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Das Pentagon sucht nach Varianten für eine Beendigung der Kampfhandlungen in der Ukraine


Die Führung der USA geht scheinbar äußerst vorsichtig an die Entscheidung über eine militärtechnische Unterstützung für die Ukraine heran, und Washington will dabei offensichtlich nicht, sich endgültig mit Moskau zerstreiten. Am Vorabend hatte US-Präsident Joseph Biden mitgeteilt, dass eine Lieferung von Mehrfachraketenwerfern an die Ukraine, die in der Lage sind, Schläge gegen das Territorium der Russischen Föderation zu führen, nicht geplant sei. Am 31. Mai hatte der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, Mark A. Milley, erklärt, dass zum besten Herauskommen aus dem Krieg „Friedensverhandlungen“ zwischen Moskau und Kiew „unter Berücksichtigung der erheblichen Verluste auf beiden Seiten“ werden würden.

Konkret hatte Mark A. Milley nichts über die militärischen Verluste der Seiten mitgeteilt. Laut offiziellen Mitteilungen des russischen Verteidigungsministeriums sei jedoch innerhalb von wenigen Monaten das militärische Potenzial der Ukraine erschöpft worden.

Wie man anhand offener Angaben verstehen kann (siehe Tabelle), sind im Verlauf der militärischen Sonderoperation Russlands, die am Mittwoch, dem 01. Juni bereits ihren 98. Tag erlebte, die Kampfflugzeuge, die Gefechtsfeld-Artillerie und Minenwerfer, aber auch die Panzer und anderen gepanzerten Fahrzeuge, die es im Bestand der Streitkräfte der Ukraine gegeben hatte, vollkommen vernichtet worden. Allem nach zu urteilen, setzt Kiew jetzt instandgesetzte Waffen und Gefechtstechnik ein, aber auch das, was die USA und anderen NATO-Länder geliefert haben. Und unter Berücksichtigung dessen, dass die ukrainischen Streitkräfte den Einheiten der russischen Armee und den sogenannten Bürgerwehrkräften der Donbass-Republiken erbitterten Widerstand leisten, hat Kiew nicht wenig erhalten. Auffällig dabei ist, dass die russischen Staatsmedien dabei völlig das Recht der Ukraine auf eine Selbstverteidigung angesichts der von Präsident Wladimir Putin am 24. Februar befohlenen Operation ausklammern.

Russische Angaben über die militärischen Verluste der Ukraine

  Bestand per 24.02.2022 Vernichtet per 25.03.2022 Anteil der Verluste per 25.03.2022 Vernichtet per 31.05.2022 Anteil der Verluste per 31.05.2022
 

 

 

Militärangehörige

 

 

 

260.200 Mann

30.000 Mann (insgesamt) 11 % * *
 

14.000 Mann (Tote)

 

5 %

*

(per 17.04.2022: 23.367)

*

(per 17.04.2022:

9 %

16.000 Mann (Verwundete) 6 % * *
 

Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge

 

2416

 

1587

 

65 %

3342

(per 17.04.2022:

2290)

138 %

(per 17.04.2022:

95 %)

 

Gefechtsfeldartillerie und Minenwerfer

 

1509

 

636

 

41 %

1738

(per 17.04.2022:

992)

115 %

(per 17.04.2022:

66 %)

 

Reaktive Feuerwerfer-Systeme

 

535

 

163

 

29 %

454

(per 17.04.2022:

254)

85 %

(per 17.04.2022:

47 %)

 

Flugzeuge

 

152

 

112

 

73 %

184

(per 17.04.2022:

134)

121 %

(per 17.04.2022:

88 %)

 

Hubschrauber

 

149

 

75

 

50 %

128

(per 17.04.2022:

105)

86 %

(per 17.04.2022:

70 %)

Bayraktar TB-2-Drohnen 36 35 97 % 1070** *
Luftabwehr-Komplexe großer und mittlerer Reichweite  

180

 

148

 

82 %

 

325***

 

*

Funkortungsstationen unterschiedlicher Zweckbestimmung  

300

 

117

 

39 %

 

*

 

*

* — keine Angaben                                                                                          Quelle: Verteidigungsministerium Russlands

** — Gesamtzahl der vernichteten Drohnen

*** — Gesamtzahl der vernichteten Luftabwehr-Raketenkomplexe

 

