Peskow warf den USA gleichfalls vor, sorgfältig und zielgerichtet durch solche Lieferungen „Öl ins Feuer zu gießen“. Dies veranlasse Kiew nicht zu einer Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen, betonte er (wobei er gleichfalls das Thema des Rechts der Ukraine auf Selbstverteidigung sorgfältig ausklammerte – Anmerkung der Redaktion).
Am Vorabend hatten amerikanische Medien von der für Mittwoch geplanten Bekanntgabe eines neuen Pakets militärischer Hilfe für die Ukraine im Umfang von 700 Millionen Dollar inkl. Lieferungen von HIMARS-Raketensystemen, die in der Lage sind, Ziele in einer Entfernung von bis zu 80 Kilometern zu treffen, berichtet.
Am Mittwoch hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei Haushaltsdebatten im deutschen Bundestag angekündigt, dass die Bundesrepublik in den nächsten Wochen der Ukraine, eng abgestimmt mit den Niederländern, zwölf der modernsten Panzerhaubitzen der Welt liefern und vier Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II zur Verfügung stellen werde, aber auch ein Exemplar des Systems Iris-T SLX, des modernsten Luftabwehrsystems des Landes. In Bezug auf die Mehrfachraketenwerfer unterstrich Scholz, dass sie jedoch nicht das Territorium Russlands erreichen dürften. Obgleich er zuvor in seiner Ansprache betonte: Präsident Putin dürfe es nicht gelingen, mit einem brutalen militärischen Einsatz ein Land oder Teile davon zu erobern. „Das ist Imperialismus, und den werden wir in Europa nicht akzeptieren“, so der Kanzler. Derweil teilte das Bundesverteidigungsminister mit, dass es keine solchen Waffenarten im Bestand habe, von denen Scholz gesprochen hatte, und erläuterte in diesem Zusammenhang, dass sie direkt durch die Hersteller an Kiew geliefert werden würden.
Am Dienstag hatte Selenskij in einem Interview für den US-amerikanischen TV-Kanal Newsmax über die sehr schwere Situation und die Verluste der ukrainischen Armee berichtet (siehe: https://ngdeutschland.de/das-pentagon-sucht-nach-varianten-fur-eine-beendigung-der-kampfhandlungen-in-der-ukraine/) und erklärt: Auch unter diesen Bedingungen beabsichtige die Ukraine nicht, seine Territorien preiszugeben. Aber die mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten könnten diskutiert werden. „Wir sind nicht bereit, irgendwelche unserer Territorien abzutreten, denn dies ist unsere Unabhängigkeit, unsere Souveränität. Aber mit einigen Territorien gibt es bestimmte Schwierigkeiten, Details. Diese Schwierigkeiten können erörtert werden“, konkretisierte der Präsident der Ukraine. Wobei er versicherte, dass Kiew nicht vorhabe, Russlands Territorium anzugreifen. Die Mehrfach-Raketenwerfer brauche es aber, um den Gegner vom eigenen Boden zu vertreiben.
Dennoch informieren bekanntlich sowohl das Verteidigungsministerium als auch Spitzenvertreter von Grenzregionen Russlands regelmäßig über von der ukrainischen Seite geführte Schläge gegen Ziele auf dem Territorium der Russischen Föderation. Und macht es unter solchen Bedingungen Sinn, darauf zu setzen, dass nach dem Erhalt neuer Waffen Kiew sie nicht für eine Vernichtung von Objekten in Russland, darunter auf der Krim einsetzt? (An der Stelle sei noch einmal erinnert, dass Russland ständig sogenannte hochpräzise Waffen gegen Objekte auf dem ukrainischen Territorium einsetzt und dies für rechtens hält. – Anmerkung der Redaktion)
Der stellvertretende Präsident der Russischen Akademie für Raketen- und Artillerie-Wissenschaften, Konstantin Siwkow, sagte der „NG“, dass Washington daher Kiew nicht alle von ihm angeforderten Waffen liefere und auf den ukrainischen Präsidenten Druck ausübe, damit sich Derartiges nicht ereigne. Es sei offensichtlich, dass auch daher die militärische Sonderoperation der Russischen Föderation gerade so bezeichnet wurde, weil sie von gewissen Absprachen und bedingten „roten Linien“ begleitet werde, die keiner übertrete. Derartige „rote Linien“ gebe es in jeglichem Krieg. Überdies hätten die ukrainischen Streitkräfte, fuhr er fort, ausreichend Waffen, um Schläge gegen das russische Territorium zu führen – die „Totschka-U“-Raketen und Systeme „Smertsch“. Aber mit Ausnahme einer episodischen Anwendung vermeide man es aber bisher, sie einzusetzen. Unter solchen Umständen würden auch Schläge Kiews gegen Objekte auf dem Territorium der Krim und anderer russischer Regionen nach Erhalt neuer Waffen durch die ukrainischen Militärs vorerst wenig wahrscheinlich sein, meint Siwkow und nimmt damit den russischen Propaganda-Kanälen Wind aus den Segeln, die ständig von zu erwartenden ukrainischen Angriffen mit den neuen westlichen Waffen sprechen, so als würden sie nur auf sie sehnsüchtig warten. Freilich kann aber auch nicht erwartet werden, dass es mit den neuen Waffen zu einer Wende im Verlauf der Kampfhandlungen kommen wird, auf die heute viele Vertreter der Ukraine hoffen. Die von Washington zugesagten modernen Waffen sind natürlich gut, stellen aber prinzipiell nichts Neues dar. Das gilt unter anderem für die Systeme „Smertsch“, die sich in der Bewaffnung der ukrainischen Armee befinden und recht stark sind. Überdies sollen die angekündigten Lieferungen in geringen Umfängen erfolgen, betonte der stellvertretende Präsident der Russischen Akademie für Raketen- und Artillerie-Wissenschaften.
