Zum Ende der laufenden Moskauer Theatersaison ist es zu einem beispiellosen Ereignis gekommen: In der vordersten Reihe der Moskauer Theater ist es zu einem Führungswechsel gekommen. Wladimir Maschkow wurde zum neuen Direktor des „Sowremennik“ ernannt, den Platz von Sergej Gasarow im Theater der Satire hat Jewgenij Gerassimw eingenommen, und das Roman-Wiktjuk-Theater wird nun Konstantin Bogomolow leiten. Dabei bewahren alle drei die aktuellen Ämter als künstlerische Leiter: Maschkow im Oleg-Tabakow-Theater, Gerassimow im Theater an der Malaja Ordynka (im Ex-Luna-Theater), Bogomolow im Theater an der Malaja Bronnaja.
Gebündelte personelle Umbesetzungen sind in den vergangenen zwei Jahren bereits zu einer Routine geworden. Aber solch eine knifflige Mathematik war bisher noch nicht zu beobachten. Allerdings hatte Maestro Valerij Gergijew bereits die Messlatte hochangelegt, indem er sich angeschickt hat, in zwei Städten zu arbeiten. Das heißt im Mariinskij- und im Bolschoi-Theater (und dies ohne deren Filialen von Kaliningrad bis Wladiwostok zu berücksichtigen). Warum sollte man da nicht auf lokaler Ebene eine ähnliche Logistik entwickeln? Die frischgebackenen zweifachen künstlerischen Leiter werden die Leitung von Strukturen unterschiedlicher Stadtbezirke der Hauptstadt vereinen. Beginnen wir mit dem „Sowremennik“. Sein neuer Direktor leitet das Tabakow-Theater (wobei sich eine der zwei Bühnen in der Phase einer Rekonstruktion befindet, aber auch die Theaterschule von Oleg Tabakow. Daneben wurde Wladimir Maschkow auch noch Vorsitzender des Verbands der Theaterschaffenden Russlands sowie Präsident der nationalen Prämie „Goldene Maske“. Das Theater der Satire besitzt heute nicht nur die Hauptbühne und Kammerbühnen am Triumph-Platz, sondern auch noch eine Kleine (die Kinderbühne) an der Metrostation „Sportiwnaja“ und die „Progress-Bühne“ am Lomonossow-Prospekt (das Ex-Theater von Armen Dshigarchanjan). Dabei hat Jewgenij Gerassimow zusammen mit dem Haus an der Malaja Ordynka (dem ofenkundig zwei Spielzeiten für einen realen Neustart nach Sergej Prochanow nicht ausgereicht haben) auch noch eine Beschäftigung als Abgeordneter in der Moskauer Stadtduma (mit dem Mandat der Kremlpartei „Einiges Russland“). Und zuletzt ist da Konstantin Bogomolow, der wirklich das Theater an der Malaja Bronnaja auf Vordermann brachte und pushte. Er wird jetzt nach an die Stromynka-Straße geschickt. Überdies hat der Regisseur auch noch einen Magisterkurs für Regisseure im GITIS-Theaterinstitut zusammengebracht.
Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, dass das Wesen der Veränderungen Ursachen hat, die schon seit langem herangereift waren: Sowohl das „Sowremennik“ als auch das Theater der Satire und das Wiktjuk-Theater machen nicht die besten Zeiten durch. Im „Sowremennik“ hatte man dem Regisseur Viktor Ryschakow nicht die Chance gegeben, ein Rebranding-Programm zu realisieren. Und nach seiner Entlassung ist das Theater unter der Leitung von Direktor Jurij Krawez und des nominellen künstlerischen Rates (zu dem unter anderem Wladislaw Wetrow und Aljona Babenko gehörten) endgültig in einem Chaos aus der Sicht der künstlerischen Arbeit versunken. Die Truppe ist ausgedünnt. Die Koryphäen sind entweder selbst gegangen oder man hatte sie zum Gehen genötigt. Überdies begann das Repertoire, mehr als nur Wünsche offen zu lassen. Das Theater der Satire kam in einem desolaten Zustand zu seinem 100jährigen Jubiläum: Die Truppe hätte ihre Senioren (Vera Wassiljewa und Alexander Schirwindt) zu Grabe getragen, viele Schauspieler saßen ohne Arbeit herum (aufgrund der Zusammenlegung hatte die Truppe ein übermäßiges Ausmaß erlangt, und Hauptrollen erhielten extra engagierte Mimen). Das Roman-Wiktjuk-Theater wurde von der Krankheit eines jeglichen Autoren-Theaters ereilt. Ohne seinen Gründer lebte die Truppen mit alten Hits. Die Einsetzung des Regisseurs Denis Asarow endete rasch mit seiner Entlassung (wie auch im Fall von Ryschakow nicht auf „eigenen Wunsch“). Und der Versuch einer Aktualisierung bzw. Erneuerung endete, kaum dass sie begonnen hatte.