Es kann angenommen werden, dass es auch in den Streitkräften der Russischen Föderation wesentliche Verluste gibt, die Milley andeutungsweise erwähnt. Diese Schlussfolgerung bestätigen auch die jüngsten Aussagen von Russlands Vizepremier Jurij Borissow, wonach umfangreiche Mengen an neuer Technik und Bewaffnung nach Abschluss der sogenannten Sonderoperation für die Armee des Landes erworben werden sollen, aber auch die in den sozialen Netzwerken geposteten Videos, auf denen der Transport von T-62- und T-64-Panzern durch Russland zu sehen ist, die nach langer Einlagerung „auf Vordermann gebracht wurden“ und vermutlich in die Zone der Sonderoperation unterwegs waren. Milley konstatiert: „Im Donbass halten erhebliche Kampfhandlungen zwischen den ukrainischen und russischen Kräften an. Wie sich die Situation im Verlauf der weiteren nächsten Wochen gestalten wird, wird in erheblichem Maße die weitere Entwicklung bestimmen“. Er unterstreicht, dass „zu einer Konsequenz der Gefechte um den Donbass sowohl ein Übergang zu einem Positionskrieg als auch ein Sieg einer der Seiten werden kann“. Wer gerade siegen wird, sagt Milley nicht, obgleich sich Moskau methodisch bemüht, zu Angriffshandlungen überzugehen. Es scheint, dass dies im Pentagon als eine Gegebenheit aufgefasst wird. Und der General zieht den Schluss, dass „eine Lösung durch Verhandlungen eine logische Entscheidung wäre“, sowohl Kiews als auch Moskaus. Er präzisierte, dass beide Seiten selbständig dazu kommen müssten. „Wie alles enden wird, müssen Präsident Selenskij und Präsident Putin entscheiden“, resümierte Milley.

„Die Kampfhandlungen werden wohl kaum mit einem Schlage aufhören. Kiew rechnet damit, eine Revanche zu nehmen, und setzt die aktiven Kampfhandlungen gegen die Einheiten der Russischen Föderation und ihren Verbündeten fort“, meint der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Wladimir Popow. Er lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass „die Hoffnungen auf weitere militärische Lieferungen der Berater des Chefs des ukrainischen Präsidenten-Office, Alexej Arestowitsch, in kategorischer Form formulierte, wobei er androhte, dass Kiew Washington eine „mustergültig-demonstrative Hysterie“ organisieren werde, wenn es den ukrainischen Streitkräften keine Mehrfach-Raketenwerfer bereitstellt“.

„Für die Amerikaner macht es Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, inwieweit man solch eine eigensinnige Ukraine mit Waffen vollpumpen muss. Über die Kampfhandlungen sind nicht nur die Amerikaner unzufrieden, sondern auch viele europäische Länder und die Türkei, die von den Seiten fordern, die Kampfhandlungen einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen“, betont der Experte.

Deutschland will derweil vier Mehrfachraketenwerfer aus Beständen der Bundeswehr in die Ukraine liefern. Das geschehe in enger Abstimmung mit den USA, die auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten an den Systemen übernehmen würden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch aus Regierungskreisen. Geplant sei, die schweren Waffen, die Ziele in großer Entfernung treffen können, bis Ende des Monats zu liefern.

Die USA hatten bereits am Dienstag die Lieferung moderner Mehrfachraketenwerfer zur Verteidigung gegen den russischen Einmarsch angekündigt. Die Ukraine habe zugesichert, mit dem in den USA hergestellten Artilleriesystem HIMARS keine Ziele auf russischem Territorium anzugreifen, hieß es aus dem Weißen Haus. Scholz hatte in seiner Haushaltsrede im Bundestag ausdrücklich auf diese Zusage verwiesen und angekündigt, die Lieferung der USA zu unterstützen.

Während der SPD-Politiker den Worten der ukrainischen Führung Glauben schenkt, erklärte Kremlsprecher Dmitrij Peskow am Mittwoch, dass man in Moskau den Worten von Präsident Wladimir Selenskij keinen Glauben schenken würde, wonach Kiew die Raketenwerfer-Systeme nicht für Attacken gegen das russische Territorium im Falle ihres Erhalts von den USA einsetzen werde. Überdies wurde damit gleichfalls erneut deutlich, dass Russland nicht gewillt ist, die eigentlichen Ziele der Operation sozusagen auf halbem Wege aufzugeben. Und da schert man sich auch nicht im Kreml darum, was Selenskij in seinem jüngsten Interview für den in US-Bundesstaat Floria ansässigen TV-Sender „Newsmax“ eingestehen musste: „Wir verlieren am Tag 60 bis 100 Soldaten als gefallene und rund 500 Menschen als verwundete“ (https://www.newsmax.com/newsmax-tv/volodymyr-zelenkskyy-ukraine-war-invasion/2022/05/31/id/1072344/).