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Das Gerede von einer Verlängerung der Dienstzeit verheißt eine langwierige militärische Sonderoperation


Der Staat ist scheinbar ernsthaft über die Probleme der Anhebung der Gefechtseffektivität der Truppen in der Zone der seit dem 24. Februar laufenden militärischen Sonderoperation verwirrt. Im vereinigten Stab der Gruppierung der Truppen, die an dieser Operation teilnehmen, weilte Wladimir Putin. Und in den Massenmedien haben Diskussionen begonnen, die mit einer möglichen Verlängerung der Dienstzeit durch die einberufenen Soldaten bis auf zwei Jahre zusammenhängen. Derweil sind die Autoren solch eines Projekts der Auffassung, dass, wenn die militärische Sonderoperation noch einige Jahre andauere, so die Notwendigkeit einer Mobilmachung entfalle. Und die Soldaten im Grundwehrdienst könnten im zweiten Dienstjahr an den Kampfhandlungen gegen die Ukraine teilnehmen. Inwieweit ist aber eine Verlängerung des Militärdienstes bis auf zwei Jahre? Eine gewichtige Antwort ist vom Generalstab (bisher) nicht gekommen.

Erstmals, nach fast zehn Monaten seit Beginn der international umstrittenen Sonderoperation, arbeitete Wladimir Putin am vergangenen Freitag den ganzen Tag im Vereinigten Stab der Truppengattungen, die bei der militärischen Sonderoperation eingesetzt werden. Dem offiziellen Video und den entsprechenden Fotos nach zu urteilen, berichteten dem Präsidenten über die Lage Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der Generalstabschef der Streitkräfte der Russischen Föderation, Valerij Gerassimow, und der Kommandierende der vereinigten Truppen-Gruppierung, Sergej Surowikin. Außerdem hatte das Staatsoberhaupt, wie der Pressedienst des Kremls mitteilte, „eine Beratung und einzelne Treffen mit den Kommandierenden durchgeführt, aber sich auch deren Vorschläge hinsichtlich der nächsten und mittelfristigen Handlungen angehört“. Dass er sich persönlich die Kampf-Generäle, die bei der militärischen Sonderoperation eingesetzt sind, anhörte, spricht nicht dafür, dass er der Leitung des Verteidigungsministeriums kein Vertrauen schenkt. Dabei ist durchaus zu erwarten, dass die ersten Persönlichkeiten im Verteidigungsministerium im Weiteren der erforderlichen Versorgung und Absicherung der Truppen mehr Zeit widmen werden.

Schoigu unternahm bereits am nächsten Tag „einen Flug über die Dislozierungsräume der Truppen und überprüfte die vordersten Positionen der russischen Einheiten“, wobei er „der Organisierung einer allseitigen Absicherung der Truppen, der Unterbringungsbedingungen für den Personalbestand unter Feldbedingungen, aber auch der Arbeit der medizinischen und rückwärtigen Einheiten“ Beachtung schenkte. Dies meldete offiziell das russische Verteidigungsministerium. Es sei angemerkt, dass Schoigu früher den offiziellen Meldungen des Verteidigungsministeriums nach zu urteilen lediglich Stäbe und Kommandopunkte der Truppen inspiziert hatte, die in der Zone der militärischen Sonderoperation im Einsatz sind. Und eine Überprüfung der Ausbildung von Reservisten hatte er persönlich nur in der „höfischen“ Taman-Divisionen inspiziert. (Folglich sind wohl die Zeiten für Schoigu und seine Show-Acts in der Truppe vorbei. – Anmerkung der Redaktion)

„Das Auftauchen des Verteidigungsministers der Russischen Föderation an der vordersten Frontlinie und seine besondere Aufmerksamkeit für das Alltagsleben und die Versorgung der Kampfeinheiten sind ein gutes Zeichen. Wenn sich ein Kommandierender persönlich in einem Schützengraben mit Soldaten unterhält, bedeutet dies, dass die große Wahrscheinlichkeit besteht, dass ihre Probleme konkret gelöst werden. Und folglich wird der moralische Geist des Verteidigers ein standhafter sein. Dies habe ich anhand meiner eigenen Kampferfahrungen begriffen“, erklärte der „NG“ der Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow.