Wenn auch mit großen Mühen, so kann an doch in jeder Verbindung eine eigene Logik ausmachen. So ist Maschkow ein Schüler von Oleg Tabakow, der seiner Zeit ebenfalls als Direktor des „Sowremennik“ wirkte und an dessen Anfängen zusammen mit Galina Woltschek und Oleg Jefremow gestanden hatte. Maschkow vertritt die Idee einer Oberhoheit des russischen psychologischen Theaters, das er auch mit dem „Sowremennik“ assoziiert, worüber er bei einem ersten Zusammentreffen mit dem Ensemble Anfang Juni sprach. Bleibt hinzuzufügen, dass das „Sowremennik“ seinerzeit als eine freie, eine eigenständige Initiative als ein Gegengewicht zur vorherrschenden Ideologie geschaffen wurde. Zu einer Zeit in der das Tabakow-Theater heute ein Flaggschiff der staatlichen Politik unter den Theatern ist. Die auf den ersten Blick absurde Übergabe des Wiktjuk-Theaters an Bogomolow kann man damit erklären, dass solch ein spezifisches Gebäude, das die Truppe heutzutage hat (Roman Grigorjewitsch hatte es in den letzten Lebensjahren bekommen können) nur ein experimentierfreudiger Regisseur ernsthaft zu nutzen vermag. Darüber schreibt auch Bogomolow selbst in seinem Blog: „Meine Aufgabe ist, es so zu bewerkstelligen, dass dieser einmalige Raum, der Anfang des 20. Jahrhunderts durch einen herausragenden russischen Architekten (Konstantin Melnikow – „NG“) geschaffen und wunderbar durch die Stadt restauriert wurde, zu einem neuen Anziehungspunkt wird“. Im Ex-Luna-Theater hat Gerassimow keine Revolution vollbracht. Sie wird es augenscheinlich auch nicht im Theater der Satire geben. Der Volkskünstler hat bereits bekanntgegeben, dass er die „Visitenkarte“ des Theaters – „Figaros Hochzeit“ – wiederherstellen werde (wobei das Engagement eines französischen Regisseurs geplant wird).
Das Konzentrieren von Theater-Betrieben in ein und denselben Händen veranlasst zu dem Gedanken einer Optimierung des Etats. Doch diese Häuser werden die Autonomie bewahren. Außerdem ist ein Mangel an Personal offensichtlich. Eine andere Frage ist, ob nicht so dessen künstlicher Mangel geschaffen wird. Schließlich wird die Theaterindustrie nicht nur mit den oben ausgewiesenen Personen gleichgesetzt. Aber gerade ihnen wird rückhaltlos vertraut, von ihnen erwartet man keine ärgerlichen Überraschungen. Wenn es auch früher für einen würdigen Regisseur nicht einfach gewesen war, ohne das Gewicht des Apparates sein Theater zu bekommen, so werden heute die Kriterien eingeengt. Der künstlerische Leiter eines Theaters ist heute nicht so sehr eine kreative als vielmehr eine ideologische Person. Dabei gibt es, sagen wir es einmal so, „unantastbare“ Theater. So scheiterte der Versuch des Lenkom-Theaters, mit einem Chefregisseur zu arbeiten. Alexej Frandetti löst ein Jahr früher den Vertrag mit dem Direktor Mark Warschawer, verließ das „Lenkom“ und ging auf Einladung von Gennadij Chasanow ins Estraden-Theater (eine subtile strategische Entscheidung des Volkskünstlers). Das „Lenkom“ bleibt jedoch erneut ohne einen kreativen Leiter. Und keiner beeilt sich, es irgendwem anzuvertrauen.
Und Theater sind ja doch keine Betriebe, die man zu einer Holding vereinen kann (und gerade so geschieht es beispielsweise mit dem Moskauer Puppentheater, dem man früher schon das Kammer-Puppentheater angegliedert hatte; und jetzt hat man noch auch das des Moskauer Verwaltungsgebietes hinzugefügt). Jedes Theater muss sein eigenes Gesicht besitzen. Sein „Produkt“ muss ein einmaliges sein, seine Mitarbeiter – schöpferische Elemente, die eine lebendige Zusammenarbeit zu jeder Stunde verlangen. Und die Anzahl der Bühnen garantiert ganz und gar nicht die Qualität der herausgebrachten Premieren. Ein Theater kann man nicht organisieren und dann im Rahmen eines Outsourcings betreiben. Man kann sich nicht mit ihm „zwischendurch“ oder „en passant“ befassen. Ein Theater ist eine Sache, der man das Leben widmet und nicht freie Slots des Arbeitskalenders.
Um augenscheinlich die bittere Pille zu versüßen, hat man doch eine eindeutig positive Entscheidung dieser „Combo“-Entscheidung hinzugefügt. Das Meyerhold-Zentrum, das man früher mit der Schule für dramatische Kunst fusioniert hatte, wird wieder abgekoppelt, um wiederum dem Theater „Schalom“ überlassen zu werden. Und dies ist die beste Entscheidung der möglichen. Endlich ist die Haltlosigkeit der Politik der Chefin der Schule für dramatische Kunst, Olga Sokolowa, anerkannt und dafür das Potenzial von „Schalom“ gewürdigt worden. Letzterem ist nach dem blendenden Neustart in seiner kleinen Spielstätte an der Warschauer Chaussee eng geworden. Ergo hat das Meyerhold-Zentrum die Chance, wieder zu einem gefragten Ort zu werden.