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Nach der Säuberung unter den Regisseuren haben Entlassungen von Direktoren begonnen


Die Entlassung von Maria Rewjakina, der Direktorin des Theaters der Nationen, wie auch die Ernennung eines neuen Leiters in diesem Theater – und zu dem wurde Natalia Masur, die Stellvertreterin Rewjakinas für die Zuschauerarbeit — ist nicht vom Theater oder dem Kulturministerium offiziell bekanntgegeben worden. In der hauptstädtischen Theater-Community erörtert man jedoch das Ereignis, das man für eine Sache der Zeit gehalten hatte, als ein stattgefundenes. Ungeachtet dessen, dass die Nachrichtenagenturen sich in Schweigen hüllen und der Pressedienst des Theaters auf eine entsprechende Anfrage der „NG“-Korrespondentin nicht reagierte. Augenscheinlich war eine solche die interne Anweisung der Leitung.

Maria Rewjakina gehört zu der seltenen Kohorte von Direktoren mit dem Beinamen „Schwergewicht“ – mit kolossalen Erfahrungen, Kontakten, einer großen Arbeitsfähigkeit und dem entsprechenden Ergebnis. Die Direktorin des Nowosibirsker Theaters „Globus“ übernahm die Leitung des Moskauer Tschechow-Künstlertheaters zu Zeiten von Oleg Tabakow, danach das Festival „Goldene Maske“, das sich innerhalb von zwanzig Jahren bis zu Dimensionen eines Imperiums entwickelte, eines Projekts, das die Theaterlandschaft des Landes vereint und bestimmt. Das Festival kann sich erlauben, hauptstädtische Inszenierungen in die Regionen zu bringen, ohne auf irgendwelche inoffizielle Anweisungen Rücksicht zu nehmen. Es ist schwer, solch eine Freiheit und solch einen Maßstab nicht zu beneiden.

Im Theater der Nationen wurden die anspruchsvollsten und teuersten Projekte der letzten Zeit auf die Bühnenbretter gebracht: Robert Lepage (aus Kanada) inszenierte „Hamlet“, Bob Wilson (aus den USA) – „Puschkins Märchen“, der Lette Alvis Hermanis – die Kassenschlager „Erzählungen Schukschins“ und „Gorbatschow“. Natürlich darf man den künstlerischen Leiter des Theaters nicht vergessen – Jewgenij Mironow. Aber den Inszenierungsprozess und anderes zu gewährleisten, ist die Aufgabe des Direktors.

Das Theater der Nationen wurde zu einem elitären Theater: Bei den Premieren-Aufführungen, aber nicht nur bei diesen, konnte man sowohl politische Spitzenvertreter als auch große Geschäftsleute sowie Unterhaltungskünstler und Vertreter der Berufsgemeinschaft antreffen. Nicht jeder Direktor entschließt sich, im Jahr 2022 das Musical „Cabaret“ herauszubringen, dessen Handlung unzweideutig Parallelen zum heutigen Tag zieht. Den Erfolg begleitet Kritik. Rewjakina bezichtigt man einer Propagierung des westlichen und der Zerstörung des russischen Repertoire-Theaters. Man wirft ihr auch eine „Usurpation“ von zwei großen Institutionen vor: Wie man es auch drehen und wenden mag, sowohl (das Festival) „Goldene Maske“ als auch das Theater der Nationen werden reichlich aus dem föderalen Etat finanziert, gewinnen Sponsorenmittel, die auch erlauben, präzedenzlose Projekte zu verwirklichen. Letzten Endes hatte sich Rewjakina nicht selbst für die zwei Ämter ernannt. Sie ist aber mit beiden fertig geworden. Und urteilt man anhand des Ergebnisses, wenn es als Zuschauererfolg definiert, — ausgezeichnet.

Diese nunmehrige Entlassung demonstriert zweifellos eine Verschiebung tektonischen Charakters. Und diese ist die einzige. Ins Visier ist ohne eine Angabe der Ursachen und auf Entscheidung des Gründers um den 20. Dezember der Direktor des Nowosibirsker Theaters „Rote Fackel“, Alexander Kuljabin, geraten, der dort 23 Jahre gearbeitet und dieses regionale Theater auf ein Festival- und gar ein internationales Niveau gebracht hatte.