Der Experte ist der Auffassung, dass die Fürsorge um den menschlichen Faktor in der Armee eine der Hauptkomponenten für erfolgreiche Kampfhandlungen sei. „Aber außer einem hohen Kampfgeist der Truppen muss es auch deren hohen Ausbildungsstand geben. Er wird in der tagtäglichen Gefechtsausbildung geschmiedet. Leider haben viele im Prozess der Mobilmachung einberufene Reservisten nur ein Jahr in der Armee gedient, und einige, die in einer zivilen Hochschule am dortigen Militärlehrstuhl studierten, haben eine militärische Ausbildung vor allem in den Korridoren der Hochschule absolviert. Solch eine Ausbildung ist für eine Teilnahme an Gefechten unzureichend. Und das Verteidigungsministerium hat es richtig getan, dass es die einberufenen Reservisten auf Truppenübungsgelände schickte. Aber auch dort absolvieren sie beschleunigt eine Gefechtsausbildung. Und jetzt müssen sie ihre Gefechtsfertig- und -fähigkeiten in der Gefechtssituation vervollkommnen“, betont der General.

„Begreift die Militärführung dieses Problem? Augenscheinlich, ja. Wie lange die militärische Sonderoperation dauern wird, ist unbekannt. Aber die Qualität der Ausbildung großer Kontingente künftiger Reservisten kann man schon jetzt erhöhen. Und dies ist in Vielem nur im Prozess des Grundwehrdienstes möglich. Er dauert gegenwärtig nur ein Jahr. Aber diese Zeitdauer ist offensichtlich unzureichend, um zu einem militärischen Profi zu werden. Ja, und da schlagen viele Experten und Politiker vor, zu einem zweijährigen Grundwehrdienst zurückzukehren, womit ich vollkommen einverstanden bin“, erklärte Netkatschjow.

Dieses Problem diskutierte man dieser Tage auf Initiative eines der Offiziere aus dem Moskauer Gebiet ein weiteres Mal in den Medien. Auf dem Fernsehkanal „Abendliches Dmitrow“ hatte der hiesige Militärkommissar Michail Fotin unter Berufung auf angeblich „offizielle Informationen“ vom Militärkommissar des Moskauer Verwaltungsgebietes mitgeteilt, dass „die Bürger, die im Frühjahr einberufen wurden, anderthalb Jahre dienen werden, und die im Herbst des Jahres 2022 einberufen wurden, werden bereits zwei Jahre dienen“. „Ich bin der Auffassung, dass dies durchaus logisch ist. Die Entscheidung ist solch eine im Zusammenhang damit, dass unsere nördlichen Nachbarn der NATO beitreten. Und dementsprechend wird es erforderlich sein, neue Verbände und Truppenteile zu bilden“, sagte er. Oberst Alexej Astachow, der Militärkommissar des Moskauer Verwaltungsgebietes, hat jedoch diese Informationen dementiert.

Es versteht sich, Erklärungen über die mögliche Dauer des Wehrdienstes müssen nicht Mitarbeiter der Militärkommissariate geben, sondern die Gesetzgeber, offizielle Vertreter des Verteidigungsministeriums und Generalstabs. Hier gibt es aber gerade kein komplettes Bild. Der Chef des Duma-Ausschusses für Verteidigung, Andrej Kartapolow (Kremlpartei „Einiges Russland“, bezeichnete beispielsweise die Mitteilung über eine Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes als „Blödsinn“. Zuvor hatten jedoch die Notwendigkeit solcher Schritte der Staatsduma-Abgeordnete Michail Scheremt und der Senator Wladimir Dschabarow (beide von der Kremlpartei „Einiges Russland“) signalisiert. Von der Möglichkeit, diese Initiative zu erörtern, sprach der Vorsitzende des Verteidigungs- und Sicherheitsausschusses im Föderationsrat, Viktor Bondarjow (Kremlpartei „Einiges Russland“. Dass der Kreml bisher keine Position zu dieser Frage habe, erklärte Dmitrij Peskow, der Pressesekretär von Russlands Präsident, wobei er betonte: „In der Diskussion um eine Verlängerung der Dienstdauer liegt die Entscheidung beim Verteidigungsministerium“. Doch die offiziellen Strukturen des Ministeriums haben bisher keine solche Entscheidung verkündet.