Derweil erinnerte der Chefredakteur des Nachrichtenportals „Arsenal des Vaterlandes“, Dmitrij Drosdenko, gegenüber der „NG“, dass die ukrainischen Militärs beinahe täglich gegen die Russische Föderation Schläge führen würden. Angriffe seien bereits gegen Stützpunkte auf dem russischen Territorium durchgeführt und Drohnenabgeschossen worden. 2Und wenn sie weitreichende Waffen erhalten werden, werden sie unbedingt Angriffe führen. Darunter auch gegen die Krim. Wodurch unterschiedet sie sich aber von anderen russischen Regionen? Ja, in einem Krieg ist es halt wie in einem Krieg. Wo man wen erreichen kann, da führt man auch Schläge“, meint Drosdenko. Nach seiner Meinung hätten das Bestehen von „roten Linien“ unter den Bedingungen von Kampfhandlungen eher Politiker erfunden. Wobei allein nur eine Lieferung schwerer Haubitzen bereits als eine Verletzung der angenommenen Verbotslinien anerkannt werden könne, worauf Moskau mit Schlägen gegen die Zentren für das Treffen von Entscheidungen antworten werde, wie früher angekündigt wurde, zumal Russland – allem nach zu urteilen — generell meint, es könne nach eigenem Belieben und Gutdünken auf dem Territorium des Nachbarlandes walten und schalten. Obgleich, was die erwähnten Waffenlieferungen angehe, der um sie von Politikern und kremltreuen Journalisten ausgelöste Rummel ein überzogener sei. Schon ganz zu schweigen von den Appellen, als Antwort unverzüglich New York zu zerbomben. Dabei könne man dem beipflichten, dass die zugesagten Raketensysteme an sich eine modernere Variante der „Totschka-U“-Rakete seien, die übrigens seinerzeit der gleiche Konstrukteur Sergej Nepobedimyj entwickelte, der unter anderem auch die „Iskander“-System schuf.
So oder so, selbst mit den neuen Waffen werde es den ukrainischen Streitkräften nicht gelingen, eine Wende zu erreichen. Erstens erfordere die Anzahl der Kampfmittel, die von russischer Seite konzentriert worden sind, dass die Lieferungen nicht dutzende Haubitzen, sondern – sagen wir einmal – tausende umfassen. Und zweitens kämpfe man nicht mit der Menge, wie Alexander Suworow sagte, sondern mit Können und Meisterschaft. Und hinsichtlich der Personalstärke würde die bei der militärischen Sonderoperation eingesetzte Gruppierung der Russischen Föderation wesentlich geringer als die ihr gegenüberstehenden ukrainischen Kräfte sein. Die russischen Militärs seien aber qualitativ besser bewaffnet und ausgebildet sowie weitaus ernsthafter motiviert. Besonders die Kämpfer der Donbass-Formationen, die nicht für Geld und nicht für Selenskij, sondern für ihre Nächsten und ihr Land kämpfen würden, formulierte der Experte Dmitrij Drosdenko. Und abschließend räumte er ein bzw. wiederholte das von den russischen Staatsmedien und Politikern stets und ständig formulierte Narrativ, dass der ukrainische Präsident Verhandlungen mit Vertretern der Russischen Föderation beginnen werde, nur wenn dies ihm die zwei für ihn entscheidenden Akteure – der Präsident der USA und Großbritanniens Premier – erlauben würden.
Derweil erklärte erwartungsgemäß der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow gegenüber der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA NOVOSTI, dass Moskau „äußerst negativ“ das neue Paket von Militärhilfe der USA für die Ukraine, welches Lieferungen von HIMARS-Raketensystemen umfasse, bewerte. „Dass die USA an der Spitze einer Gruppe von Staaten sich mit dem zielgerichteten Vollpumpen des Kiewer Regimes mit Waffen befasst, ist eine offensichtliche Sache“, sagte Rjabkow. Nach seinen Aussagen würden jegliche Waffenlieferungen für Kiew die Risiken einer direkten Konfrontation der USA mit Russland erhöhen.