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Ungediente „Schützen“ werden zu militärischen Trainingslagern einberufen


Der in dieser Woche veröffentlichte Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, über die Einberufung zu militärischen Trainingslagern (Mobilmachungslagern) der Bürger Russlands, die sich in der Reserve befinden, wird unter den Bedingungen der militärischen Sonderoperation (die bereits den 444. Tag erlebt – Anmerkung der Redaktion) mit einer bestimmten Spezifik umgesetzt werden. Obgleich Medien, Experten und eine Reihe von Abgeordneten berechtigt betonten, dass derartige Trainingslager eine alljährliche „Routine“-Maßnahme seien, können für sie jetzt erheblich mehr Militärs in der Reserve als in den früheren Jahren einberufen werden. Wobei in die Trainingslager auch Reservisten geraten können, die keinen Grundwehrdienst geleistet haben und automatisch die Spezialisierung „Schütze“ im Rahmen der militärischen Erfassung und Statistik erhielten.

Im Ergebnis der Durchführung der Teil-Mobilmachung im Herbst vergangenen Jahres in der Russischen Föderation wurden bereits über 300.000 Reservisten in die Reihen der Armee integriert. Nunmehr hat sich objektiv die Notwendigkeit ergeben, für sie einen Ersatz zu finden, aber auch die Mobilmachungsressourcen im Land aufzufüllen und deren Zustand qualitativ zu verbessern. Wie kann in diesem Jahr die Spezifik dieses Prozesses aussehen?

Erstens ist geplant, in diesem Frühjahr in der Russischen Föderation die Rekordanzahl von Wehrpflichtigen seit den letzten sieben Jahren – 147.000 junge Männer – für den Militärdienst einzuziehen. Wenn man genauso viele junge Männer für den Wehrdienst im Herbst einberuft und die Tendenz in der Zukunft gewahrt wird, so werden alljährlich rund 300.000 Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren eine militärische Ausbildung in den Streitkräften der Russischen Föderation und anderen bewaffneten Strukturen absolvieren. Und gerade sie können bei Bedarf (darunter, wenn eine erneute Teil-Mobilmachung notwendig wird) als erste in die reguläre Armee geschickt werden.

Zweitens werden die Kategorie der potenziellen Reservisten wie auch in den früheren Jahren die sich in der Reserve befindlichen Männer im Alter von über 27 Jahren auffüllen, die alljährlich in der Russischen Föderation zu militärischen Trainingslagern für die Dauer von bis zu zwei Monaten einberufen werden. Unter den gegenwärtigen Bedingungen wird sich gemäß dem am 10. Mai unterzeichneten Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation diese Kategorie von Reservisten wahrscheinlich quantitativ vergrößern. Konkret gemäß welchen Parametern der Reservisten dies getan wird, wird im Dekret nicht ausgewiesen. Es gibt in ihm jedoch zwei Punkte „Für den Dienstgebrauch“.

Es ist durchaus berechtigt, die Annahme zu hegen, dass man für die militärischen Trainingslager zivile Spezialisten einzieht, die sogenannte technische Elite, die vor allem 30 bis 40 Jahre alt ist. Darunter Männer, die nicht in der Armee gedient haben, in den Militärkommissaren aber als „Schützen“ gemäß den Spezialisierungen für eine militärische Erfassung ausgewiesen werden.

Der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow, der in einer der Gruppierungen der Streitkräfte der Russischen Föderation für die Ausbildung der Truppen, darunter der Reservisten, zuständig gewesen war, betonte gegenüber der „NG“, dass früher, aufgrund der Unvollkommenheit des Systems der Einberufung und Auffüllung der Truppen viele junge Männer, darunter jene, die eine gute Ausbildung erhalten hatten – Techniker, Spezialisten für IT-Technologien – Schlupflöcher gehabt hatten, um sich dem Grundwehrdienst zu entziehen. „Sie versteckten sich vor den Vertretern der Militärkommissariate, entzogen sich dem Erhalt von Einberufungsbescheiden. Und nach Erreichen des 27. Lebensjahres kamen sie in die Militärkommissariate, so als ob nichts gewesen wäre, und erhielten Wehrdienstausweise oder Bescheide und wurden zu Militärs der Reserve, wobei sie die einfachste Spezialisierung entsprechend der militärischen Erfassung – „Schütze“ – erhielten“, erzählte der General. „Diese Männer kann man aber nach Annahme von Änderungen am Gesetz „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ im April dieses Jahres durch die Staatsduma legitim zu militärischen Trainingslagern einziehen und für schwierigere und gefragtere militärische Spezialisierungen schulen“.

