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„Sensenmann“-Zwischenfall wird keinen Krieg zwischen Russland und den USA auslösen


Entgegen den geäußerten Befürchtungen, schicken sich weder die USA noch Russland an, den Dienstag-Zwischenfall mit dem Absturz der Aufklärungsdrohne MQ-9 „Reaper“ (deutsch: „Sensenmann“) aufzublasen. Freilich wurde am Freitag deutlich, dass man in Moskau gewisse Schadenfreude empfindet, denn die Piloten der Su-27-Kampfjets, die die Drohne zum Absturz gebracht hatten, wurden für staatliche Auszeichnungen nominiert, wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte. Entsprechend einer amerikanischen Version, die am Donnerstag mit einem entsprechenden Video untermauert wurde, stürzte die Aufklärungsdrohne nach einem Zusammentreffen mit russischen Suchoi-Su-27-Flugzeugen ins Schwarze Meer. Laut der offiziellen, aber wenig überzeugenden – sei sie selbst abgestürzt. Der Botschafter der Russischen Föderation in den Vereinigten Staaten, Anatolij Antonow, wurde ins State Department einbestellt. Dort beschränkte man sich jedoch darauf, dass man Besorgnis im Zusammenhang mit dem Zwischenfall bekundete. Dabei erklärt man in den USA, dass ihre Drohnen dort fliegen werden, wo es Washington für notwendig halte und wo es dies das internationale Recht erlaube.

Der Zwischenfall ereignete sich bekanntlich in den Morgenstunden des 14. März, im Bereich der Krim, aber nicht über den offiziellen russischen Hoheitsgewässern. Wie es in einer Erklärung von Russlands Verteidigungsministeriums hieß, sei die Drohne in Richtung der russischen Grenze mit abgeschalteten Transpondern geflogen. Das heißt, sich vor den russischen Kräften der Flugüberwachung verbergend. Obgleich das Verteidigungsministerium in Moskau eingestand, dass russische Kampfjets in den Himmel aufgestiegen waren, behauptete es, dass die Drohne weder durch einen Einsatz von Waffen noch durch einen Zusammenstoß zum Absturz gebracht worden sei. Die vom regionalen Europa-Hauptquartier der US-Streitkräfte in Stuttgart veröffentlichten Videoaufnahmen lassen jedoch an der russischen Version erhebliche Zweifel aufkommen, die durch die geplante Auszeichnung der russischen Piloten noch verstärkt werden. Das russische Verteidigungsministerium erklärte: Die Drohne sei aufgrund „heftiger Manövriermanöver“ ins Meer gestürzt. Der Pentagon-Sprecher Patrick S. Ryder gestand seinerseits ein, dass die Drohne auf einem Routine-Aufklärungsflug gewesen sei, und erklärte, dass zum Grund ihres Absturzes ein gefährliches Manöver der russischen Jets wurde.

Somit ergibt sich entsprechend der amerikanischen Version, dass es zu einem ersten direkten Zusammenstoß der Streitkräfte der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten seit Beginn der russischen militärischen Sonderoperation gegen die Ukraine gekommen war. Besonderen Schmerz hat er ausgelöst, da die Aufklärungsdrohne augenscheinlich für die Amerikaner unwiederbringlich verloren wurde. Der Koordinator für strategische Kommunikation im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses, John Kirby, bekundete Zweifel, dass die USA die Drohne vom Grund des Schwarzen Meeres bergen können, da sie sich in einer sehr großen Tiefe befinde (lt. einigen Angaben in einer Tiefe von etwa 1500 Metern – Anmerkung der Redaktion). Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolaj Patruschew, erklärte aber im russischen Staatsfernsehen, dass Russland versuche, dieser Drohne habhaft zu werden. „Ich weiß nicht, können wir sie bergen oder nicht, aber man muss dies tun… Und wir werden uns unbedingt damit befassen“, unterstrich er.