Es ist klar, dass der Hintergrund für diese Ereignisse einer ist: Rewjakina hatte einen Brief gegen die militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine unterzeichnet. Kuljabin muss offensichtlich für den Sohn haften, einen Theaterregisseur und Autoren interessanter, überraschender und mitunter auch kühner Inszenierungen in der Vergangenheit. Timofej Kuljabin kündigte im Frühjahr im Theater und verließ Russland. Es muss gesagt werden, dass es das Ensemble von „Rote Fackel“ gewagt hatte, für eine Verteidigung des Direktors aufzutreten. Einen Brief mit einem Appell an das regionale und föderale Kulturministerium, aber auch an den Apparat des Präsidenten hatten 145 von 200 Mitarbeitern unterschrieben. Sie bitten direkt, die Gründe zu erklären, die veranlasst hatten, „den erfolgreichen Leiter des erfolgreichen Theaters“ zu entlassen. Der Weggang Kuljabins ist „nicht nur für unser Theater ein Unglück, sondern auch für die gesamte Theater-Community“, heißt es in dem Schreiben.

Interessant ist, dass beide genannten Theater für eine Unterstützung des Donbass und im Weiteren für die militärische Sonderoperation aufgetreten sind. In Nowosibirsk sammelte man Mittel und veranstaltete karitative Aktionen. Jewgenij Mironow besuchte das zerstörte Mariupol. Das Theater der Nationen schloss sich dem Programm „Offener Vorhang“ an. Aber all diese Maßnahmen hatten nur die Tatsache der Entlassung aufgeschoben. Von den Theaterdirektoren erwartet man (heutzutage) keinen formalen Patriotismus, sondern einen „wahren“, der sich in einem Engagement von gegenüber den Herrschenden loyalen Regisseuren und Dramatikern offenbart, in der Auswahl der Themen, die auf den Bestimmungen der „Grundlagen der staatlichen Politik zur Bewahrung und Festigung der traditionellen russischen geistig-moralischen Werte“ beruhen. Einem Pluralismus künstlerischer Ideen und Gedanken wird durch derartige Personalentscheidungen ein entschiedenes NEIN gesagt. Andersdenkende Regisseure sind bereits von den Ämtern entbunden wurden. Und selbst deren Namen auf den Theaterplakaten sind entfernt worden. An der Reihe sind (nun) die Leiter von Theatern.

In diesem Zusammenhang kommen einem die Ereignisse vom vergangenen März in den Sinn. Und zwar der Vorschlag, über eine Wiedergeburt der Direktion der Imperatoren-Theater nachzudenken, den Präsident Putin bei der Verleihung von Prämien an junge Kulturschaffende an Valerij Gergijew (den Chef des Petersburger Marinskij-Theaters, der aufgrund seiner Unterstützung der militärischen Sonderoperation in der Ukraine gleichfalls mit Sanktionen des Westens belegt wurde – Anmerkung der Redaktion) richtete. Der Vorschlag ist nicht zurückgezogen worden. Daher ist auch eine Absetzung von Wladimir Urin nicht ausgeschlossen. Obgleich die Frage nach einer Vereinigung des Moskauer Bolschoi- und des Marinskij-Theaters bisher nicht öffentlich diskutiert wurde, kommt aber hinter den Kulissen von Zeit zu Zeit entsprechendes Gerede auf. Man nennt auch Namen möglicher Nachfolger Urins im Falle seiner Ablösung – Valerij Gergijew und völlig überraschend Alexej Schalaschow. Vom ungerechten Charakter eines Entzugs der Eigenständigkeit des Bolschoi-Theaters, was im Falle einer Ernennung von Gergijew unweigerlich ist, ist bereits die Rede gewesen: Die Strategie, die Taktik der künstlerischen Entwicklung des Bolschoi-Theaters ist eine dem Weg, auf dem sich das Marinskij-Theater bewegt, entgegengesetzte. Und die Moskauer Philharmonie würde einen Leiter verlieren, der der Konzert-Organisation, der besten in Russland, treu ergeben ist. Es scheint, alles Beste wird heute unweigerlich zerstört.