Das Mitglied des Verteidigungsausschusses des Unterhauses, Generalleutnant Viktor Sobolew aus der KPRF-Fraktion, hatte im Januar dieses Jahres vorgeschlagen, die wehrpflichtigen Bürger Russlands, die keinerlei Ausbildung besitzen, in militärische Trainingslager für den Erhalt einer wichtigen militärischen Spezialisierung zu schicken, damit sich die Reservisten im Fall dessen, dass sie in die Zone von Kampfhandlungen geraten, nicht als Kanonenfutter erweisen. Diese Idee des kommunistischen Generals hatte keiner seiner Kollegen aus der Kreml-Partei „Einiges Russland“ unterstützt, augenscheinlich, um keine Panik auszulösen. „Dies sind Träume von Viktor Iwanowitsch Sobolew, die in keiner Weise mit der Realität zusammenhängen“, hatte damals arrogant der Chef des Duma-Ausschusses für Verteidigungsfragen, General Andrej Kartapolow (Kremlpartei „Einiges Russland“), erklärt. Jedoch gibt es einen rationalen Kern im Vorschlag von Sobolew. In der von der Regierung der Russischen Föderation bestätigten Bestimmung über die Durchführung militärischer Trainingslager, die der Ausbildung von Bürgern entsprechend militärischen Spezialisierungen gewidmet ist, wird betont, dass bei den Ausbildungslehrgängen die Reservisten nicht nur militärische Fertigkeiten erlangen, darunter an neuen Modellen von Waffen und Gefechtstechnik, sondern gleichfalls „eine Ausbildung der Bürger, die früher keinen Wehrdienst geleistet haben, für einen Wehrdienst mit Verleihung entsprechender militärisch erfasster Spezialisierungen an sie vorgenommen wird“.

„Der Verlauf der militärischen Sonderoperation hat die Notwendigkeit einer Entwicklung neuer Waffenarten – von Drohnen, hochpräzisen Waffen, von Mitteln für eine elektronische Aufklärung und den funkelektronischen Kampf, für geheime Nachrichtenverbindungen usw. – gezeigt. Für ihre Entwicklung, Erprobungen und Einsatz werden entsprechende Militärspezialisten gebraucht. Und gerade sie wird man wahrscheinlich bei den Mobilmachungslagern, aber auch Menschen für andere gefragte militärische Spezialisierungen ausbilden“, sagte Netkatschjow gegenüber der „NG“.

Der Experte lenkte gleichfalls die Aufmerksamkeit darauf, dass die Gesetzgeber neue, konkretere Funktionen für die Amtspersonen der staatlichen Behörden hinsichtlich der Gewährleistung der Wahrnehmung der Militärpflicht durch die Bürger bestimmt hätten. Jetzt werden die Bescheide über ein Erscheinen im Militärkommissariat nicht nur seine Mitarbeiter aushändigen, sondern auch Führungskräfte von Unternehmen und Bildungseinrichtungen, aber auch Vertreter der Organe des Innern. „Die Mitarbeiter des Innenministeriums müssen gemäß dem neuen Gesetz die Suche der Bürger, die sich einer Einberufung zum Wehrdienst entziehen wollen, vornehmen und bei Bestehen legitimer Grundlagen festnehmen“, sagte Netkatschjow, wobei er auf Paragrafen 4 des Gesetzes „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ verwies. Er betonte, dass diese Regeln nunmehr nicht nur in Bezug auf Rekruten gelten würden, sondern auch für die Personen, die für militärische Trainingslager einberufen werden, aber ebenfalls in der Zeit der Ausrufung einer Mobilmachung im Land, wenn den Reservisten Einberufungsbescheide ausgehändigt werden.

Es sei angemerkt, dass die (Frühjahrs-) Einberufungskampagne in Russland bis zum 15. Juli andauern wird. Der Erlass des Präsidenten über eine Einberufung von Bürgern für militärische Trainingslager aber bis zum 31. Dezember. Die Person, die für militärische Trainingslager einberufen wird, gilt als ein Militärangehöriger. Er wird finanziell und materiell wie ein Vertragsmilitär ausgestattet und gleichfalls den durchschnittlichen Monatslohn vom bisherigen ständigen Arbeitsplatz und andere ihm zustehende Zahlungen (Dienstreisegelder, Zuschläge, Zuschüsse für das Anmieten von Wohnraum, regionale Koeffizienten usw.) erhalten.