Unter Berücksichtigung des Absturzortes der Drohne (westlich der Krim), weit entfernt von der Berührungslinie der russischen und ukrainischen Truppen) sind die Chancen Russlands, sie zu bergen, natürlich größer als die der Vereinigten Staaten.

Über die MQ-9 hatte das Blatt „The Washington Post“ ausführlich geschrieben. Sie kostet etwa 32 Millionen Dollar, man kann sie als Aufklärungs- und als Kampfdrohne nutzen. Sie kann beispielsweise bis zu 16 Hellfire-Raketen an Bord nehmen, die aktiv in Syrien, im Irak und in Afghanistan eingesetzt wurden. Freilich, in der Ukraine hat man sie noch nicht verwendet. Dabei unterstreicht man in den USA, dass gerade diese abgestürzte Drohne mit keinerlei Waffen bestückt gewesen sei.

Die Tonart der Kommentare zum Zwischenfall ist in den amerikanischen Medien eine: Er demonstrierte, wie gefährlich Russland und die USA einem militärischen Konflikt nahegekommen seien. Er werde jedoch nicht zu dessen Beginn. „Ich denke nicht, dass wir zu scharf reagieren müssen“, sagte beispielsweise in einem CNN-Interview Ex-Verteidigungsminister Mark Esper. Und Experten von CNN waren gar der Auffassung, dass das Vorgefallene zu einem Argument für jene Kreise in der Republikaner-Partei werden könne, die für eine Reduzierung der Hilfe für die Ukraine eintreten. Gerade solch eine Position vertreten Donald Trump und Ron DeSantis. Beide sind der Annahme, dass es für die USA Sinn mache, sich auf die Konfrontation mit China zu konzentrieren. Aber selbst in den Reihen der Republikaner gibt es diesbezüglich keine Einheit. Der ehemalige Vizepräsident Michael Pence hat sich zum Beispiel direkt für eine Erweiterung der Hilfe für die Ukraine bis zu deren Sieg über Russland ausgesprochen. Und schließlich beabsichtigt er gleichfalls, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Und wenn er nicht selbst dies schafft, so finden seine Ansichten in der Partei nicht wenig Unterstützung.

Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, erklärte gegenüber Journalisten, , dass Wladimir Putin über das Vorgefallene informiert worden sei, sagte aber, dass der Kreml nichts der Erklärung des Verteidigungsministeriums hinzuzufügen hätte. Unter den entstandenen Bedingungen sollte eine Antwort auf die Frage, welche Taktik die eine oder andere Seite auswählen wird, der Besuch von Botschafter Antonow im amerikanischen Außenministerium geben. Wie der Botschafter Journalisten mitteilte, dass er sich mit der Beraterin des Außenministers für Europa- und Eurasien-Fragen, Karen Donfield, unterhalten hätte. Die hätte sich nach seinen Worten lediglich darauf beschränkt, dass sie einen Protest im Zusammenhang mit den „unprofessionellen Handlungen der russischen Seite“ bekundet hätte. Da ergibt es sich, dass die USA die Handlungen der russischen Militärs nicht für vorsätzliche halten. Oder sie tun so, dass sie die nicht als solche ansehen. Es erfolgen aber keinerlei Antwortschritte seitens Amerikas. Antonow erklärte seinerseits gegenüber Journalisten: Russland rechne damit, dass sich die USA „Spekulationen im Medienraum“ hinsichtlich des Zwischenfalls enthalten und nicht mehr derartige Flüge unweit der russischen Grenzen unternehmen werden.

Beim jüngsten Online-Treffen im Ramstein-Format war vom Pentagon-Chef Lloyd Austin Folgendes zu vernehmen: „Täuschen Sie sich nicht, die Vereinigten Staaten werden weiter dort fliegen und handeln, wo dies das internationale Recht erlaubt“, sagte er, der im Übrigen nach dem Zwischenfall dies auch seinem russischen Amtskollegen Sergej Schoigu deutlich gemacht haben dürfte.