In den letzten Tagen ist der Schalter für die Staatspropaganda — allem nach zu urteilen — in die Stellung „Wiederaufnahme der Mobilmachung“ gebracht und dort fixiert worden. Und dies belegen beispielsweise nicht nur die Erläuterungen von Dmitrij Peskow, dem Pressesekretär des Präsidenten, hinsichtlich einer weiteren Gültigkeit des Erlasses von Wladimir Putin über die Teil-Mobilmachung. Oder nehmen wir nur einmal allein die Überlegungen der kremlnahen Massenmedien, wonach die militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine eine Verstärkung brauche. Die Erklärungen von Generalstabschef Valerij Gerassimow in einem Interview für das Wochenblatt „Argumente und Fakten“ haben, wie es scheint, die Tatsache des Anfahrens der Informationsmaschine bestätigt.
Der Oberkommandierende der militärischen Sonderoperation, die bereits den 12. Monat andauert, erläuterte, dass „für eine Stabilisierung der Lage, die Verteidigung der neuen Territorien und die Vornahme von Offensivhandlungen der Generalstab Pläne zur Durchführung der Teil-Mobilmachung zur Wirkung bringen musste“. Und er gestand gleichzeitig ein, dass, da „sich das System der Mobilmachungsvorbereitung als nicht vollkommen an die heutigen Wirtschaftsbeziehungen angepasstes erwiesen hatte“, die Militärbehörden „alles aus dem Stand heraus korrigieren mussten“. Hier ist nicht einmal das wichtiger, was Gerassimow sagt, sondern wann. Obgleich es in dem Interview natürlich auch solch eine Nuance wie das vollkommene Ausklammern des Präsidenten der Russischen Föderation aus dem Mobilmachungskontext gibt.
Das Programmschema der Staatspropaganda verfolgt solch eine Medienpolitik: Die Mobilmachung sei eine aktuelle Maßnahme ohne irgendwelche Wellen oder pausen. Folglich dürfe man nicht die ganze an den 21. September erinnern. Gerade davon versuchen die Militärkorrespondenten, die Leser und Zuschauer zu überzeugen. Sie sollen a priori Vertrauen nur deshalb auslösen, da sie ja als bodenständige Experten auftreten und nicht von der Couch aus ihre Überlegungen zum Besten geben. Die Militärkorrespondenten vermitteln den Bürgern den Gedanken von der Unumgänglichkeit der Maßnahmen zur Auffüllung des Personalbestands, der an der militärischen Sonderoperation teilnimmt. Und der Kremlsprecher fügt dem hinzu, dass Putin nichts damit zu tun hätte: „Was die Einberufung hinsichtlich der Teil-Mobilmachung angeht, so ist dieser Prozess abgeschlossen worden. Hier schlage ich vor, sich an den Worten von Russlands Präsident zu orientieren. Aber der Erlass sieht auch andere Funktionen vor“.
Jedoch kann wohl kaum solch ein Konzentrieren auf ein Thema etwas Anderes als eine Vorbereitung auf jenen Moment bedeutet, zu dem die Meldungen über die Einberufung der Bevölkerung zur Sonderoperation mal da und mal dort auftauchen werden. Es ist klar, dass es keine Razzien und Passkontrollen auf den Straßen geben wird. Die hat die russische Staatspropaganda bereits zu einem Teil der ukrainischen Wirklichkeit gemacht (und löst Ablehnung aufgrund des grobschlächtigen Zynismus und der unverhohlenen Heuchelei aus – Anmerkung der Redaktion). Folglich kann es in Russland nur eine unterschwellige Mobilmachung geben. Der schleichende Charakter löst aber dennoch nicht den Massencharakter ab und verdrängt folglich auch nicht die Wellen von Besorgnis. Im Kreml ist man jedoch scheinbar der Auffassung, dass Putin von nun an von ihr ausgeklammert worden ist und dass es keine Verletzung des heiligen Paradigmas wie im September – der Präsident ist stets eine Quelle guter Nachrichten – geben wird.
Damals hatte die durch die Sonderoperation ausgelöste Notwendigkeit die Herrschenden genötigt, einen Teil des tiefruhenden Volkes an die Oberfläche zu zerren, dem es nicht sehr gefallen hat, wie dies getan und von welchen Exzessen dies begleitet wurde. Soziologische Erhebungen wiesen eine Verringerung der Ressourcen der Loyalität gegenüber den Offiziellen aus. Die Menschen fingen an, an deren Fähigkeit zu zweifeln, jene gesellschaftliche Ruhe zu bewahren, wofür die Mehrheit unter anderem auf eine Beteiligung an der Politik verzichtet hatte. Daher konstatierte der Präsident schnell und persönlich das Ende der Mobilmachung.
Nunmehr habe Putin mit einer möglichen Wiederaufnahme scheinbar nichts zu tun. Doch wird der alleinige Herrscher sicherlich nicht vermeiden können, dass der Unmut auch auf ihn projiziert, der dadurch ausgelöst wird, dass das Boot erneut ins Schlingern gebracht wird. Dennoch sind die Herrschenden im Interesse des geplanten Sieges über die Ukraine – genauer gesagt: über den Westen – scheinbar bereit, auch schon aus dem Fass mit dem Vertrauen ihnen gegenüber zu schöpfen. Weiter wird lediglich die in der Hinterhand gehaltene innenpolitische Stabilität – der Grundpfeiler des Regimes – bleiben.
Vor allem gerade für sie sind viele Prozesse von Veränderungen ausgebremst worden, wurden Gelder beiseitegelegt und gespart, sind unterschiedliche Oppositionelle plattgemacht worden. Es war angenommen worden, dass die heutzutage erreichte Festigkeitsreserve dem Land auch noch für die Zukunft reichen werde, um den notwendigen Ruck nach vorn und nach oben vorzunehmen. Vorerst aber werden die Herrschenden wahrscheinlich weiterhin ergebnislos auch diesen teuren Vorrat verschleudern.