Wie der Militärhistoriker und Oberst im Ruhestand Prof. Valentin Pronko meint, „ist die Dauer des Grundwehrdienstes von einem Jahr eine Imitierung der Ausbildung eines jungen Mannes als Vaterlandsverteidiger“. „Solch ein Krieger ist nicht motiviert, sich eifrig eine militärische Spezialisierung anzueignen, da er weiß, dass man ihn als einen Grundwehrdienstleistenden nicht ins Gefecht schicken wird“, meint der Experte. Nach seiner Meinung beginne solch ein Soldat nach Ablegen des Fahneneids, „die Tage bis zur Entlassung zu zählen, wobei er die entsprechenden Kalenderquadrate ausstreicht“. „Obwohl seine Aufgabe in der Armee ein tiefgründiges Studium der militärischen Angelegenheiten und das Trainieren von Gefechtsfertigkeiten und -fähigkeiten unter Bedingungen, die auf maximale Weise einer realen Gefechtslage nahekommen, sind. Das zweite Jahr des Wehrdienstes braucht er für eine Vervollkommnung der Gefechtsausbildung, damit sie – wenn erforderlich – sie erfolgreich bereits in der Praxis angewandt wird“, betonte der Professor.

„Wozu braucht ein Grundwehrdienstleistender zwei Jahre Dienstzeit? Wenn dem so ist, bedeutet dies, dass ein Grundwehrdienstleistender ins Gefecht ziehen wird? Dies bedeutet ein Scheitern des Übergangs zu einer vorrangig professionellen Armee. Anders gesagt: Ist dies eine grundlegende Wende der gesamten Politik auf dem Gebiet des militärischen Aufbaus? Und ist die gesellschaftliche Wahrnehmung solcher Schritte durchgerechnet worden?“, fragt sich Generalmajor der Reserve Wladimir Bogatyrjow. „Mir scheint, dass sich der Staat nur im Fall einer äußersten militärischen Gefahr für das Land auf solch einen Schritt einlassen kann. Und da muss man sich der Unterstützung eines erheblichen Teils der russischen Gesellschaft versichern, wenn es offensichtlich wird, dass das Ansehen des Dienens auf Vertragsgrundlage fällt“. „Derartige Bedingungen sind wohl kaum herangereift. Die Zukunft haben doch die Profis, und die Hochtechnologien werden eine Sache der militärischen Angelegenheiten sein. Darunter auch für jene, die Aufgaben unmittelbar auf dem Boden erfüllen“, meint der Experte.

„Eine Berufsarmee ist teuer“, sagt seinerseits Netkatschjow. „Damit ein Vertragsmilitär zu einem Profi wird, muss er mindestens drei bis fünf Jahre in der Armee dienen. Haben wir viele solcher Vertragsmilitärs? Leider nein. In der letzten Zeit hat man Soldaten als Vertragsmilitärs gewonnen, die drei bis sechs Monate entsprechend der Wehrpflicht gedient hatten. Sie haben kurzfristige Verträge über ein Jahr unterschrieben und gedient, ohne überhaupt zu Profis geworden zu sein. Sie hatten nicht die nötige materielle Motivation. Und dann hat man auf die gleiche Art und Weise neue Vertragssoldaten gewonnen. Es gab eine große Personalfluktuation. Jetzt gibt man den einberufenen Reservisten an der vordersten Frontlinie relativ viel Geld. Dafür wird ein Löwenanteil des Militärhaushalts eingesetzt. Die Russische Föderation befindet sich aber unter Sanktionen, möglich ist eine Verschlimmerung der Wirtschaftskrise. Wenn sich die militärische Sonderoperation in die Länge zieht, kann im Staat das Geld für eine Vertragsarmee auch nicht ausreichen… Ja, und da wird die Idee von einer Rückkehr des Grundwehrdienstes zu einer Dauer von zwei Jahren geprüft. Solch eine Idee ist für viele soziale Schichten unpopulär. Aber augenscheinlich wird man nicht um sie herumkommen“.